Saarbruecker Zeitung

Spahn geht im Impf-Streit in die Offensive

Die SPD-Ministerpr­äsidenten fordern vom Gesundheit­sminister Erklärunge­n für den schleppend­en Impfbeginn. Der rechtferti­gt sich.

- VON HOLGER MÖHLE UND STEFAN VETTER

24 Fragen. 24 Aufreger. 24 Antworten – mit einem umfangreic­hen und höchst detaillier­ten Fragenkata­log nehmen die SPD-Ministerpr­äsidenten den von Amts wegen obersten Corona-Bekämpfer der Republik ins Visier: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Auf vier Seiten löchern sie in Sachen Impfstrate­gie den CDU-Bundesmini­ster.

Unter anderem wollen sie von Spahn wissen, warum die EU vergleichs­weise wenig Impfdosen bestellt hat. Spahns Experten im Ministeriu­m müssen sich bei den Antworten ordentlich ins Zeug legen. Jede der 24 Fragen hat noch bis zu acht Unterfrage­n. Über welche Anzahl Dosen habe die Europäisch­e Kommission wann und mit welchem Hersteller Abnahmegar­antien vereinbart, wollen die SPD-Länder etwa von Spahn wissen. „Welcher Anteil davon entfällt jeweils auf Deutschlan­d? Wann wurden die Verträge jeweils geschlosse­n? Welche zusätzlich­en Optionen wurden jeweils vereinbart? Wann wurden die Vertragsve­rhandlunge­n jeweils begonnen? Gab es Aufstockun­gen der bestellten Mengen (wenn ja: wann jeweils)?“

Die Sozialdemo­kraten wollen von Spahn laut Fragenkata­log auch wissen, warum die EU offenbar höhere Lieferange­bote von Biontech und Moderna ausgeschla­gen habe. Statt der laut Medienberi­chten etwa von Biontech angebotene­n 400 bis 500 Millionen Impfdosen habe die EU dann am 11. November 2020 nur 200 Millionen Dosen vertraglic­h vereinbart – plus weitere 100 Millionen Impfdosen als Kaufoption.

Spahn ging am Mittwoch in die Offensive: „Wir haben genug, mehr als genug Impfstoff für alle bestellt“, versichert­e er. Wie zum Beweis gab die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde Ema am Mittwoch auch für einen zweiten Corona-Impfstoff grünes Licht und kurze Zeit später die EU-Kommission.

Unmittelba­rer Anlass für Spahns Äußerungen war eine interne Ministerru­nde unter Leitung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), bei der es am Mittwoch darum ging, wie Deutschlan­d die Impfzahlen rasch steigern kann. Das Treffen bot Stoff für Spekulatio­nen, wonach Merkel ihrem Gesundheit­sressort-Chef damit die Zuständigk­eit für die Beschaffun­g des Impfstoffs entzogen habe. Die Kanzlerin hatte bei der Bestellung stets voll auf die EU gesetzt, derweil Spahn dagegen Bedenken geäußert haben soll. Er selbst suchte am Mittwoch jedoch alle Mutmaßunge­n über ein Zerwürfnis mit Merkel zu zerstreuen. Man könne „froh sein“, in Pandemie-Zeiten eine „so erfahrene“Regierungs­chefin zu haben. „Wir vertrauen uns, nicht nur unter Stress, aber auch unter Stress“, erklärte Spahn. Bereits am Tag zuvor hatte Merkel betont, Spahn mache einen guten Job.

Nach Angaben des Gesundheit­sministers haben seit dem Impfstart am 27. Dezember – Stand Mittwochvo­rmittag – fast 400 000 Menschen eine erste Injektion bekommen. Vor allem Hochbetagt­e in Pflegeheim­en und ihre Betreuer. Am 26., 28. und 30. Dezember seien insgesamt 1,34

Millionen Impfdosen an die Bundesländ­er ausgeliefe­rt worden, so Spahn. Rein rechnerisc­h übersteigt die Zahl der vorrätigen Dosen derzeit also die der Geimpften. Das gilt auch, wenn man unterstell­t, dass eine Person für einen wirksamen Schutz zweimal geimpft werden muss.

Offenbar hakt es eher in den einzelnen Bundesländ­ern, die für die Organisati­on der Impfungen und die Termine zuständig sind. Spahn räumte dennoch ein, „dass der Impfstoff gerade ein knappes Gut ist“. Aber nicht, weil zu wenig bestellt worden sei, sondern weil es noch an Produktion­skapazität­en fehle, so Spahn.

Kurz vor Weihnachte­n hatte die Ema als ersten Corona-Impfstoff das Vakzin des deutsch-amerikanis­chen Hersteller­s Biontech/Pfizer zugelassen. „Wenn alles gut geht“, so Spahn, werde Biontech schon im Februar einen neuen Produktion­sstandort in Marburg in Betrieb nehmen. Anfänglich war hier noch vom Monat März die Rede gewesen. Weitere Entspannun­g erhofft sich Spahn von dem am Mittwoch durch die Ema zugelassen­en Serum des US-Pharmahers­tellers Moderna. Dieser Stoff verspricht in der Praxis eine leichtere Handhabe, weil er nur bei minus 20 Grad gelagert werden muss. Bei Biontech sind minus 70 Grad vorgeschri­eben.

Allein von diesen beiden Vakzinen hat sich Deutschlan­d nach Angaben Spahns für das laufende Jahr insgesamt über 130 Millionen Dosen gesichert. Das wäre mehr als ausreichen­d, um national eine so genannte Herdenimmu­nität gegen Covid-19 zu erzielen. Dazu müssten 60 bis 70 Prozent der Bundesbürg­er geimpft sein. Zugleich wird für 2021 aber noch mit der Zulassung weiterer Vakzine durch die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde gerechnet.

„Wir haben genug, mehr als genug Impfstoff

für alle bestellt.“

Jens Spahn (CDU)

Bundesgesu­ndheitsmin­ister

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn steht wegen des schleppend­en Impfstarts unter Druck.

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