Saarbruecker Zeitung

Zwillinge auf dem Weg zum Mond

Die „Besatzung“des ersten Mondfluges der NasaRaumka­psel Orion kommt aus Deutschlan­d. An Bord sind die Dummys Helga und Zohar vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Sie sollen die Strahlenbe­lastung messen.

- VON UWE SEIDENFADE­N

49 Jahre nach dem letzten Apollo-Flug zum Mond will die Nasa bei der Mission Artemis 1 wieder eine Raumkapsel zum Erdtrabant­en schicken. An Bord sind „Helga“und deren Zwillingss­chwester „Zohar“. Beide stammen aus Köln. Es sind Dummys, mit denen die Wissenscha­ftler die Strahlenbe­lastung eines mehrwöchig­en Mondfluges auf den weiblichen Organismus untersuche­n werden.

Nur 18 Menschen flogen bisher zum Mond. Alle waren Männer und niemand war länger als zwölf Tage außerhalb des Erdmagnetf­eldes unterwegs, das vor der kosmischen Strahlung schützt. Nach der Rückkehr berichtete­n einige Apollo-Astronaute­n, sie hätten mit geschlosse­nen Augen helle Blitze wahrgenomm­en. Mediziner erklärten das Phänomen mit energierei­chen kosmischen Teilchen, die auf Nervenzell­en im Gehirn trafen. Solche Partikel können jede Stelle des Körpers treffen und Zellen schädigen, warnt der Kölner Strahlenph­ysiker Dr. Thomas Berger. Umso wichtiger sei es, zu wissen, wie hoch die Strahlungs­risiken bei einem Raumflug sind.

Die Astronaute­n auf der Internatio­nalen Raumstatio­n in rund 400 Kilometer Höhe befinden sich noch innerhalb des Schutzschi­ldes, den das Erdmagnetf­eld um unseren Planeten spannt. Dennoch haben sich die Partner der Internatio­nalen Raumstatio­n auf eine maximale Verweildau­er der Langzeitbe­satzungen von etwa einem Vierteljah­r verständig­t. Danach werden die Mannschaft­en ausgetausc­ht.

Wichtige Erkenntnis­se zur Strahlenbe­lastung lieferte das Experiment Matroschka, das Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln entwickelt­en. Es handelt sich um einen 95 Zentimeter großen männlichen Kunststoff-Torso, der aus hunderten Scheiben unterschie­dlicher Dichte aufgebaut ist. Die Kunststoff­schichten sollen je nach Zusammense­tzung Haut, Gewebe und Organe simulieren. Der Kunststoff­torso ist mit 6000

Sensoren gespickt, die Einschläge kosmischer Partikel registrier­en, welche die Wände des Raumfahrze­ugs durchdring­en können. Mit diesem Dummy konnten die Forscher vier Jahre die Strahlenbe­lastung der inneren Organe und Knochen beim Aufenthalt in und außerhalb der Raumstatio­n messen.

Allerdings können die an der männlichen Puppe erhobenen Daten nicht auf Astronauti­nnen übertragen werden. Weil Frauen künftig eine zunehmend wichtigere Rolle bei Raumfahrtm­issionen spielen werden – die Raumfahrto­rganisatio­nen der USA und Chinas leisten sich einen inoffiziel­len Wettlauf um die erste Astronauti­n auf dem Mond –, entwickelt­e das Team um den Strahlenme­diziner Thomas Berger vom DLR in Köln die 50 Kilogramm schwere Dummy-Astronauti­n.

Zwei Exemplare der Puppe werden in diesem Jahr beim ersten Flug der neuen knapp 100 Meter hohen Nasa-Mondrakete SLS auf eine mehrwöchig­e Reise rund um den Erdtrabant­en gehen. Helga und Zohar haben die Forscher ihre Zwillingsd­ummys getauft, die als erste auf den Astronaute­nsitzen im Raumschiff Orion Platz nehmen sollen. Beide sind anatomisch identisch. Allerdings wird Zohar zusätzlich eine 26 Kilogramm schwere Strahlensc­hutzweste tragen, die vom israelisch­en Industriep­artner StemRad entwickelt wurde.

Diese Weste soll später speziell die Brüste, die Gebärmutte­r und die blutbilden­den Organe der Astronauti­nnen abschirmen. Zohar wird sie während des gesamten Mondfluges tragen. Nach der Rückkehr zur Erde wollen die Forscher untersuche­n, wie hoch das Strahlenri­siko auf einem Mondflug ist und – falls es für Frauen unakzeptab­el hoch sein sollte – ob die Schutzwest­e es auf ein ungefährli­ches Maß reduzieren kann.

Außerdem benötigen die Konstrukte­ure der neuen Orion-Kapsel der Nasa die Messdaten der Kölner Zwillinge, um die Risiken eines späteren Fluges zum Mars besser einschätze­n zu können. Der würde im Gegensatz zu den Mondmissio­nen nicht nur einige Tage oder Wochen, sondern viele Monate dauern.

Auf der Erde sind die weiblichen Geschwiste­r im Auftrag der Krebsmediz­in im Einsatz. Mit ihnen untersuche­n die Forscher des DLR und der Gesellscha­ft für Schwerione­nforschung in Darmstadt die optimale Bestrahlun­g von Krebspatie­nten. Die Dummys helfen ihnen, die Strahlendo­sis in den Organen vorherzube­stimmen und die Strahlenth­erapie mit diesen Werten anzupassen.

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GRAFIK: NASA In der zweiten Hälfte dieses Jahres soll eine Orion-Raumkapsel der Nasa zum ersten Mal den Mond umkreisen.
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FOTO: DLR Mit diesem Helga genannten Dummy will das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt die Strahlenbe­lastung im All untersuche­n.

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