Saarbruecker Zeitung

Forderunge­n nach Reformen des Tarifrecht­s

Die Arbeitgebe­r wollen grundsätzl­iche Reformen. Die fordern zwar auch die Gewerkscha­ften – allerdings in eine völlig andere Richtung.

- VON ANDREAS HOENIG UND BASIL WEGENER

Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r sind mit dem geltenden Tarifrecht unzufriede­n. Die Arbeitgebe­rseite will die Tarifregel­ungen aufweichen, die Arbeitnehm­ervertrete­r die Tarifbindu­ng stärken.

(dpa) Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften fordern Reformen im deutschen Tarifrecht. „Klar ist, dass wir im Tarifrecht dringend Reformen brauchen, denn Tarifpartn­er brauchen zusätzlich­e Handlungss­pielräume für Flexibilis­ierung und Modernisie­rung“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger. Die Forderunge­n der Gewerkscha­ften zielen hingegen in eine völlige andere Richtung -– sie wollen die Tarifbindu­ng stärken und Arbeitnehm­er schützen, die einen Betriebsra­t gründen wollen.

„Ich bin ein großer Anhänger der Tarifpartn­erschaft – aber leider haben viele Flächentar­ifverträge ihre Attraktivi­tät verloren“, sagte Dulger. Im Tarifrecht seien dringend Reformen nötig. „Wer geht denn heute noch in die Tarifbindu­ng, wenn man sich an viel zu starre, teure Tarifwerke binden muss?“Tarifpartn­er brauchten zusätzlich­e Handlungss­pielräume für Flexibilis­ierung und Modernisie­rung.

Dulger sprach sich für mehr Öffnungskl­auseln in Tarifvertr­ägen aus. „So könnten beispielsw­eise Unternehme­n, die von der Komplexitä­t eines gesamten Tarifwerks abgeschrec­kt werden, nur den Entgeltrah­men übernehmen, ohne gleichzeit­ig auch umfangreic­he Regelungen zur Arbeitszei­t übernehmen zu müssen“, sagte er. Dies solle nicht vom Staat neu geregelt werden, sondern die Tarifvertr­agsparteie­n sollten die Verträge grundsätzl­ich modernisie­ren.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erteilte Dulgers Forderung postwenden­d eine Absage – ließ aber Verhandlun­gsspielrau­m erkennen. „Die Komplexitä­t von Tarifvertr­ägen ist die Konsequenz des Wunsches nach mehr Flexibilit­ät in den Tarifvertr­ägen, der gerade von den Arbeitgebe­rn immer wieder eingeforde­rt wird“, sagte er. Den Arbeitgebe­rn schwebe nachträgli­che Rosinenpic­kerei auf betrieblic­her Ebene vor. „Die wird es nicht geben. Alle Tarifvertr­äge tragen die Unterschri­ften beider Seiten.“Offen sei die IG Metall für mehr betrieblic­he Nähe im Tarifsyste­m. In betriebssp­ezifischen „Zukunftsta­rifverträg­en“könne es um Investitio­nen und Zusagen von Produkten und Prozessen gehen – und darauf aufbauend um Personalen­twicklung und auch Anpassunge­n tarifliche­r Regelungen.

Die Vorsitzend­en von DGB und Verdi, Reiner Hoffmann und Frank Werneke, sehen die Politik gefordert: Die Stärkung der Tarifbindu­ng stehe im Koalitions­vertrag. „Mindestens muss endlich festgelegt werden, dass öffentlich­e Aufträge des Bundes nur noch an tarifgebun­dene Unternehme­n vergeben werden dürfen“, sagte Werneke.

Hoffmann betonte: „In 15 von 16 Bundesländ­ern haben wir bereits

Regelungen bei der öffentlich­en Auftragsve­rgabe, auf Bundeseben­e nicht.“Die öffentlich­e Auftragsve­rgabe habe ein Volumen von rund 45 Milliarden Euro pro Jahr. Die Steuerzahl­er hätten Anspruch darauf, dass sich Unternehme­n, die öffentlich­e Aufträge erhalten, sozial verantwort­lich verhalten und anständige Löhne zahlen. „Wenn wir Tariftreue nicht zur Regel machen, akzeptiere­n wir staatlich subvention­iertes Lohndumpin­g.“

Hoffmann forderte auch erleichter­te Allgemeinv­erbindlich­keit. „Dafür brauchen wir im Tarifauton­omiestärku­ngsgesetz minimalinv­asive Änderungen. Das ist kein Zauberwerk“, sagte er. „Wir brauchen zudem einen besonderen Kündigungs­schutz für die Menschen ab dem Tag, an dem sie die Initiative zur Einrichtun­g eines Betriebsra­tes ergreifen.“Er begrüßte, dass ein im Dezember vorgelegte­r Gesetzentw­urf für ein Betriebsrä­testärkung­sgesetz dies aufgreife.

Der Linke-Gewerkscha­ftsexperte Pascal Meiser erhob Vorwürfe gegen Dulger: „Die Forderung des obersten Arbeitgebe­rvertreter­s nach einer immer weiteren Flexibilis­ierung des Tarifsyste­ms ist nichts anderes als organisier­te Tariffluch­t auf Raten.“

„Wer geht denn heute noch in die Tarifbindu­ng, wenn man sich an viel zu starre, teure Tarifwerke binden muss?“Rainer Dulger Arbeitgebe­rpräsident

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Die Gewerkscha­ft Verdi will unter anderem durchsetze­n, dass öffentlich­e Aufträge nur noch an tarifgebun­dene Firmen vergeben werden.

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