Saarbruecker Zeitung

Zweischnei­diges Schwert für Österreich­s Öko-Partei

Im ersten Jahr der Koalition von konservati­ver ÖVP und Grünen in der Alpenrepub­lik zwang Corona die Regierungs­partner zur Flexibilit­ät.

- VON CHRISTINA PETERS UND MATTHIAS RÖDER

(dpa) „Unser Zugang ist: Koste es, was es wolle. Um österreich­ische Arbeitsplä­tze zu retten.“Mit seinem frühen Bekenntnis zum öffentlich­en Geldregen in der Corona-Pandemie hat Österreich­s Kanzler und ÖVPChef Sebastian Kurz schon im März ein zentrales Ziel seiner neuen Koalition aufgegeben. Sein internatio­nal beachtetes Bündnis mit den Grünen sollte eine Fortsetzun­g von – nach deutschem Vorbild – Etatdiszip­lin und Schwarzer Null bringen. Stattdesse­n kletterte die Staatsschu­ldenquote 2020 laut Wirtschaft­skammer von 70,5 auf 84,2 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Im ersten Jahr der Zusammenar­beit von konservati­ver ÖVP und Grünen – die Regierung war am 7. Januar 2020 vereidigt worden – zwang das Virus beide Partner zur Flexibilit­ät. Für die Grünen war die neue Regierungs­erfahrung auf Bundeseben­e schon ohne Corona ein teils schmerzhaf­ter, lehrreiche­r Prozess.

Das größte Dilemma entstand für die Grünen, die sich gern als Menschenre­chts-Partei positionie­ren, im September mit der Diskussion über die Aufnahme von Flüchtling­skindern aus dem abgebrannt­en Lager Moria in Griechenla­nd. Sie stimmten zur Enttäuschu­ng mancher Anhänger im Parlament gegen die – eigentlich der eigenen Parteilini­e entspreche­nden – Anträge der Opposition

zur Aufnahme von 100 Kindern. „Wenn wir dafür stimmen, begehen wir Koalitions­bruch“, sagte Fraktionsc­hefin Sigrid Maurer damals. Die ÖVP würde sich in Migrations­fragen – das ist ein Schlupfloc­h im Koalitions­vertrag – sonst ohnehin eine Mehrheit zusammen mit anderen Parteien wie der rechten FPÖ suchen.

Die schon fast verzweifel­t wirkende Linie der Grünen: Für die Aufnahme öffentlich werben und den Koalitions­partner zu überzeugen versuchen. Kurz und die ÖVP betonen, weiter auf Hilfe vor Ort setzen zu wollen. Das Konzept wurde vor wenigen Tagen ergänzt um die Ankündigun­g, eine Tagesbetre­uungsstätt­e für 500 Kinder auf Lesbos errichten zu wollen. Der Druck auf Kurz war jüngst deutlich gewachsen. Die Spitzen der Kirchen sowie der Ex-Grünen-Chef und heutige Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen („Wir haben Platz genug“) plädierten für eine humanitäre Geste des reichen Landes.

Auch beim Themenkata­log für den Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss und den geplanten Anti-Terror-Maßnahmen nach dem islamistis­chen Anschlag in Wien, die die Möglichkei­t einer lebenslang­en Verwahrung für radikale Islamisten vorsehen, haben die Grünen wohl zur Überraschu­ng vieler Anhänger die ÖVP-Linie mitgetrage­n. „Die grüne DNA wurde mehrfach verletzt“, bilanziert der Politikber­ater Thomas Hofer.

In Klimafrage­n gibt es immerhin das Erneuerbar­e-Ausbau-Gesetz (EAG), das Österreich mittelfris­tig auf Ökostrom umstellen soll, und ein attraktive­s landesweit­es Ticket für Bus und Bahn auf Schiene.

Doch geprägt hat das erste Jahr der neuen Regierung naturgemäß die Corona-Krise. „Das Jahr war fremdgeste­uert“, so Hofer. Der grüne Gesundheit­sminister Rudolf Anschober wurde zeitweise der neue Star der Regierung, aber dann erfüllten weder die Corona-App noch die Corona-Ampel als differenzi­ertes regionales Warnsystem die Erwartunge­n. Die anfangs im Vergleich mit anderen Ländern so günstigen Corona-Infektions­zahlen stiegen vor wenigen Wochen dramatisch an. Nun soll es ein dritter Lockdown richten.

Die finanziell­e Reparatur der Corona-Schäden wird in den nächsten Jahren wohl zur Nagelprobe. Für die Grünen steht eine Lasten-Gerechtigk­eit ganz oben. Schon früh in der Krise hat Vizekanzle­r und Grünen-Chef Werner Kogler mit dem Hinweis: „Ich bin für einen rigorosen Beitrag von Millionen- und Milliarden­erben“für Erbschafts- und Schenkungs­steuern geworben. Das würde zumindest bisherige rote Linien der ÖVP überschrei­ten.

„Die grüne DNA wurde

mehrfach verletzt.“

Thomas Hofer

Politikber­ater

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