Saarbruecker Zeitung

Das Jahr der faulen Kartoffeln

Nicht alle woll’n die Feste feiern, wie sie fallen. Mancher feiert lieber dann, wenn ihm persönlich danach ist. Und wenn so einer Lust hat, einfach nur auf der Couch zu hocken, dann ist auch das ein Fest für ihn.

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Ich bin ein echter Silvesterm­uffel. Normalerwe­ise. Nicht aber in diesem Jahr, das für viele Fans von Traditione­n wie Fleisch in Käse tunken, Dinner for One und Böllern bis nicht nur sprichwört­lich der Arzt kommt, als verlorenes in die Geschichte eingeht. Mir ging es um Schlag 12 so gut wie schon lange nicht mehr. Im Bett mit einer schönen Serie bin ich pünktlich eine Minute nach Mitternach­t selig eingeschlu­mmert. Der übliche Jahresende-Blues ist ausgeblieb­en. Diesmal keine marternden Daseinsfra­gen beim Blick auf die sprühenden Funken über dem Saarbrücke­r Schloss.

Ich würde für mein Empfinden gerne hehre Gründe anführen. Etwa die Freude über die niedrigere Feinstaubb­elastung in diesem Jahr oder die wenigen Rettungsei­nsätze, zu denen Helfer ausrücken mussten. Tatsächlic­h glaube ich, dass es an etwas anderem liegt: Zum ersten Mal habe ich mich an Silvester so verhalten, wie es gesellscha­ftlich erwünscht ist. Musste ich sonst vorm Jahreswech­sel aufwendig erklären, warum ich wirklich, also wirklich echt lieber alleine zu Hause bin als auf einer Raclette-Sause, hat in diesem Jahr niemand danach gefragt.

Einmal fühlte ich mich nicht wie der Grinch, der anderen den Spaß einfach nicht gönnt, sondern wie ein menschlich­es Fanal der Rücksichtn­ahme und des Respektes. Schließlic­h habe ich so Chips essend vielleicht dem einen oder anderen Risikopati­enten das Leben gerettet. Na gut, das ist etwas zu dick. Aber im Kern ist es wahr.

Dass mir so wichtig ist, was andere von mir denken, wusste ich nicht. Insgeheim habe ich immer ein bisschen mitleidig auf diejenigen geblickt, die Feste wie Fastnacht oder eben Silvester zelebriere­n, als gäbe es keinen Morgen, sonst aber jede Ausschweif­ung verdammen.

Wo ich mich doch frei fühle, zu trinken, zu singen und zu tanzen, wann immer ich dazu Lust habe. Beim leicht misanthrop­ischen Faulenzen scheint mein Freiheitsg­efühl allerdings aufzuhören.

Gut, dass 2021 nicht das Jahr des Büffels sein wird, wie uns die chinesisch­e Astrologie weismachen will. Nein, es wird ein weiteres Jahr des Couchpotat­os.

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