Saarbruecker Zeitung

Nach Bowies Tod: Mythenpfle­ge und Marketing

Vor fünf Jahren, am 10. Januar 2016, ist David Bowie gestorben. Seitdem reißt der Strom der Wiederverö­ffentlichu­ngen nicht ab, das Geschäft mit Bowie-Nippes läuft ebenfalls. Auch ein Film wird anlaufen, von dem sich Bowies Sohn distanzier­t hat.

- VON TOBIAS KESSLER

Ein Schock vor fünf Jahren: An seinem 69. Geburtstag bringt David Bowie sein Album „Blackstar“heraus – zwei Tage später stirbt er an Krebs, und sein Videoclip zur Single „Lazarus“wird zugleich verständli­cher und noch verstörend­er: Ein Mann liegt im Krankenbet­t, die Augen bandagiert, die Arme panisch ausgestrec­kt, als versuchten sie, sich an den letzten Momenten eines Lebens festzukral­len. Dass Bowie es geschafft hat, seine anderthalb­jährige Krankheit und sein langsames Sterben nicht an die Öffentlich­keit dringen zu lassen, ist in diesen medial aufgeheizt­en Zeiten schon ein kleines Wunder. Weniger überrasche­nd ist, dass Bowie sich mit einem seiner experiment­ellsten Alben verabschie­dete – es passt zu ihm.

Und seitdem? Bowie-Fans können sich über regelmäßig­en musikalisc­hen Nachschub freuen, ob nun über immer neue Zusammenst­ellungen altbekannt­er Hits, Wiederverö­ffentlichu­ngen klassische­r Alben oder eben über relativ Neues: bisher unveröffen­tlichte Mitschnitt­e aus dem reichen Konzertfun­dus. Auch allerlei Nippes gibt es auf der Seite www.davidbowie.com – für Menschen, die tatsächlic­h David-Bowie-Einkaufsta­schen brauchen oder Schmuck, auf denen Textzeilen von ihm eingravier­t sind. Sogar eine Barbie-Puppe mit dem bunten Antlitz von Bowies Bühnenfigu­r „Aladdin Sane“aus den 1970ern gab es zeitweise – der Markt für Sammler, die alles haben wollen, scheint unerschöpf­lich.

Zu Bowies 74. Geburtstag an diesem Freitag erscheint eine Vinyl-Single (limitiert auf 8147 Exemplare) plus Streaming und Download mit zwei

Cover-Versionen, die er 1998 aufgenomme­n hat: John Lennons „Mother“und Bob Dylans „Tryin‘ to get to Heaven“. Außerdem wird eine Aufzeichnu­ng der Londoner Inszenieru­ng von Bowies Musical „Lazarus“– basierend auf der Buchvorlag­e des Bowie-Films „Der Mann, der vom Himmel fiel“– ab Freitag an drei Terminen gestreamt. 2021 bietet außerdem einige Jubiläen, die die Bowie-Maschineri­e mit Wiederverö­ffentlichu­ngen zelebriere­n wird: etwa den 45. Geburtstag des Albums „Station to Station“, entstanden auf dem Höhepunkt von Bowies Kokain-Sucht, die er danach in Berlin überwand und dort, vergleichs­weise ausgenücht­ert und mit der Hilfe von Produzent Brian Eno, seine legendären, halb-elektronis­chen Alben „Low“und „Heroes“aufnahm.

Wirklich neues Material aus den letzten Jahren Bowies wird es wohl nicht geben. Im britischen Musikmagaz­in „Mojo“sagte Bowies langjährig­er Produzent Tony Visconti, es gebe von den „Blackstar“-Sessions zwar noch ein paar unvollende­te Aufnahmen, aber noch ohne Bowies Texte oder gar seine Stimme – „nicht einmal La La Las“.

Immerhin ein Kinofilm soll bald starten: „Stardust“erzählt von Bowies schwierige­r USA-Tournee 1971, als er noch als bloßes Ein-Hit-Wunder unter vielen galt (mit der Single „Space Oddity“) und selbst von der US-Plattenfir­ma, die ihn als britischen Hippie mit Vorliebe für Frauenklei­der ansah, weitgehend ignoriert wurde. Doch alles wurde anders, als Bowie (im Film gespielt von Johnny Flynn) seine Bühnenfigu­r Ziggy Stardust erfand, einen vom Himmel geschickte­n Rockstar, zu dem Bowie dann schließlic­h wurde.

Nicht angetan von dieser Film-Idee war allerdings Bowies Sohn Duncan Jones (49), selbst Regisseur („Moon“, „Mute“) – deshalb sind in „Stardust“keine Bowie-Songs zu hören. Darüber und über den Umstand, dass Darsteller Flynn dem porträtier­ten Bowie wenig ähnlich sieht, gab es vor der Premiere des Films schon die übliche Häme im Internet – man sollte einfach mal abwarten. Die ersten Reaktionen liegen nun im weiten Feld zwischen Lob und Ablehnung: für manche Kritiker ein Billigfilm, der dem Musiker nicht gerecht wird; für andere ein stimmungsv­olles Roadmovie mit 70erJahre-Flair und einem interessan­ten Blick auf den jungen Bowie, als er langsam zum Mythos Bowie wurde

Diese Entwicklun­g zeichnet auch der lesenswert­e Comicband „Bowie – Sternensta­ub, Strahlenka­nonen und Tagträume“nach: 1973 in London beginnt das Buch, wo Bowie jene erfolgreic­he Bühnenfigu­r Ziggy Stardust zu Grabe trägt, die ihn zum internatio­nalen Rockstar gemacht hat; wie Bowie zu Ziggy wurde, erzählen Zeichner Michael Allred und Autor Steve Horton als große Rückblende nach. Man muss sich ein paar Seiten lang an Allreds bewusst etwas naiv wirkenden Zeichensti­l gewöhnen, dann aber lässt man sich gerne mitnehmen auf eine bunt illustrier­te Selbstfind­ungreise: Bowie trifft Andy Warhol und The Velvet Undergroun­d, lässt sich von Freund/Rivalen/Glamrocker Marc Bolan (T. Rex) inspiriere­n, ebenso von Punk-Urvater Iggy Pop und Stanley Kubricks Film „Uhrwerk Orange“und entwickelt aus all diesen Erfahrunge­n die kurzlebige, aber legendäre Bühnenfigu­r Ziggy Stardust. Von dort aus gab es weitere Figuren, weitere Masken, die besonders dann trügerisch waren, wenn Bowie verkündete, er sei jetzt ganz er selbst, „der wahre Bowie“. Mit einer Collage all dieser Figuren und Image-Konstrukti­onen schließt dieser Band. Am Ende: der sterbende Bowie. Keine Figur, aber ein letzter, sehr berührende­r künstleris­cher Akt.

 ?? FOTO: MICHAEL ALLRED/CROSSCULT ?? Diese Seite aus dem Comicband „Bowie – Sternensta­ub, Strahlenka­none und Tagträume“ist ein schönes Suchbild für Fans, was Bowies Film-Arbeit angeht: Das Hauptmotiv stammt aus Nicolas Roegs Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“von 1976; auf den Fernsehsch­irmen sind von links oben bis rechts unten einige Karrierest­ationen zu sehen: die Filme „Schöner Gigolo, armer Gigolo“(1979), „Begierde“(1983“), „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“(1983), „Absolute Beginners“(1986), „Cat People“(1982, nur mit der Titelmusik Bowies), „Dotterbart“(1983), „Kopfüber in die Nacht“(1985), als Andy Warhol in „Basquiat“(1996), in „Twin Peaks – Fire walk with me“(1992), in „Prestige“(2006), als Pontius Pilatus in „Die letzte Versuchung Christi“(1988) und als er selbst in „Zoolander“(2001).
FOTO: MICHAEL ALLRED/CROSSCULT Diese Seite aus dem Comicband „Bowie – Sternensta­ub, Strahlenka­none und Tagträume“ist ein schönes Suchbild für Fans, was Bowies Film-Arbeit angeht: Das Hauptmotiv stammt aus Nicolas Roegs Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“von 1976; auf den Fernsehsch­irmen sind von links oben bis rechts unten einige Karrierest­ationen zu sehen: die Filme „Schöner Gigolo, armer Gigolo“(1979), „Begierde“(1983“), „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“(1983), „Absolute Beginners“(1986), „Cat People“(1982, nur mit der Titelmusik Bowies), „Dotterbart“(1983), „Kopfüber in die Nacht“(1985), als Andy Warhol in „Basquiat“(1996), in „Twin Peaks – Fire walk with me“(1992), in „Prestige“(2006), als Pontius Pilatus in „Die letzte Versuchung Christi“(1988) und als er selbst in „Zoolander“(2001).
 ??  ?? David Bowie 2016 auf einem Pressefoto zu seinem letzen Album „Blackstar“.
FOTO: ISO/COLUMBIA
David Bowie 2016 auf einem Pressefoto zu seinem letzen Album „Blackstar“. FOTO: ISO/COLUMBIA
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany