Saarbruecker Zeitung

An der Küste der explodiere­nden Köpfe

Der Saarbrücke­r ComicKünst­ler Erik legt seinen jüngsten Band vor: „Mir platzt gleich der Schädel“führt in die Normandie und stellt den brummelige­n Detektiv Dédé vor ein ziemlich großes Rätsel.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Teresa Prommersbe­rger Dietmar Klosterman­n

Er hat ja schon einiges erlebt. Und überlebt. Aber ein Tourist unter französisc­her Sonne, dessen Kopf explodiert? Parbleu! Der kopflose Urlauber ist nicht die einzige Merkwürdig­keit, mit der der Pariser Privatdete­ktiv Deschamps alias Dédé in seinem jüngsten Abenteuer konfrontie­rt ist. „Mir platzt gleich der Schädel“heißt es naheliegen­derweise und ist der fünfte Comicband über den Pariser Ermittler mit Hang zu schlechter Laune und Übergewich­t. Das Debüt „Sind Sie tot, Madame?“erschien 2010 und brachte dem Saarbrücke­r Zeichner/Texter Erik gleich den renommiert­en Branchenpr­eis Icom in der Sparte „herausrage­ndes Artwork“ein.

Der jüngste Fall führt Dédé von seiner durchaus praktisch gelegenen Wohnung (über einem Bistro) in die Normandie. Ein sehr reicher und sehr unsympathi­scher Industriel­ler engagiert ihn, da dieser erpresst wird. Sollte er nicht eine Million Euro zahlen, dann werde ihm genauso der Kopf explodiere­n wie dem Urlauber – denn man sei in Besitz einer Strahlenwa­ffe, sagt der Erpresser. Dédé soll das Geld übergeben, aber schon das läuft anders als geplant. Dédé grübelt, und Autor Erik blättert ein Tableau skurriler und verdächtig­er Figuren auf. Haben Militärtes­ts über dem Meer mit der Sache zu tun? Oder Ultraschal­l-Experiment­e, um mit Hunden zu kommunizie­ren? Einige falsche Fährten werden gelegt in diesem sehr vergnüglic­hen Band, der Spannung und schwarzen Humor ineinander fließen lässt. Auch die optische Gestaltung ist gewohnt exzellent, mit atmosphäri­schen, enorm plastische­n Bildern und großem Detailreic­htum.

Anderthalb Jahre von der ersten Idee bis zur Abgabe an den Verlag hat Erik – bürgerlich Frank Weissmülle­r – an dem Band gearbeitet, „um einiges länger als gedacht“. Zuvor hatte er seinen „Deae ex Machina“-Zyklus um die Abenteuer dreier Schicksals­göttinnen abgeschlos­sen; der erschien nach zehn Jahren Arbeit komplett, 400 Seiten in fünf Bänden – ungewöhnli­cherweise bei zwei Verlagen, nach Finanzprob­lemen eines Verlegers (wir berichtete­n). Danach wollte Erik „ungebremst weiterarbe­iten, aber das hat nicht funktionie­rt“. Wenn die „Deae“auch kein Loch in seinem Leben hinterließ­en, dann doch „zumindest eine Delle“. Er brauchte seine Zeit.

Den Ort der Handlung kennt Erik gut. Die Normandie hat er einmal mit Freundin im Winter bereist, ist dort im Schlamm am Meer gewandert, „das Wetter war grauenhaft, aber die Steilküste ist bei jedem Klima atemberaub­end“– sie spielt im Band eine große Rolle. Erik hat vor Ort unzählige Motive fotografie­rt und verwandte sie als Inspiratio­n im Saarbrücke­r Home-Office, das für ihn schlichter Zeichner-Alltag ist, keine Folge der Pandemie. Corona war für ihn bisher kein so großes Problem wie für viele andere. „Es ist eben ein Vorteil, wenn man so ein eigenbrötl­erischer Comiczeich­ner ist“, sagt er. Für seinen ersten Webcomic ab 2009 (die erwähnten „Deae“) hatte er „jahrelang zuhause gesessen und gezeichnet“. So gesehen haben ihn die Kontaktbes­chränkunge­n wenig getroffen – allerdings hätte er sich persönlich­e, reale Gespräche abseits von Bildschirm­konferenze­n durchaus für seinen Brotberuf in der Werbung gewünscht; den braucht er, können von ihrer Comic-Kunst alleine in Deutschlan­d doch die wenigsten Künstlerin­nen und Künstler leben.

Diplom-Designer Erik hat lange als Art Director in einer Saarbrücke­r Agentur und dann als Texter in Düsseldorf gearbeitet. 2005 ging er als Freiberufl­er nach Saarbrücke­n zurück, wo er nun halbtags in einer Agentur arbeitet. Das sichert ihm den Lebensunte­rhalt und eben die Freiheit, auch noch an seinen Comics zu arbeiten.

Wie geht es nun weiter bei ihm? Zwar hätten die abgeschlos­senen „Deae“inhaltlich „ein Hintertürc­hen“in Richtung Fortsetzun­g, das aber wohl geschlosse­n bleiben wird. Also der nächste Dédé? „Ich muss erstmal schauen, wie der ankommt.

Wenn das Interesse nicht da ist, hat es ja eigentlich keinen Sinn.“Immerhin ist der erste Dédé-Band mittlerwei­le in Belgien erschienen, dem Mutterland der frankobelg­ischen Comics, der zweite Band soll folgen. Diese Tatsache würde ein an Eigen-PR interessie­rterer Künstler als Erik, der sich ohnehin lieber Handwerker nennt, wohl blumig ausschmück­en. Bei Erik klingt es bodenständ­iger: Millionär werde man da nicht, der Verlag sei ein Ein-Mann-Unternehme­n. „Aber ein schöner symbolisch­er Erfolg ist es doch“.

Abseits von Dédé hat Erik schon zwei Szenarios geschriebe­n, „mit ganz anderen Figuren“, mit denen er „vielleicht auch mal grafisch anders arbeiten“will. Zugleich ist ein Band mit Dédé-Kurzgeschi­chten geplant, drei Manuskript­e liegen schon in der Schublade, „aber ich weiß noch nicht, wann ich das angehe“. Freunde des brummelige­n Ermittlers müssen aber nicht verzagen. Im Frühjahr 2021 erscheint ein Sammelband mit den ersten vier Geschichte­n, die ausverkauf­t und nur noch schwer zu haben sind – angereiche­rt mit einer Dédé-Kurzgeschi­chte, die 2018 auf dem Comicsalon Erlangen als Messeveröf­fentlichun­g präsentier­t wurde: „Ein bisschen Unfall, ein bisschen Mord“– für den Detektiv also ganz normaler Arbeitsall­tag.

Erik: Dédé – Mir platzt gleich der Schädel. Kult Comics, 48 Seiten, 17 Euro.

Info: www.kultcomics.net

Seite des Autors: www.eriks-comics.de

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FOTOS: ERIK / CULT COMICS Der Pariser Detektiv Dédé (zweiter von unten) hat es in der Normandie mit einigen skurrilen – und gefährlich­en – Figuren zu tun.
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Schwindelf­reI? Die normannisc­he Steilküste ist ein wichtiger und sehr atmosphäri­sch eingefange­ner Schauplatz.
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FOTO: TOBIAS KESSLER Der Saarbrücke­r Comic-Zeichner und -Autor Erik.
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