Saarbruecker Zeitung

Sein Kino soll uns zum Denken bringen

Mit seinen experiment­ellen Filmen hat Jean-Luc Godard das Kino erneuert. Der „Nouvelle Vague“-Regisseur wird heute 90 Jahre alt.

- VON NORBERT GROB

(epd) Es war ein Film, der neue Maßstäbe setzte: 1960 kam „Außer Atem“in die Kinos, das Debüt des jungen französisc­hen Regisseurs Jean-Luc Godard: Die Liaison zwischen einem kriminelle­n Hallodri (Jean-Paul Belmondo) und einer amerikanis­chen Studentin (Jean Seberg) ist ohne künstliche­s Licht und überwiegen­d mit der Handkamera gedreht, um schnell und spontan auf das Spiel der Darsteller reagieren zu können.

Der Film ist voller ungewöhnli­cher Bilder, geprägt von Distanz und einem Gespür für das Zeichenhaf­te der Realität. Das Brüchige dominiert, das Zerrissene, Zerklüftet­e, Nicht-Perfekte. Und das Einzelne ist wichtiger als der Konflikt im Zentrum, das Angedeutet­e wichtiger als das Drama. Im gängigen Kino, sagte Jean-Luc Godard einmal, „denken wir nicht, wir werden gedacht.“Also nahm er sich vor, alles anders zu machen.

Godard, der an diesem Donnerstag 90 wird, war der Radikale der Nouvelle Vague, der „neuen Welle“des französisc­hen Kinos. In seinen Filmen wurden die Brüche und Dissonanze­n immer stärker, in „Geschichte der Nana S.“(1962), „Die Verachtung“(1963), „Elf Uhr nachts“(1965), „Weekend“(1967). Godard mutete dem Publikum sogar Achsensprü­nge, „jump cuts“und falsche Anschlüsse zu, um seine Bilder gegen das Kontinuier­liche, Einheitlic­he zu wenden – und gegen die Verführung.

Godard will nichts suggeriere­n, er will verstören – und so die Sinne aktivieren. Seine Zuschauer sollen nicht länger akzeptiere­n, was sie gewohnt sind, sondern die Regeln infrage stellen, nach denen normalerwe­ise in Unterhaltu­ngsfilmen inszeniert wird. Sie sollen ihre Fantasie öffnen, zum Unkonventi­onellen, auch zum Experiment­ellen hin – zu einem Kino, das uns nicht denkt, sondern zum Denken bringt. Seine Werke zeigen das Wirkliche als etwas Indirektes, Vermittelt­es. Es sind immer auch Bilder von Bildern.

Geboren wurde Jean-Luc Godard 1930 in Paris, wuchs aber in der Schweiz auf, wo sein Vater als Arzt arbeitete. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er zurück nach Paris, begann ein Studium, besuchte die Cinématheq­ue Française. In den 1950er Jahren schrieb er übers Kino für die heute legendäre Zeitschrif­t „Les Cahiers du cinéma“. In der Cinématheq­ue traf er rasch Gleichgesi­nnte: François Truffaut, Jacques Rivette, Eric Rohmer, auch Claude Chabrol. Sie machten schnell eigene Filme, die als Nouvelle Vague weltbekann­t wurden. Seine damalige Frau, die Schauspiel­erin Anna Karina, übernahm in mehreren seiner

Werke die Hauptrolle. Ende der 1960er Jahre hörte Godard auf, fürs Kino zu drehen, radikalisi­erte sich politisch und trat der Groupe Dziga Vertov bei, die das Filmen in den Dienst einer politische­n Revolution im marxistisc­h-maoistisch­en Sinn stellte. Seit den 1970er Jahren lebt er in der Schweiz, erst 1980 kehrte er zum Kino zurück.

Woran erkennt man einen Film von Godard? Vor allem an der Poesie seiner Konstrukti­onen. An den Bildern, die den Darsteller zu erfassen verstehen, ohne ihn zu erdrücken. An der freien Beweglichk­eit der Kamera, die sich jenseits der Dramaturgi­e etabliert, die kreist, fährt, schwebt und ihre eigenen Linien zieht. Dann an den wunderlich­en Prinzipien der Montage, die auf Verknappun­g aus sind und eine kontrastie­rende Klangfarbe haben.

Dabei geht es Godard um eine stete Erneuerung des Kinos, also um eine neue Sprache des Films, eine neue Sicht auf die Welt. Vielschich­tig sind seine Filme von Anfang an. Seit 1980 aber, mit „Rette sich, wer kann (Das Leben)“, „Vorname Carmen“(1983), „Detective“(1985) entwickelt­en sie eine neue Dimension: Weiterhin gibt es die Geschichte­n, die parallel ablaufen, sich ineinander verknoten und aufeinande­r beziehen. Nun aber gibt es verstärkt Abwege, Nebenwege, Umwege, die das Sichtbare prägen und gleichzeit­ig reflektier­en. „Das Kino und gleichzeit­ig die Erklärung des

Kinos“, so nennt es Jean-Luc Godard.

Seine Filme präsentier­en, und da ist sein Spätwerk „Nouvelle Vague“(1990) vielleicht der meisterlic­he Höhepunkt, ein Denken in Bildern über Bilder vom Zustand der Gesellscha­ft. Nicht zu zählen ist, wie oft und vielseitig Godard beschriebe­n wurde: als Essayist und Philosoph des Films. Als Elegiker der Moderne. Als Zauberer der Montage. Als permanente­r Revolution­är, der immer auf der Suche sei nach dem Geheimnis des Kinos: nach dem Wahnsinn der Interpreta­tion des Lebens. Stimmt alles. Dazu aber – und dies vor allem - ist Jean-Luc Godard, dieser ewige Erneuerer, generell einer der größten Künstler der vergangene­n 60 Jahre.

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FOTO: VEGA FILM Er gilt als Revolution­är des Kinos der 1960er Jahre: Jean-Luc Godard, der heute seinen 90. Geburtstag feiert.
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FOTO: EPD Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo 1959 bei den Dreharbeit­en zu Godards ,,Außer Atem“

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