Wie der Streit ums Impfen die Koalition entzweit
Der Streit um den holprigen Impfstart in Deutschland hat jetzt auch die schwarz-rote Koalition erreicht. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) forderte von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Namen der SPD-regierten Ländern schriftlich Aufklärung über seine Beschaffungsstrategie; aus den Reihen der Sozialdemokraten wurden sogar Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss laut. Die Union konterte scharf und warf dem Regierungspartner „politische Stimmungsmache“im Wahljahr vor.
Der von SPD-Kanzlerkandidat Scholz offiziell an Spahn übermittelte Fragenkatalog ist vier Seiten lang und umfasst 62 detaillierte Fragen. Das Papier liegt unserer Redaktion vor. Im Detail wollen die Sozialdemokraten wissen, wie die Bestellmengen der Europäischen Union bei den unterschiedlichen Herstellern zustande gekommen sind, was getan wurde, um zusätzliche Chargen für Deutschland zu sichern und wie die Produktion der Impfstoffe ausgeweitet werden könnte. Das Ganze trägt den Stil eines Untersuchungsausschusses, den für die SPD deren Rechtsexperte Florian Post bereits forderte – und zwar im EU-Parlament wie im Bundestag.
Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Regierungspartner derart gegeneinander vorgehen, zumal Scholz selbst im Corona-Kabinett sitzt und das Meiste dort hätte erfragen können. FDP-Chef Christian Lindner frotzelte, die Fragen seien von der Opposition abgeschrieben. Und auch der angegriffene Gesundheitsminister Jens
Spahn warnte die SPD davor, „gleichzeitig Regierung und Opposition sein zu wollen“. Das habe noch nie funktioniert und werde auch im Wahljahr nicht besser laufen.
Schärfer schoss der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU): Das Verhalten der Bundes-SPD sei „für eine Regierungspartei unwürdig“, so Hans zu unserer Redaktion. Dass es anfangs zu Engpässen beim Impfstoff kommen könne, darauf habe Spahn von Anfang an hingewiesen und bei der Impfung entsprechende Prioritäten gesetzt. Das Vorgehen sei von der SPD im Corona-Kabinett der Bundesregierung sowie von allen Ländern in der Ministerpräsidentenkonferenz mitgetragen worden. „Es ist daher unfair, jetzt einseitig dem Bundesgesundheitsminister den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dieses Herumkritisieren
dient einzig und allein der politischen Stimmungsmache gegen einen beliebten Politiker und ist geeignet, die Impfbereitschaft der Deutschen zu beschädigen“, keilte Hans zurück.
Druck auf die Regierung hatte am Wochenende allerdings auch schon Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ausgeübt, verpackt als Kritik an der EU. Die Kommission habe zu wenig bestellt und auf die falschen Hersteller gesetzt. „Es ist schwer zu erklären, dass ein sehr guter Impfstoff in Deutschland entwickelt, aber woanders schneller verimpft wird“, sagte Söder und forderte: „Alle Verfahren müssen massiv beschleunigt werden: die Bestellung und Produktion von Impfstoff auch mit nationalen Kapazitäten.“Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus meldete sich kritisch zu Wort.
Er forderte „konsequentes Nachsteuern“beim Impfen. Die Verunsicherung in der Bevölkerung sei groß. Brinkhaus wird freilich intern vorgeworfen, sich profilieren zu wollen. Nach der Bundestagswahl will er den Job des Fraktionschefs unbedingt behalten. Als Nachfolger ist hinter den Kulissen bereits Jens Spahn im Gespräch. Die Kritik blieb nicht ohne Wirkung auf Spahn. In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses am Montag sagte er, Ziel sei es, „dass wir bis zum Sommer jedem ein Impfangebot in Deutschland machen können“. Das hänge aber auch davon ab, dass weitere Zulassungen von Impfstoffen erfolgten. Sobald alle über 70-Jährigen geimpft seien, könne es bereits deutliche Lockerungen der Corona-Einschränkungen geben.
Um das zu beschleunigen, will Angela
Merkel an diesem Mittwoch mit den zuständigen Ministern beraten, an welchen Stellen zusätzliche Produktion durch die Bundesregierung unterstützt werden kann. An dem Gespräch nimmt neben Spahn, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) und dem Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun (CDU), auch Olaf Scholz teil.
Die Kanzlerin selbst war zuletzt mächtig in Bedrängnis geraten, auch medial, weil sie vehement eine europäische Impflösung vorangetrieben hatte und dem Vernehmen nach Spahn ausgebremst haben soll. Für Merkel, so hieß es, sei in dieser Frage ein europäisches „Jeder für sich“undenkbar gewesen. Sie habe dadurch ein Rennen der starken Volkswirtschaften mit den schwächeren verhindert. Aus der Schusslinie ist sie deshalb aber noch lange nicht.