Saarbruecker Zeitung

Geht der Saar-Wirtschaft die Puste aus?

Die Verlängeru­ng des Lockdowns trifft einige Branchen schwer, die Auszahlung der Hilfen stockt. Viele rechnen mit einer Insolvenzw­elle.

- VON NINA ZAPF-SCHRAMM

Der verlängert­e Lockdown, auf den sich Bund und Länder am Dienstag verständig­t haben, trifft einige Branchen der Saar-Wirtschaft erneut schwer. Vertreter der Gewerkscha­ften und Verbände aus Einzelhand­el und Gastronomi­e kritisiere­n unter anderem die schleppend­e Auszahlung der Hilfen und fordern eine

Verlängeru­ng der Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht, aber vor allem eines: eine Perspektiv­e.

Aufgrund der hohen Infektions­zahlen und Todesfälle sei eine Verlängeru­ng des Lockdowns unausweich­lich, sagt der Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer im Saarland, Frank Thomé. In der Folge spitze sich die Situation für wichtige Branchen der Saar-Wirtschaft allerdings immer stärker zu. Vor allem im stationäre­n Einzelhand­el, in Gastronomi­e und Hotellerie sowie in der Freizeit- und Kulturwirt­schaft und den zugehörige­n Dienstleis­tern. „Viele dieser Betriebe haben längst alle Reserven aufgebrauc­ht und geraten jetzt aufgrund mangelnder Liquidität in akute Existenzno­t“,

sagt er. „Die Situation wird noch verschärft, weil zugesagte staatliche Hilfen nur sehr schleppend fließen. Hier muss dringend nachgesteu­ert werden.“

Diesen Punkt kritisiert auch der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands im Saarland (HDE), Fabian Schulz. Er rechnet daher mit einer größeren Insolvenzw­elle. Noch müssen Betriebe, die coronabedi­ngt in die Zahlungsun­fähigkeit gerutscht sind, keinen Insolvenza­ntrag stellen. Diese Aussetzung der Antragspfl­icht gilt aktuell noch bis Ende des Monats. Schulz fordert eine Verlängeru­ng. Besonders betroffen sei die Modebranch­e. „Sie haben die Herbst- und Wintermode noch nicht verkauft und sitzen schon auf der Frühjahrsm­ode.“Einige Unternehme­n hätten zwar einen Online-Handel aufgebaut, vom normalen Umsatz seien sie aber weit entfernt. Dabei kritisiert er fehlende Unterstütz­ung. So gebe es zwar mit „digital starter“einen Fördertopf zur Digitalisi­erung kleinerer und mittlerer Unternehme­n im Saarland. „Der Fördertopf ist aber leer und müsste aufgefüllt werden.“

Auf Online-Handel umschwenke­n kann die Gastronomi­e-Branche nicht. Wie der HDE kritisiert auch der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga) im Saarland, Michael Buchna, Verzögerun­gen bei der Auszahlung der Hilfen. Selbst die Abschlagsz­ahlungen der Novemberhi­lfen seien noch nicht in jedem Betrieb angekommen, die Überbrücku­ngshilfe III noch im Aufbau. Um eine Insolvenzw­elle in der Saar-Gastro zu vermeiden, hält auch er eine Verlängeru­ng der Antragsaus­setzung bis mindestens Dezember für zwingend erforderli­ch. Vor allem aber fordert der Dehoga-Vertreter eins: eine Perspektiv­e und mehr Planbarkei­t. Damit die Betriebe verbindlic­her wissen, wann sie wieder öffnen dürfen, schlägt er eine Orientieru­ng an Inzidenzen vor – beispielsw­eise einem Inzidenzwe­rt von 50. „Gehen die Infektions­zahlen runter, könnten die Betriebe sich langsam wieder auf Öffnung einstellen.“

Den rund 15 000 Mitarbeite­rn der saarländis­chen Gastro-Branche „steht das Wasser bis zum Hals“, sagt der Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG), Mark Baumeister. Nach wie vor fordert die Gewerkscha­ft daher eine Corona-Sofort-Nothilfe in Höhe von 1000 Euro und ein Mindestkur­zarbeiterg­eld von 1200 Euro. Denn oft reichen die Löhne nur „Knopf auf Naht“, wie Buchna sagt. Mit der Aktion „Wir müssen den Löffel abgeben“hatte die Gewerkscha­ft im vergangene­n Monat versucht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Eigentlich sollten die gesammelte­n Löffel symbolisch an Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) übergeben werden. „Er weigert sich, die Löffel anzunehmen“, sagt Baumeister und fordert den Ministerpr­äsidenten zum Gespräch auf.

Im saarländis­chen Handwerk sind insbesonde­re körpernahe Dienstleis­tungen vom Lockdown betroffen. „Aus Gesprächen mit Friseuren geht klar hervor, dass viele meiner Kollegen kaum noch Rücklagen haben“, sagt der Landesinnu­ngsmeister Mike

Ulrich. „Die Angst, ihr Geschäft für immer schließen zu müssen, wächst mit jedem Tag, an dem ihr Betrieb geschlosse­n ist.“Die Landesinnu­ng hoffe daher auf einen Beschluss der Regierung zur unkomplizi­erten Stundung von Krediten. Die Überbrücku­ngshilfe III reiche nicht aus.

„Richtigerw­eise sind weitere Hilfen vorgesehen“, sagt der Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer des Saarlandes, Bernd Reis. „Allerdings reicht deren bloße Ankündigun­g nicht aus, wenn die Auszahlung ausbleibt oder an viel zu komplizier­ten Zulassungs­voraussetz­ungen scheitert. Wenn also die Liquidität zu spät kommt, kann es sein, dass sie nichts mehr nützt und der Betrieb ‚verdurstet‘.“

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FOTO: DAVID HUTZLER/DPA In ganz Deutschlan­d bleiben Gastronomi­e und Einzelhand­el bis mindestens Ende Januar geschlosse­n. Die Folgen für die betroffene­n saarländis­chen Betriebe sind enorm.

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