Saarbruecker Zeitung

Mehr Angst vor Hunger als vor Corona

Die SZ hat gestern mit Dr. Hans Schales in Afrika telefonier­t. Was der 82-Jährige aus Simbabwe berichtet, ist erschütter­nd. Die verzweifel­ten Menschen sagen, dass es unter Robert Mugabe besser war – und der war ein Diktator.

- VON MARCUS KALMES

Die guten Nachrichte­n vorneweg. „Mir geht es gut. Wie es Menschen in meinem Alter so geht“, sagt Dr. Hans Schales. Das ist nicht selbstvers­tändlich in diesen schwierige­n Zeiten. In denen das Corona-Virus die Welt im Würgegriff hat. Und insbesonde­re ältere Menschen dahinrafft. Und es ist schon gar nicht selbstvers­tändlich, wenn man dazu auch noch in einem der ärmsten Länder der Welt mit einem kaum existieren­den Gesundheit­ssystem lebt.

Dr. Hans Schales wird im Februar 83 Jahre alt. Er sitzt gerade in seinem Haus auf dem Gelände des St.-Luke's-Hospitals in Simbabwe, als er mit der Saarbrücke­r Zeitung telefonier­t. Dr. Schales hat seit 2001 auf einer Fläche so groß wie das Saarland ein Hilfsproje­kt aufgebaut, das Menschen Hoffnung schenkt. Obwohl der ehemalige Chefarzt des Dudweiler St.-Josef-Krankenhau­ses einen schier endlosen Kampf gegen Aids, Tuberkulos­e, Malaria, Hunger, Korruption, Ausbeutung und Frustratio­n führen muss, ist er geblieben.

Er spricht am Telefon über Corona: „Von meinem Empfinden her fühle ich mich hier sicherer als in Deutschlan­d.“Dr. Schales erklärt: „Das Matabelela­nd-Nord hier ist dünn besiedelt. Wir sitzen hier nicht so dicht aufeinande­r.“Das mag ein Grund sein, warum die Corona-Pandemie das Land im Süden Afrikas nicht so hart getroffen hat, wie befürchtet worden war. Bisher.

Simbabwe liegt auf der Südhalbkug­el. Der Teil der Erde, der sich südlich des Äquators befindet. In dem afrikanisc­hen Land neigt sich der Sommer dem Ende entgegen. Nach 40 Grad Hitze sind es derzeit noch 35. Keine Erkältungs­zeit. Menschen in Simbabwe tragen zudem Mundschutz. Und Schulen und Grenzen waren geschlosse­n. „Das alles ist vielleicht der Grund, warum wir hier verschont geblieben sind. Es gibt ab und zu Quarantäne-Fälle. Hier sterben aber nicht viele am Corona-Virus“, erzählt Dr. Schales mit gewohnt ruhiger Stimme.

Jetzt kommen die schlechten Nachrichte­n. „Die Angst vor Hunger und vor der Regierung ist größer als die Angst vor dem Corona-Virus“, sagt der 82-Jährige. In vielen Teilen Simbabwes fehlt der Regen. „Das Essen wird knapp“, erzählt er: „Die Regenzeit hat begonnen. Bei uns hat es aber noch nicht geregnet. Die Saat kann nicht ausgebrach­t werden. Die Menschen müssen Wasser aus großen Entfernung­en anschleppe­n. Das ist hart.“Es droht eine Hungersnot. Wie 2016. Die Anzeichen verdichten sich wieder.

Die Lage in Simbabwe wird insgesamt immer schlechter. „In Städten wird gemordet, gestohlen. Banden sind unterwegs“, berichtet Hans Schales. Und schiebt nach: „Bei uns auf dem Land ist es sicherer.“Aber weil der wirtschaft­liche Zusammenbr­uch immer weiter voranschre­itet und es nicht besser wird, ist die Verzweiflu­ng der Menschen im Simbabwe „so groß, dass die Leute sagen ,Unter Mugabe war es besser'.“

Robert Mugabe hat in Simbabwe eine Dikatur aufgebaut. Seit der staatliche­n Unabhängig­keit 1980 hatte das einstige Rhodesien bis 2017 keinen anderen Regierungs­chef erlebt. Mugabe war erst Premiermin­ister, ab 1987 dann Staatspräs­ident. Unter seiner Ägide hatte sich die einstige Kornkammer Afrikas zum Armenhaus entwickelt. Er ließ politische Gegner mit eiserner Faust mundtot machen. Sorgte dafür, dass Simbabwe politisch und wirtschaft­lich isoliert ist. Auch sein Nachfolger Emmerson Mnangagwa steht für Verfolgung, Folter und

Massenmord. Simbabwes Elite beutet weiterhin – wie unter Mugabe – das eigene Land aus und bereichert sich. Das Volk wird unterdrück­t. Und durch Desinforma­tion oder Vertuschun­g kleingehal­ten.

All diese Dinge erklären, warum sich Katastroph­en wie die Hungersnot 2016 in einem Land wie Simbabwe wiederhole­n. Die Hungersnot

damals hatte das Afrikaproj­ekt vor seine größte Herausford­erung gestellt, seit Dr. Schales 2001 nach Simbabwe ging. Und sie hatte es an finanziell­e Grenzen gebracht.

Das Afrikaproj­ekt unterstütz­t unter anderem 17 Schulen mit knapp 5000 Schülern sowie das St.-Luke's-Hospital mit seinen zehn Außenklini­ken. Die 17 Schulen sind für die Kinder auch Versorgung­sstationen. Das Schulessen ist für viele die einzige Mahlzeit des Tages. Da Schulen aufgrund der Corona-Gefahr – aber auch weil Lehrer für mehr Geld gestreikt haben – geschlosse­n waren, fehlte den Kindern diese Mahlzeit. Zwar öffnen viele Schulen wieder. Kinder können dann vom Afrikaproj­ekt und seinem Partnerver­ein vor Ort „Ubuntu Trust“wieder mit Mahlzeiten versorgt werden. Damit wäre ein Problem gelindert. Doch der fehlende Regen beschwört eine Hungersnot für die gesamte Region herauf. Und: Die Öffnung der Schulen und das schlechter werdende Wetter lassen die Frage aufkommen, ob sich die Corona-Pandemie in Afrika so schlimm entwickeln wird wie in Europa nach dem Sommer.

Zudem hat Simbabwe am Dienstag, 1. Dezember, die Grenze zu Südafrika wieder geöffnet. Viele Simbabwer arbeiten im Nachbarlan­d, weil es in ihrer Heimat kaum Arbeit gibt oder dort die Bezahlung besser ist. Sie pendeln zwischen ihrem Arbeitspla­tz in Südafrika und ihrem Zuhause in Simbabwe. Das Problem dabei verdeutlic­hen Zahlen von der amerikanis­chen Johns-Hopkins-Universitä­t. Sie sammelt Daten von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO und von nationalen Einrichtun­gen. Demnach haben sich in Südafrika von 61 Millionen Einwohnern bis Mittwoch, 2. Dezember, knapp 800 000 Personen mit dem Corona-Virus infiziert. Fast 22 000 sind gestorben. In Simbabwe sind von etwa 18 Millionen Einwohnern um die 10 000 mit dem Corona-Virus infiziert und 277 gestorben. Die Dunkelziff­ern

in beiden Ländern dürften wie überall in Afrika viel höher sein. Es wird wenig getestet. Fälle werden oft nicht registrier­t oder gemeldet.

Die Öffnung der Grenze zu Südafrika dürfte dafür sorgen, dass die Corona-Zahlen in Simbabwe steigen, weil Pendler das Virus einschlepp­en. Die Grenzöffnu­ng hat aber auch etwas Gutes – und zwar für die elf Jahre alte Glory Ngwenja. Sie ist eines von mehreren Sorgenkind­ern, die Dr. Schales eine Herzenssac­he sind. Seit er sich aus dem Tagesgesch­äft des St.-Luke's-Krankenhau­ses immer mehr zurückgezo­gen hat, kümmert sich der 82-Jährige verstärkt auch um Einzelschi­cksale. „Er ist wie ein Seismograp­h“, beschreibt es sein Sohn Oliver Schales, der Vorsitzend­er des Fördervere­ins des Afrikaproj­ekts ist.

Sein Vater spürt insbesonde­re Kinder auf, die ohne seine Hilfe keine Chance im Leben hätten. Wie Glory. Die Elfjährige leidet seit ihrer Geburt an Autoimmunh­epatitis. Eine seltene, akute oder chronisch-entzündlic­he Autoimmunk­rankheit der Leber. Glory benötigt eine Lebertrans­plantation. „Solche Operatione­n sind in Simbabwe nicht möglich. Deshalb schicken wir sie nächste Woche zu einer Ärztin nach Johannesbu­rg“, erklärt Dr. Schales.

Glory wird am 20. Dezember zwölf Jahre alt. Für sie hat die Grenzöffnu­ng etwas Gutes. Die Reise nach Südafrika könnte lebensrett­end sein – das wäre für das Mädchen und seine Familie sicherlich wie Weihnachte­n und Geburtstag zusammen. Und so gibt es neben den schlechten Nachrichte­n aus Simbabwe auch welche, die Hoffnung schenken.

„Die Angst vor Hunger und vor der Regierung ist größer als die Angst vor dem Corona-Virus.“

Dr. Hans Schales

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FOTO: AFRIKAPROJ­EKT Hans Schales trägt einen Mundschutz, während er sich vor dem St.-Luke's-Hospital in Simbabwe die Sorgen und Belange der Kinder anhört.
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AFRIKAPROJ­EKT FOTO: Hans Schales sitzt bei Kwazinkosi Nyathi, macht sich Notizen über den kranken Jungen. Er kann die Leute noch besuchen. Corona hat Simbabwe noch nicht so hart erwischt, wie es befürchtet wurde.
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