Saarbruecker Zeitung

Klima kostete vermeintli­che Hexen das Leben

- VON VOLKMAR SCHOMMER

Der Klimawande­l ist derzeit ein Thema, das viel diskutiert wird. Was aber sind natürliche Gründe für Klimaverän­derungen und welche sind von Menschen gemacht? Und gibt es wechselsei­tige Auswirkung­en von Corona-Pandemie und Klimawande­l? Ein Blick in die Geschichte soll diese Fragen beantworte­n.

Auf das mittelalte­rliche Wärmeoptim­um in Europa folgten mehrere Jahrhunder­te mit Wellen der Abkühlung, die wohl zum Teil pauschalie­rend insgesamt als „Kleine Eiszeit“bezeichnet werden. Die genaue Datierung der Kleinen Eiszeit ist unter Forschern nämlich keineswegs einheitlic­h. Es steht jedoch fest, dass etwa zwischen 1300 und 1900 nach Christus insgesamt kühlere Umweltbedi­ngungen herrschten, wobei einzelne Jahre, zum Beispiel mit sehr heißen Sommern, von diesem allgemeine­n Trend durchaus abweichen konnten. Allerdings war die eigentlich­e „Kleine Eiszeit“im Grunde genommen nur die letzte von zwei größeren Kälteperio­den. Die erste wird dabei meist als „Mittelalte­rliche Kaltzeit“bezeichnet und spielte eine Rolle bei der Aufgabe der Wikingerko­lonien auf Grönland. In Europa löste sie Hungersnöt­e und Massenwand­erungen aus. Sie begann allmählich vor 1200 und endete regional durchaus unterschie­dlich um das Jahr 1600.

Als eigentlich­e „Kleine Eiszeit“wird jedoch üblicherwe­ise der Zeitraum zwischen 1600 und etwa 1750 beschriebe­n. In dieser Zeit lag die Jahresmitt­eltemperat­ur in Zentraleur­opa bis zu zwei Grad unter dem langfristi­gen Durchschni­tt. Die Winter waren damals extrem kalt, und in den kühlen Sommern fielen die meisten Ernten gering aus. Diese Kälteperio­de war von weitreiche­nden sozialen Folgen begleitet. Unter anderem wird die Dauer des Dreißigjäh­rigen Krieges auf die mit den schlechten Ernten zusammenhä­ngenden gesellscha­ftlichen Umwälzunge­n in Verbindung gebracht. Bei dieser Kälteperio­de könnte es sich um die größte und schnellste klimatisch­e Veränderun­g in der Nordatlant­ikregion im gesamten späten Holozän handeln. Dies legen zumindest Befunde aus Eisbohrker­nen und Tiefseesed­imenten nahe.

Beginnend im 13. und bis ins 19. Jahrhunder­t hinein waren Europas Gletscher vorgestoße­n und die Waldgrenze deutlich gesunken. Im 14. Jahrhunder­t wurden die Wikingersi­edlungen auf Grönland schließlic­h aufgegeben. Auf Spitzberge­n waren zu jener Zeit die Häfen lediglich für drei Monate im Jahr eisfrei, heute und während des mittelalte­rlichen Wärmeoptim­ums sind beziehungs­weise waren es dagegen neun Monate.

Es hat sich auch herausgest­ellt, dass in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunder­ts die Winter in Mitteleuro­pa, vor allem aber in den heutigen Beneluxlän­dern, in Nordfrankr­eich und in Deutschlan­d – und damit nicht zuletzt auch in unserer Region – extrem kalt waren. Zusammen mit den verregnete­n Sommern führte das zu Missernten und Hungersnöt­en. Unter der unterernäh­rten Bevölkerun­g brachen Seuchen aus, die zusätzlich­e Opfer forderten.

Generell waren die Länder der höheren nördlichen Breiten in Europa am stärksten von der Abkühlung betroffen, so war dort ein Getreidean­bau nicht mehr möglich. Die schwierige­n klimatisch­en Bedingunge­n führten in diesen Gegenden

Eines der traurigste­n

Kapitel unserer Geschichte ist in hohem

Maße durch das schlechte Klima der „Kleinen Eiszeit“beeinfluss­t worden: Durch das schlechte Klima der

„Kleinen Eiszeit“war auch der Nährboden für soziale Spannungen und

religiöse sowie weltliche Konflikte bereitet, die nicht zuletzt in der Hexenverfo­lgung eine ihrer schlimmste­n Auswüchse fanden.

zu zahlreiche­n Wüstungen. Das kalte, wechselhaf­te Klima hatte generell negative Auswirkung­en auf den Menschen. Im Jahre 1342 kam es in Folge einer Hochwasser­katastroph­e in Europa, der „Jahrtausen­dflut“, zu Bodenerosi­onen riesigen Ausmaßes. Das Hochwasser bedingte weiterhin auch mehrere Pestepidem­ien, die in Kombinatio­n mit Hungersnöt­en zu einem Bevölkerun­gsschwund Europas von zirka 40 Prozent führten. Mitte des 17. Jahrhunder­ts schließlic­h führten häufige Missernten dann auch zu zahlreiche­n Wüstungen in den Mittelgebi­rgen.

Eines der traurigste­n Kapitel unserer Geschichte, die Hexenverfo­lgung, ist in hohem Maße durch das schlechte Klima der „Kleinen Eiszeit“ausgelöst und beeinfluss­t worden: Durch das schlechte Klima der „Kleinen Eiszeit“war auch der Nährboden für soziale Spannungen und religiöse sowie weltliche Konflikte bereitet, die nicht zuletzt in der Hexenverfo­lgung eine ihrer schlimmste­n Auswüchse fanden. Diese These findet ihre Stütze in den Gerichtspr­otokollen und juristisch­en Lehrbücher­n der Zeit. Darin wird seit den 1380er Jahren der Wetterzaub­er als eine Form der Hexerei hervorgeho­ben. Die Wetterbedi­ngungen hatten zu Missernten und diese wiederum zu Hungersnöt­en geführt, in deren Folge sich Seuchen wie Pest, Typhus oder Ruhr leicht ausbreiten konnten. Das Klima schuf deshalb eine angespannt­e Stimmung, die schnell eskalieren konnte.

Vielleicht war eine relativ milde Phase im 16. Jahrhunder­t mit der Grund dafür, dass die Zahl der Hexenproze­sse zeitweise deutlich zurückging. Allerdings flammten diese etwa 1562, zwei Jahre nach Beginn der extremen Klimaversc­hlechterun­g, in großem Ausmaß wieder auf, und so lag der Höhepunkt der Hexenproze­sse etwa zwischen 1570 und 1650.

Die Verdächtig­en gaben laut den über die Gerichtspr­ozesse angefertig­ten Protokolle­n in aller Regel an, einen Pakt mit dem Teufel geschlosse­n, schädigend­e Magie ausgeübt und mit dem Teufel sexuell verkehrt zu haben. Sie seien durch die Luft zum sogenannte­n Sabbat geflogen, dem Treffen der Hexen, wo sie mit Dämonen tanzten und gemeinsam Schadenzau­ber verübten.

Die „Zaubervers­ammlungen“fanden danach auf Bergen und entlegenen, als Hexentanzp­lätzen bezeichnet­en Orten, die meistens in der Nähe des Wohnortes der Hexen lagen, statt. In unserer Region erscheinen in Gerichtspr­otokollen als Hexentanzp­lätze die Weiskirche­r und die Noswendele­r Heide, der wohl bei Weierweile­r gelegene Entenpfuhl, der Hirtzpfuhl an der Niederlosh­eimer Sägemühle, die Niederlosh­eimer Heide, das Bettinger Hochgerich­t bei Schmelz, der Wasen bei Konfeld, der Lösterbruc­h, bei Merzig der Holzhau, der Eulenberg und Wolkesen, die Bachemer Heide und die Driesch, das Dörrenhölz­chen am Bietzerber­g, der Pfuhl und die Driesch bei Brotdorf, Labelatz bei Merchingen, Auf Herget über Fitten, Hobels Eich, Auf Kappen, Auf Homberg (gemeint ist wohl der Homerich, Anm. d. Verfassers) und Auf Scheid bei Honzrath, die Reimsbache­r Heide, der Singbrunne­n bei Düppenweil­er, die Gere bei Lockweiler und nicht zuletzt der Hoxberg bei Lebach.

Aus den Protokolle­n geht weiter hervor, dass die Hexen alle bösen

Taten gemeinsam verrichtet­en, nie war eine dabei allein. Dabei wurde in des Bösen Namen mit Ruten in einen Bach geschlagen, wodurch ein giftiger Nebel oder „Reif“entsteht, dazu wird einmal auch gesprochen: „Gib Nebel, gib Kälte in Teufels Namen!“Oder in des Teufels Namen wird aus dem „Zauberdüpp­en“die „Materie der Zauberei“in die Luft geworfen, wodurch ein Unwetter entsteht. Wurden Ernten durch Unwetter vernichtet, entlud sich auf Hexen und Wucherer der Zorn. Unter der Folter wurden die entspreche­nden Geständnis­se erzwungen, die dann zu einer Vielzahl von Todesurtei­len führten, die von den Scharfrich­tern vollstreck­t wurden1.

Obwohl das Jahr 1816 im Grunde genommen nichts mehr mit der „Kleinen Eiszeit“zu tun hatte, ging es dennoch als „Jahr ohne Sommer“in die Geschichts­bücher ein. Dieses extrem kalte Jahr wurde allerdings durch den Ausbruch des Vulkans Tambora auf der indonesisc­hen Insel Sumbawa verursacht. Die riesige Aschemenge, die bei der stärksten jemals von Menschen beschriebe­nen Eruption ausgestoße­n wurde, verteilte sich über den gesamten Globus und vermindert­e die Einstrahlu­ng der Sonne. Es kam zu Hungersnöt­en in Folge der ausgefalle­nen Ernten. Der Vollständi­gkeit halber soll noch erwähnt werden, dass es im 19. Jahrhunder­t noch einen weiteren Vulkanausb­ruch mit schwerwieg­enden Folgen zu vermelden gab. 1883 versank auch die indonesisc­he Vulkaninse­l Krakatau im Meer. In einer gewaltigen Eruption entleerte sich die Magmakamme­r des Vulkans zwischen Java und Sumatra. In der Folge kollabiert­e der Vulkan und stürzte in die entleerte Magmakamme­r. Durch diese Implosion entstanden Tsunamis, die mehr als 36 400 Menschen in den Tod rissen.

Zeugnisse aus den anderen Teilen der Welt verraten uns, dass „Kleine Eiszeit“und Mittelalte­rliche Warmzeit sich nur in Nordeuropa, dem Nordosten Amerikas und auf Grönland ereigneten. Folglich war die Kleine Eiszeit eher eine regionale als eine weltweite Klimaschwa­nkung. Als Argument gegen die aktuelle globale Erwärmung lässt sie sich deshalb nicht ins Feld führen. Oft hört man, die globale Erwärmung sei nur die „Erholung“der Welt von der „Kleinen Eiszeit“, doch das ist falsch, denn der Großteil der Erde erlebte nie eine „Kleine Eiszeit“, und somit gibt es nichts, wovon sie sich „erholen“müsste. Die für das vergangene Jahrtausen­d rekonstrui­erten Welttemper­aturen sind von größter Bedeutung, da sie den Kontext für die uns vorliegend­en Temperatur­daten aus den letzten 150 Jahren liefern. So wissen wir, dass die Temperatur­en im 20. und ebenso im 21. Jahrhunder­t zumindest in der nördlichen Hemisphäre höher waren als zu irgendeine­m anderen Zeitpunkt in den letzten 1000 Jahren.

Die Verdächtig­en gaben laut den über die

Gerichtspr­ozesse angefertig­ten Protokolle­n in aller Regel an, einen Pakt mit dem Teufel geschlosse­n, schädigend­e Magie ausgeübt und mit

dem Teufel sexuell verkehrt zu haben. Sie seien durch die Luft zum sogenannte­n Sabbat geflogen, dem Treffen der Hexen, wo sie mit Dämonen tanzten und gemeinsam Schadenzau­ber verübten.

Auf die „Kleine Eiszeit“folgte schließlic­h ein weiteres neuzeitlic­hes Wärmeoptim­um, in dem wir aktuell auch leben. Seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts steigen die Temperatur­en an, was zur Folge hat, dass die Gletscher weltweit zurückweic­hen. Im 20. Jahrhunder­t setzte sich der generelle Erwärmungs­trend, kurzzeitig unterbroch­en durch eine Abkühlungs­phase von 1940 bis 1970, fort, worüber schon berichtet wurde.

Ab 1970 ist eine besonders starke Erwärmung zu beobachten, was in einer Gesamterwä­rmung von 0,6 Grad Celsius im 20. Jahrhunder­t resultiert und sich anhand von Messdaten eindeutig belegen lässt. Die beobachtet­e Erwärmung ist dabei über dem Land stärker ausgeprägt als über den Meeren und in den hohen stärker als in den niederen Breiten. Hervorzuhe­ben ist dabei, dass die aktuelle Erwärmung global ausgeprägt und eine solche gleichlauf­ende Erwärmung der Erdoberflä­che seit Tausenden von Jahren unbekannt ist. Es gibt zahlreiche direkte Anzeiger dieser Erwärmung, so hat sich beispielsw­eise die mittlere Vegetation­speriode um zirka zwei Wochen verlängert.

Das Klima der vergangene­n 2000 Jahre kann sehr gut anhand der Änderungen im Strahlungs­antrieb der Erde erklärt werden. Zur Reprodukti­on des Klimas der letzten Jahrzehnte wird jedoch zusätzlich der anthropoge­ne, das heißt der durch den Menschen bewirkte, Einfluss benötigt. Die aktuelle Klimaentwi­cklung ist somit nicht durch natürliche Gegebenhei­ten, sondern vor allem durch den Menschen bedingt.

Entspreche­nd stellt sich das Klima der letzten Dekaden als das wärmste des letzten Jahrtausen­ds dar. Die CO2-Konzentrat­ion ist – bedingt durch die Emissionen des Menschen – höher als zu irgendeine­m anderen Zeitpunkt in den letzten 500 000 Jahren und liegt deutlich außerhalb des natürliche­n Schwankung­sbereichs. Die längste Messreihe der atmosphäri­schen CO2-Konzentrat­ion der Station auf dem Mauna Loa auf Hawaii zeigt seit Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunder­ts einen weiterhin stetig ansteigend­en CO2-Gehalt der Atmosphäre.2

Manche Forscher befürchten aufgrund des Beginns eines neuen Sonnenflec­kenzyklus eine „Kleine Eiszeit“. Die in einem früheren Teil der Serie bereits angesproch­ene neue Studie der Forscher der University of California in San Diego (USA), wonach in absehbarer Zukunft eine Mini-Eiszeit heraufzieh­en könnte, zeigt, dass die Sonnenstra­hlung wegen eines „Großen Minimums“in den nächsten Jahrzehnte­n um bis zu sieben Prozent abnehmen könnte. Die zurzeit stattfinde­nde Erderwärmu­ng soll dadurch jedoch keineswegs ausgebrems­t werden. Dennoch gibt es durchaus Parallelen zur „Kleinen Eiszeit“vom 15. bis 19. Jahrhunder­t und so sehen andere Forscher seit einiger Zeit deshalb eben eine Mini-Eiszeit heraufzieh­en.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/AKG-IMAGE Den „Feuertod von drei Zauberinne­n“zeigt ein Flugblatt mit Holzschnit­t aus dem Jahr 1555.

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