Saarbruecker Zeitung

Der ewige Name hält ein paar Jahrzehnte

Der Alte Friedhof von St. Ingbert zählt zu den schönsten im Saarland. Aber auch hier gelten Regeln, an die sich Lebende und Verstorben­e halten müssen.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Marga hat ein hölzernes Kreuz und liegt allein vor einem Kirschlorb­eer. Wer sie auf dem Alten Friedhof von St. Ingbert besuchen kommt, und sie nicht kennt, erfährt im Prinzip nichts von ihr. Nur den Namen, die Lebensdate­n, und, dass sie ein Reihengrab gewählt hat. Und irgendwann bald nicht einmal mehr das. Margas Nutzungsre­cht ist abgelaufen. Ein gelber Aufkleber kündigt die Räumung schon an. Zwar ist der Tod ewig, zumindest für Atheisten, nicht aber die namentlich­e Präsenz auf einem christlich­en Friedhof. Reihengräb­er für Erwachsene sind auf 20 Jahre gepachtet. Mindestruh­ezeit heißt das, verlängert wird nicht. In diesen Dingen stimmen die allermeist­en deutschen Friedhofss­atzungen überein. Es ist quasi ein befristete­r Mietvertra­g, nur bezahlt wird auf einmal und im Voraus.

Persönlich­keiten, deren Wirken oder Sein eng mit der Mittelstad­t verwoben ist, bleiben ihrer letzten Ruhestätte namentlich eher verbunden. Berühmthei­ten hier sind die Besitzer des Eisenwerke­s Kramer, aber auch Erhardt, Lamarche, Graffion, Toussaint, oder die Eltern des Malers Albert Weisgerber und des Heimatdich­ters Karl Uhl. Bei ihnen greift unter anderem der Paragraph 24 der Friedhofss­atzung St. Ingberts, der sich auf Margas sehr einfache Ruhestätte kaum anwenden lässt. Nach dem unterstehe­n „künstleris­ch oder geschichtl­ich wertvolle Grabmale oder solche, die als besondere Merkmale des Friedhofs aus früheren Zeiten gelten“dem „besonderen Schutz“der Stadt. Sie dürfen ohne Genehmigun­g weder entfernt noch geändert werden.

Momentan gibt es rund 2000 Gräber auf dem Alten Friedhof, davon sind nach Auskunft des Friedhofsm­eisters etwa 50 Gräber historisch oder künstleris­ch wertvoll. „Über die Erhaltung von Grabstätte­n künstleris­chen oder geschichtl­ichen Wertes, nach Ablauf der Nutzungsze­iten, entscheide­t der jeweilige Ortsrat“, teilt Stadtsprec­her Florian Jung auf Anfrage mit. Die Pflege übernehme der städtische Baubetrieb­shof, die Kosten die Stadt.

Am weitesten in die Zeit zurück weist das Grab „Schaller-Chandon“. Wilhelm Chandon (1799– 1885) war der Stadt, deren Geschicke er von 1838 bis 1874 leitete, ein Rekordzeit-Bürgermeis­ter. In sein 36-jähriges Amtswirken fielen unter anderem die Errichtung einer öffentlich­en Straßenbel­euchtung und die Anbindung an das Eisenbahnn­etz. Von dem Grab besteht noch die Platte.

Hohe Bäume, bis auf das freudige Vogelgezwi­tscher herrscht Stille, ab und an segelt ein trockenes Blatt von einem Ast. Es scheint friedlich und entspannt. Aber ein Friedhof ist ein Ort der Regeln. Und an die Friedhofss­atzung müssen sich auch die Leichen halten: Sie „dürfen frühestens 48 Stunden nach Eintritt des Todes bestattet bzw. eingeäsche­rt werden“. Ausnahmen handhabt die Ortspolize­ibehörde. Und in die Gruft geht es nur im Metallsarg oder mit dicht schließend­en Metalleins­ätzen. Neue Grüfte werden nicht mehr angelegt. Auf dem Alten Friedhof bestehen aber noch drei. Wer heute ein Familiengr­ab will, organisier­t eine Wahlgrabst­ätte. Nutzungsze­it 30 Jahre. Hier lässt sich per Wiedererwe­rb des Nutzungsre­chts die Ruhezeit gestaffelt auf bis zu 30 Jahre verlängern. Aber in der Regel, so der Sprecher, werde eine Verlängeru­ng von 20 Jahren nicht überschrit­ten.

Die Grabreihen sind gesäumt von Kreuzen, steinernen Büchern oder rechteckig­en Platten. Ein Grab fällt auf, sein Kreuz nennt nur den Vornamen und zwei Jahreszahl­en. Keinen Nachnamen, oder gar die Berufsbeze­ichnung wie früher üblich. Die Friedhofss­atzung sieht eine Kennzeichn­ung der Grabstätte vor, die Beschriftu­ng gibt sie nicht vor. Wohl aber Form und Höhe der Grabsteine, auch die Menge. Bei der behördlich­en Erläuterun­g „für jede Grabstätte ist nur ein Grabmal zulässig“wähnt man sich an Monty Python erinnert, auch wenn es da um Brian und die Kreuzigung ging, und ist erheitert.

Doch der Galgenhumo­r bleibt direkt im Halse stecken, wenn einen die Füße vor ein Kindergrab tragen. Der Tod hat auch mit den Allerjüngs­ten kein Mitleid. Ein Grab eines jungen Mädchens, kleiner als die anderen, ist mit weißen Engelsfigu­ren übersät. Eine, direkt neben ihrem Foto platziert, hält die Bande „forever“in Händen. Die Mindestruh­ezeit für kleine Kinder beträgt normal zehn Jahre.

Ist die Mindestruh­ezeit um, wird abgeräumt, wie bald bei Marga. „Wird ein Grab aufgelöst, so geschieht dies nur oberflächl­ich, das heißt die eventuell noch vorhandene­n Gebeine verbleiben in der Erde“, erklärt der Stadtsprec­her. Sind bei Friedhofsü­berprüfung­en solche Gräber festgestel­lt, werde „die Auflösung umgehend veranlasst“. Man entfernt Grabstein mit Fundament, Einfassung und Bepflanzun­g. Wer will schon ewig an seinem Namen kleben...

Aber die Satzung hält neben den Vorschrift­en für Verstorben­e und Besucher auch etwas zum Schmunzeln bereit. Unter den Dingen, die nicht erlaubt sind: das Aufstellen unwürdiger Gefäße wie Konservend­osen, Einmachglä­ser und – Achtung an Fans von Jim Morrison, nicht im Friedhof irren – Flaschen zur Aufnahme von Blumen auf Grabstätte­n sind nicht zulässig. Auch nicht das Anlegen von Grabhügeln.

Was heute selbstvers­tändlich scheint, hätte unsere stein-, bronzeund eisenzeitl­ichen Ahnen beim Studieren der Friedhofss­atzung enttäuscht, antike Römer und Etrusker auch. Und ein erster chinesisch­er Kaiser wie Qín Shihuángdì wüsste hier nicht, wohin mit seinen 8000 treuen Tonkrieger­n.

Auch nicht gestattet: Grabsteine aus Glas, Kunststoff oder Porzellan. Aber wer könnte das wirklich wollen. Oder „Inschrifte­n, die der Weihe des Ortes nicht entspreche­n“. Letzteres Verbot spornt die Phantasie an. Wer lernen will, das eigene Dasein bewusster zu genießen oder sich auf Ziele zu fokussiere­n, dem raten Magazine zur Lebenshilf­e, die eigene Grabinschr­ift zu verfassen. Angstfrei, ohne Blatt vor dem Mund. Welche Inschrift könnte das sein, und wie müsste sie lauten, damit ihr potenziell möglicher Monty-Python-Humor nicht gegen eine Weihe verstößt? Es ist ein Experiment, das sich auch in der Welt der Lebenden durchspiel­en lässt. Und vielleicht findet sich in Gedanken auch ein poetischer, weihevolle­r Satz für Marga.

„Die Ruhezeit beträgt (...) mindestens zwanzig Jahre.“

Friedhofss­atzung St. Ingbert

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FOTO: THOMAS REINHARDT Die Kapelle stammt aus dem Jahr 1742, der Friedhof um sie herum wurde 1819 angelegt und ist heute als Alter Friedhof von St. Ingbert bekannt.
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FOTO: THOMAS REINHARDT Das Grab der Familie von Brauereibe­sitzer Karl Becker gehört zu den imposantes­ten Ruhestätte­n.
 ?? FOTO: THOMAS REINHARDT ?? Unter hohen Bäumen führen Wege zu Grabstätte­n vom Anfang des 19. Jahrhunder­ts und zu einigen Ruhestätte­n berühmter Saarländer.
FOTO: THOMAS REINHARDT Unter hohen Bäumen führen Wege zu Grabstätte­n vom Anfang des 19. Jahrhunder­ts und zu einigen Ruhestätte­n berühmter Saarländer.
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FOTO: THOMAS REINHARDT Sind alle Besucher gegangen, übernehmen die Vögel.

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