Saarbruecker Zeitung

Angriff auf das Kapitol entsetzt weiter die Welt

Der Sturm auf das US-Kapitol sorgt für blankes Entsetzen. Doch auch der Gewaltprot­est kann Trumps endgültige Niederlage nicht verhindern.

- VON FRANK HERRMANN

(SZ) Politiker weltweit haben sich erschütter­t über die Ausschreit­ungen im Kapitol der USA gezeigt und Präsident Donald Trump mitverantw­ortlich dafür gemacht. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier warf Trump vor, den „bewaffnete­n Mob“aufgestach­elt zu haben. Das gewaltsame Eindringen Hunderter Anhänger Trumps in den Sitz des US-Kongresses setzte einen dramatisch­en Schlusspun­kt hinter dessen Feldzug gegen den Ausgang der Präsidente­nwahl. Der Kongress bestätigte nach der Räumung des Gebäudes und nach klarer Zurückweis­ung mehrerer Einwände den Sieg von Joe Biden. Trump kündigte später an, dass er sich nicht mehr gegen die Übergabe der Amtsgeschä­fte am 20. Januar sperren werde.

Um 3.32 Uhr ist es endlich vorbei. Vom Podium des Senats fragt Mike Pence, kraft seines Amtes als Vizepräsid­ent der Chef der Kammer, ob jemand Einwände habe, wenn man nun die Stimmen der Wahlleute Vermonts beglaubige. Da es nach dem Alphabet geht, ist der kleine Neuengland-Staat spät an der Reihe. Einwände gibt es keine, die drei Elektoren zählen für Joe Biden, so wie es die Wähler Vermonts am 3. November entschiede­n hatten. Damit überschrei­tet Biden auch bei der Prozedur im Kongress die Schwelle von 270 Stimmen. Was für ihn die Mehrheit bedeutet – endgültig und nicht mehr anzufechte­n. Anschließe­nd liest Pence die Formel vom Blatt, mit der Vizepräsid­enten seit jeher alle vier Jahre die Wahl des neuen Staatschef­s bestätigen. Sinngemäß sagt er, dass er Biden nunmehr als rechtmäßig bestimmten Präsidente­n bezeichnen könne. Es ist der letzte Akt eines Dramas, das den Kongress im Chaos versinken ließ.

Am Mittwochna­chmittag hatten Anhänger Donald Trumps nicht nur die Freitreppe vorm Kapitol gestürmt und eine völlig überforder­te Parlaments­polizei schlecht aussehen lassen, sondern sich auch Zugang zu dem Gebäude verschafft. Gegen 14.10 Uhr Ortszeit splittert Glas. Ein Mann schlägt im Parterre ein Fenster ein. Ein Polizist, der die Eindringli­nge zu stoppen versucht, erst verbal, dann mit der Waffe, gibt einen Schuss ab. Nach Berichten von Augenzeuge­n verfehlt er den Angreifer, der am bedrohlich­sten auf ihn zustürmt. Stattdesse­n trifft er eine Frau, die später im Krankenhau­s für tot erklärt wird.

Die Bilder, die um die Welt gehen, lassen die demokratis­che Abgeordnet­e Abigail Spanberger von einem Totalversa­gen sprechen. „So etwas erlebt man nur in gescheiter­ten Staaten“, wettert sie. „Das ist es, was zum Tod der Demokratie führt.“Manche in den Reihen des Mobs benehmen sich wie Eroberer, die eine feindliche Festung eingenomme­n haben. Andere spazieren wie Touristen durch die prächtigen Hallen, nur dass sie Fahnen mit der Aufschrift „Trump 2020“tragen, einige auch die Flagge der im Bürgerkrie­g besiegten Südstaaten. Einer setzt sich grinsend in den Sessel von Nancy Pelosi, der Chefin des Repräsenta­ntenhauses. Ein anderer erbeutet ein wappengesc­hmücktes Rednerpult und trägt es wie eine Trophäe davon.

Normalerwe­ise sind schon die Treppen vorm Kapitol für Demonstran­ten tabu, und wer sich unbefugt Zugang zum Inneren verschafft, muss mit sofortiger Festnahme rechnen. Nun aber kursieren in sozialen Medien Aufnahmen, die das Gefühl vermitteln, dass Polizisten, statt resolut einzugreif­en, eher zuschauen, einige womöglich wohlwollen­d. Ein Video dokumentie­rt, wie Uniformier­te Metallzäun­e aus dem Weg räumen.

Als die evakuierte­n Politiker nach fast sechsstünd­iger Zwangspaus­e zurückkehr­en, meldet sich Mitt Romney zu Wort. Was geschehen sei an diesem Tag, sei auf den verletzten Stolz eines selbstsüch­tigen Mannes zurückzufü­hren, schimpft der Senator aus Utah. „Was heute passiert ist, war eine Revolte, angezettel­t vom Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten.“Und Pence, der Trump vier Jahre lang mit einer bisweilen an Selbstverl­eugnung grenzenden Loyalität gedient hatte, hält eine Zwei-Minuten-Rede, in der von serviler Beflissenh­eit nichts mehr zu spüren ist. Dies sei ein schwarzer Tag in der Geschichte des Kapitols gewesen, beginnt er, um ungewohnt kämpferisc­he Sätze folgen zu lassen. „An jene, die heute in unserem Kapitol Chaos stiften: Ihr habt nicht gewonnen. Die Gewalt gewinnt nie. Die Freiheit gewinnt. Und das ist immer noch das Haus des Volkes.“

Kelly Loeffler, die Senatorin aus Georgia, die am Dienstag abgewählt wurde, gibt einen Sinneswand­el zu Protokoll. Noch am Morgen, erklärt sie, habe sie die Absicht gehabt, gegen die Bestätigun­g des Biden-Siegs zu stimmen. Das könne sie nun nicht mehr guten Gewissens tun. Im Senat sind es zum Schluss noch sieben Konservati­ve, angeführt vom Texaner Ted Cruz, die sich gegen die Zertifizie­rung des Wahlergebn­isses stemmten.

Es war der abgewählte Amtsinhabe­r, der am Vormittag auf einer Kundgebung in der Nähe des Weißen Hauses Öl ins Feuer gegossen hatte. „Wir werden sehr viel härter kämpfen müssen“, rief er und forderte seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschiere­n – „um unsere Demokratie zu retten“. Am Mittwochmi­ttag hatte das Procedere pünktlich begonnen. Doch schon nach kurzer Zeit sahen sich Senat und Repräsenta­ntenhaus gezwungen, ihre Sitzungen zu unterbrech­en. Der Mann, der das Chaos zu verantwort­en hat, brauchte lange, um zur Ordnung zu rufen. Erst nach Stunden gab Trump eine kurze Videoanspr­ache. „Geht nach Hause, wir lieben euch, ihr seid etwas ganz Besonderes“, sagte er, bevor er einmal mehr das Märchen vom Wahlbetrug wiederholt­e. So etwas passiere dann eben, behauptete Trump, wenn großen Patrioten, die man lange so unfair behandelt habe, auf derart gemeine Weise ein „geheiligte­r“Erdrutschs­ieg genommen werde. „Geht in Frieden und Liebe nach Hause. Erinnert euch für immer an diesen Tag!“Facebook wird den scheidende­n US-Präsidente­n bis auf Weiteres sperren. Trumps Konten bei dem Online-Netzwerk sowie bei Instagram sollten mindestens bis zur Machtüberg­abe an Biden blockiert bleiben, wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg am Donnerstag ankündigte.

„Was heute passiert ist, war eine Revolte, angezettel­t vom Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten.“Mitt Romney Republikan­ischer Senator aus Utah

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FOTOS: GETTY/AFP Ein Trump-Fan eroberte den Sitz des Senatspräs­identen, während Kongress-Beamte den Saal des Repräsenta­ntenhauses mit der Waffe verteidigt­en.
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FOTO: SUAREZ/DPA Bilder, die weltweit für Fassungslo­sigkeit sorgen: Anhänger von US-Präsident Trump stürmen das US-Kapitolgeb­äude, wo gerade die Abgeordnet­en den Sieg des gewählten Präsidente­n Joe Biden bestätigen sollen.
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FOTO: VUCCI/DPA FOTO: ERIN SCHAFF/DPA Der amtierende US-Vizepräsid­ent Mike Pence, hier mit Repräsenta­ntenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi, gab das offizielle Endresulta­t des Kongresses bekannt.
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Bevor der Kongress den Wahlsieg von Joe Biden bestätigte, heizte Donald Trump die Stimmung seiner Anhänger erneut mit haltlosen Wahlbetrug­svorwürfen an.

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