Schalke ganz dicht vor Negativrekord
Der FC Schalke 04 kann den historisch schlechten Wert aus der Saison 1965/1966 an diesem Samstag egalisieren.
Der Negativrekord von Tasmania Berlin wackelt. Bundesliga-Schlusslicht FC Schalke 04 kann den historisch schlechten Wert aus der Saison 1965/66 am Samstag mit einer Niederlage gegen die TSG Hoffenheim egalisieren.
(sid) Hans-Günter Beckers Ehefrau steht in Hut und Mantel bereit, als das Telefon ihres Mannes schon wieder klingelt. Eigentlich wollen beide einen Einkauf erledigen, doch das muss warten. Denn Becker, den alle nur „Atze“nennen, ist seit Wochen ein viel gefragter Mann. In der Saison 1965/1966 war er Kapitän von Tasmania Berlin, der schlechtesten Mannschaft in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. 31 Spiele hintereinander blieben die Tasmanen damals ohne
Sieg, vermeintlich ein Rekord für die Ewigkeit, der nun mehr denn je auf der Kippe steht. Gewinnt der FC Schalke 04, der am Donnerstag den 20-jährigen walisischen Flügelspieler Rabbi Matondo (Vertrag bis 2023) an den englischen Zweitligisten Stoke City verlieh, an diesem Samstag auch das Spiel gegen die TSG Hoffenheim (15.30 Uhr/Sky) nicht, ist der historische Wert egalisiert.
So oder so – Becker ist froh, wenn sich der Trubel am Wochenende endlich legt. „Letztendlich ist auch eine gewisse Belastung da“, sagt der 82-Jährige angesichts zahlreicher Telefonate und Interviews. Erzählt hat Becker viel über diese ganz besondere Saison aus der Anfangszeit der Bundesliga. Das erste Heimspiel gegen den Karlsruher SC gewann Tasmania vor über 80 000 Zuschauern im Olympiastadion noch überraschend mit 2:0, dann folgte ein beispielloser Absturz des kaum Bundesliga-tauglichen
Kaders.
„Es war ein Himmelfahrtskommando“, erinnert sich Becker. Nur zwei Siege holte Tasmania am Ende, 108 Gegentore bedeuten einen weiteren Bundesliga-Negativrekord. Schalke (39 Gegentore nach 14 Spielen) wird diesen sehr wahrscheinlich nicht brechen. Was die Sieglos-Serie betrifft, ist sich Becker nicht ganz sicher. „Es macht derzeit wenig Hoffnung“, sagt er: „Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“
Becker fühlt mit den Königsblauen, nicht nur, weil er den Rekord gerne behalten würde. Das drückende Gefühl des anhaltenden Misserfolgs ist ihm bestens bekannt. „Ich weiß aus Erfahrung um diese Belastung, die auf den Spielern lastet. Ich würde es den Schalkern wirklich von Herzen gönnen, dass sie sagen: Lassen wir Tasmania den Rekord.“
Und wenn er doch fällt? „Das wäre nicht der erste Rekord, der uns flöten geht“, sagt der Tasmania-Fanbeauftragte Hacel Bazic. Ihn tröste der Blick auf die ewige Tabelle: „Da bleiben wir klar abgeschlagen Letzter. Das kann uns keiner nehmen.“
Für den Verein hat sich der Negativrekord aus der Saison 1965/1966 bisher ausgezahlt, findet Präsident Almir Numic. Kaum eine andere Amateurmannschaft erwecke in Zeiten von Corona ein solches Interesse. Allein diese Woche seien zwei Fernsehsender zu Besuch gewesen. „Und im Gegensatz zu Schalke haben wir unseren Rekord über eine
Saison aufgestellt“, ergänzt der Vereins-Chef durchaus mit Stolz.
Auch Ex-Kapitän „Atze“Becker empfindet heute, mit etwa 45 Jahren Abstand, so und verweist gerne auf weitere unvergessene Negativmarken. Die meisten Gegentore etwa, „auch hatten wir in einem Spiel nur 800 Zuschauer, auch das ist Rekord. Das wird nie wieder erfolgen, außer bei Corona, das müssen wir ausklammern.“Becker sorgt sich alles in allem mehr um Schalke als um Rekorde. „Das Allerwichtigste ist, dass sie nicht absteigen. Wenn sie das kommende Spiel auch noch verlieren, sind sie ganz dicke drin im Abstiegsstrudel.“Nur, wie soll die Wende ausgerechnet jetzt gelingen?
Becker rät zu den „Tugenden“. Sie seien wichtig. „Einsatzwille, Kampfgeist sowie mannschaftliche Geschlossenheit“, sagt er – und muss eingestehen, dass auch diese Faktoren der Tasmania einst nicht geholfen hätten. Vielleicht ist die Schalker Mannschaft einfach nur zu schlecht für die Liga. Wie Tasmania damals.
„Ich würde es den Schalkern wirklich von Herzen gönnen, dass sie sagen: Lassen wir Tasmania den Rekord.“Hans-Günter Becker, Kapitän von Tasmania Berlin in der Bundesliga-Saison 1965/1966
Die auch finanziell schwer angeschlagenen Schalker erhalten keine erneute Hilfe vom ehemaligen Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies. „Der Aufsichtsrat hat mit großer Mehrheit zugestimmt, das Angebot anzunehmen und in Gespräche einzutreten, allerdings nicht mit der von Clemens Tönnies verlangten Einstimmigkeit“, berichtete Jens Buchta, der Vorsitzende des Gremiums, am Donnerstag auf der Club-Homepage.