Der ewige Name hält ein paar Jahrzehnte
Der Alte Friedhof von St. Ingbert zählt zu den schönsten im Saarland. Aber auch hier gelten Regeln, an die sich Lebende und Verstorbene halten müssen.
Marga hat ein hölzernes Kreuz und liegt allein vor einem Kirschlorbeer. Wer sie auf dem Alten Friedhof von St. Ingbert besuchen kommt, und sie nicht kennt, erfährt im Prinzip nichts von ihr. Nur den Namen, die Lebensdaten, und, dass sie ein Reihengrab gewählt hat. Und irgendwann bald nicht einmal mehr das. Margas Nutzungsrecht ist abgelaufen. Ein gelber Aufkleber kündigt die Räumung schon an. Zwar ist der Tod ewig, zumindest für Atheisten, nicht aber die namentliche Präsenz auf einem christlichen Friedhof. Reihengräber für Erwachsene sind auf 20 Jahre gepachtet. Mindestruhezeit heißt das, verlängert wird nicht. In diesen Dingen stimmen die allermeisten deutschen Friedhofssatzungen überein. Es ist quasi ein befristeter Mietvertrag, nur bezahlt wird auf einmal und im Voraus.
Persönlichkeiten, deren Wirken oder Sein eng mit der Mittelstadt verwoben ist, bleiben ihrer letzten Ruhestätte namentlich eher verbunden. Berühmtheiten hier sind die Besitzer des Eisenwerkes Kramer, aber auch Erhardt, Lamarche, Graffion, Toussaint, oder die Eltern des Malers Albert Weisgerber und des Heimatdichters Karl Uhl. Bei ihnen greift unter anderem der Paragraph 24 der Friedhofssatzung St. Ingberts, der sich auf Margas sehr einfache Ruhestätte kaum anwenden lässt. Nach dem unterstehen „künstlerisch oder geschichtlich wertvolle Grabmale oder solche, die als besondere Merkmale des Friedhofs aus früheren Zeiten gelten“dem „besonderen Schutz“der Stadt. Sie dürfen ohne Genehmigung weder entfernt noch geändert werden.
Momentan gibt es rund 2000 Gräber auf dem Alten Friedhof, davon sind nach Auskunft des Friedhofsmeisters etwa 50 Gräber historisch oder künstlerisch wertvoll. „Über die Erhaltung von Grabstätten künstlerischen oder geschichtlichen Wertes, nach Ablauf der Nutzungszeiten, entscheidet der jeweilige Ortsrat“, teilt Stadtsprecher Florian Jung auf Anfrage mit. Die Pflege übernehme der städtische Baubetriebshof, die Kosten die Stadt.
Am weitesten in die Zeit zurück weist das Grab „Schaller-Chandon“. Wilhelm Chandon (1799– 1885) war der Stadt, deren Geschicke er von 1838 bis 1874 leitete, ein Rekordzeit-Bürgermeister. In sein 36-jähriges Amtswirken fielen unter anderem die Errichtung einer öffentlichen Straßenbeleuchtung und die Anbindung an das Eisenbahnnetz. Von dem Grab besteht noch die Platte.
Hohe Bäume, bis auf das freudige Vogelgezwitscher herrscht Stille, ab und an segelt ein trockenes Blatt von einem Ast. Es scheint friedlich und entspannt. Aber ein Friedhof ist ein Ort der Regeln. Und an die Friedhofssatzung müssen sich auch die Leichen halten: Sie „dürfen frühestens 48 Stunden nach Eintritt des Todes bestattet bzw. eingeäschert werden“. Ausnahmen handhabt die Ortspolizeibehörde. Und in die Gruft geht es nur im Metallsarg oder mit dicht schließenden Metalleinsätzen. Neue Grüfte werden nicht mehr angelegt. Auf dem Alten Friedhof bestehen aber noch drei. Wer heute ein Familiengrab will, organisiert eine Wahlgrabstätte. Nutzungszeit 30 Jahre. Hier lässt sich per Wiedererwerb des Nutzungsrechts die Ruhezeit gestaffelt auf bis zu 30 Jahre verlängern. Aber in der Regel, so der Sprecher, werde eine Verlängerung von 20 Jahren nicht überschritten.
Die Grabreihen sind gesäumt von Kreuzen, steinernen Büchern oder rechteckigen Platten. Ein Grab fällt auf, sein Kreuz nennt nur den Vornamen und zwei Jahreszahlen. Keinen Nachnamen, oder gar die Berufsbezeichnung wie früher üblich. Die Friedhofssatzung sieht eine Kennzeichnung der Grabstätte vor, die Beschriftung gibt sie nicht vor. Wohl aber Form und Höhe der Grabsteine, auch die Menge. Bei der behördlichen Erläuterung „für jede Grabstätte ist nur ein Grabmal zulässig“wähnt man sich an Monty Python erinnert, auch wenn es da um Brian und die Kreuzigung ging, und ist erheitert.
Doch der Galgenhumor bleibt direkt im Halse stecken, wenn einen die Füße vor ein Kindergrab tragen. Der Tod hat auch mit den Allerjüngsten kein Mitleid. Ein Grab eines jungen Mädchens, kleiner als die anderen, ist mit weißen Engelsfiguren übersät. Eine, direkt neben ihrem Foto platziert, hält die Bande „forever“in Händen. Die Mindestruhezeit für kleine Kinder beträgt normal zehn Jahre.
Ist die Mindestruhezeit um, wird abgeräumt, wie bald bei Marga. „Wird ein Grab aufgelöst, so geschieht dies nur oberflächlich, das heißt die eventuell noch vorhandenen Gebeine verbleiben in der Erde“, erklärt der Stadtsprecher. Sind bei Friedhofsüberprüfungen solche Gräber festgestellt, werde „die Auflösung umgehend veranlasst“. Man entfernt Grabstein mit Fundament, Einfassung und Bepflanzung. Wer will schon ewig an seinem Namen kleben...
Aber die Satzung hält neben den Vorschriften für Verstorbene und Besucher auch etwas zum Schmunzeln bereit. Unter den Dingen, die nicht erlaubt sind: das Aufstellen unwürdiger Gefäße wie Konservendosen, Einmachgläser und – Achtung an Fans von Jim Morrison, nicht im Friedhof irren – Flaschen zur Aufnahme von Blumen auf Grabstätten sind nicht zulässig. Auch nicht das Anlegen von Grabhügeln.
Was heute selbstverständlich scheint, hätte unsere stein-, bronzeund eisenzeitlichen Ahnen beim Studieren der Friedhofssatzung enttäuscht, antike Römer und Etrusker auch. Und ein erster chinesischer Kaiser wie Qín Shihuángdì wüsste hier nicht, wohin mit seinen 8000 treuen Tonkriegern.
Auch nicht gestattet: Grabsteine aus Glas, Kunststoff oder Porzellan. Aber wer könnte das wirklich wollen. Oder „Inschriften, die der Weihe des Ortes nicht entsprechen“. Letzteres Verbot spornt die Phantasie an. Wer lernen will, das eigene Dasein bewusster zu genießen oder sich auf Ziele zu fokussieren, dem raten Magazine zur Lebenshilfe, die eigene Grabinschrift zu verfassen. Angstfrei, ohne Blatt vor dem Mund. Welche Inschrift könnte das sein, und wie müsste sie lauten, damit ihr potenziell möglicher Monty-Python-Humor nicht gegen eine Weihe verstößt? Es ist ein Experiment, das sich auch in der Welt der Lebenden durchspielen lässt. Und vielleicht findet sich in Gedanken auch ein poetischer, weihevoller Satz für Marga.
„Die Ruhezeit beträgt (...) mindestens zwanzig Jahre.“
Friedhofssatzung St. Ingbert