Sozialdemokraten bewegen sich auf dünnem Eis
Vorhang auf! Das Superwahljahr hat begonnen. Zumindest der Vorwahlkampf ist eröffnet. Die SPD hat mit ihrer Kritik an der Impfstrategie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Aufschlag gemacht. Das ist insofern bemerkenswert (und auch ein wenig scheinheilig), weil die Sozialdemokraten an derselben Bundesregierung wie Spahn selbst auch beteiligt sind und sie im Corona-Kabinett regelmäßig jene Maßnahmen mitberaten, die später verkündet werden sollen.
Aber bitte, dieses Jahr ist ein sehr besonderes. Und diese große Koalition ist keine Liebesangelegenheit, sondern eine politische Zweckehe zum Wohle des Landes. Beide Partner, Unionsparteien und SPD, sind diese Verbindung im Frühjahr 2018 nicht mit Jubel eingegangen, die SPD nur unter allergrößten Bauch- und Kopfschmerzen. Den damaligen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz hat es am Ende (auch nach einigem Geschacher um das Amt des Außenministers) gar den Job als Parteichef gekostet.
Nun versucht sich die SPD früh im neuen Jahr von der Union abzusetzen. Irgendwie wollen die Sozialdemokraten ja raus aus ihrem Umfragedauertief mit Werten deutlich unter 20 Prozent – und auch raus aus der Groko. Die Sozialdemokraten haben in diesem Fall ihre SPD-geführten Bundesländer mit einem tatsächlich beeindruckenden Fragenkatalog an Spahn nach vorne geschickt, der jedem Untersuchungsausschuss alle Ehre machen würde. Bei dem Wissen, das die SPD da auftischt, stellt sich umgekehrt die Frage: Warum haben die Sozialdemokraten, vor allem die SPD-Ministerpräsidenten, solche Fragen nicht zeitig in den Bund-Länder-Runden gestellt? Dann wäre man jetzt vermutlich schon weiter.
Politisch ist der Angriff dazu gedacht, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in die Offensive und Gesundheitsminister Spahn in die Schusslinie zu bringen. Wer weiß derzeit schon, wer am Ende Kanzlerkandidat der Union wird? Scholz ist nach erster Aufregung aus Reihen der Unionsparteien prompt wieder ein wenig zurückgerudert. Aber ein erstes Signal im neuen Jahr hat der Vize-Kanzler dieser Groko gegeben: Er will auch Kanzler.
Doch die SPD bewegt sich mit ihrem Scholz-Katalog und allen berechtigten Fragen darin auf dünnem Eis. Offensive ist eine wunderbare Sache, solange man im Ballbesitz ist. In diesen Januar-Corona-Wochen aber geht es um sehr viel mehr als um kurzfristigen politischen Geländegewinn. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass man einen Schlüsselspieler des politischen Gegners – und das ist Spahn in der Funktion des Gesundheitsministers in jedem Fall – angezählt sehen möchte, muss staatspolitische Verantwortung vor dem schnellen Erfolg stehen, erst recht vor Effekthascherei. Die SPD war immer eine Partei, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung stets gestellt hat, siehe ihren bis dato letzten und äußerst schmerzhaften Gang in diese große Koalition. Sie sollte gerade in dieser schwierigen Lage für das ganze Land nicht überziehen. Opposition in der Koalition hat noch nie funktioniert.