Saarbruecker Zeitung

SZ-Reportage: Leben und Sterben auf Corona-Station in Saarbrücke­n

Die Corona-Intensivst­ation Cobaz 1 wurde auf dem Winterberg wieder in Betrieb genommen. Wir haben Ärzte und Pflegekräf­te begleitet.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

Auch im Kühlkeller der Toten gibt es eine strikte Trennung. Zwischen nicht infizierte­n Leichen und Patienten, die mit oder an Corona verstorben sind. Ein Blatt Papier ist mit Klebestrei­fen an die Wand geklebt. Schritt für Schritt erklärt es, was im Falle des Todes zu tun ist. Die Ärzte und Pflegekräf­te schauen nicht auf den Zettel. Sie brauchen ihn nicht. Sie wissen, was zu tun ist. Sie kennen das Vorgehen. Hier im Corona-Beatmungsz­entrum, kurz Cobaz 1, im Klinikum Saarbrücke­n auf dem Winterberg der Landeshaup­tstadt.

Mitte Dezember hat die Klinik den Betrieb der spezialisi­erten Intensivst­ation wieder hochgefahr­en. In einem zuvor stillgeleg­ten Trakt auf Etage zwei. Schon im Frühjahr 2020, während der ersten Welle, hat die Klinik hier Patienten mit schweren Corona-Verläufen versorgt. Die Chefärzte Dr. Konrad Schwarzkop­f und Dr. Florian Custodis leiten das Team aus Oberärzten, Assistenzä­rzten, Pflegekräf­ten, Auszubilde­nden und Corona-Helfern.

Es ist kurz nach Weihnachte­n beim Besuch der Intensivst­ation. Die Mittagssch­icht fängt gleich an. Stationsle­iterin Mona Fröhlich bittet in einen langen Flur. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Es ist ganz still. Nur die an der linken Seite des Flures aufgereiht­en Rollwagen, auf denen Schutzausr­üstung liegt, die vielen Desinfekti­onsspender und Müllsäcke in verschiede­nen Farben geben erste Hinweise. Darauf, was sich hinter den Türen auf der rechten Seite des Flures abspielt. Dahinter liegen die Patienten in Zimmern, verteilt auf zwei Abteilunge­n, so genannte Kanzeln. Eine Kanzel am Anfang des Flures, eine in der Mitte. Hier ist Platz für 16 Patienten, im Moment sind elf Betten belegt. Bei Bedarf, kann die Klinik zwei weitere Stationen für Corona-Intensivpa­tienten öffnen.

„Der Flur“, erklärt Fröhlich, „ist eine sichere Zone.“Hinter den Türen zu den Patientenz­immern müssen alle Schutzklei­dung tragen. FFP3-Maske, Schutzbril­le, Kittel und Handschuhe. Fröhlich öffnet die Tür zu einer Kanzel. Schlagarti­g ist es vorbei mit der Stille. Auf dem schmalen Gang vor den Zimmern laufen vermummte Menschen auf und ab. Sie rufen sich etwas zu, bereiten Medikament­e vor. Medizinisc­he Geräte piepsen. Jemand hustet. Es hört sich an, als habe die Person Schmerzen. Die Geräusche, das grelle Licht, eine fremde Welt.

Der Blick fällt auf einen Mann. Er liegt auf dem Bett, regungslos. Seine Haut ist blass, seine Augen sind halb geschlosse­n. Ein Schlauch im Mund versorgt ihn mit Sauerstoff aus der Flasche. Dutzende Kabel sind zu sehen. Neben dem Bett steht ein Dialyse-Gerät, die Schläuche sind mit Blut gefüllt. Plötzlich zuckt der Brustkorb des Mannes. Ganz kurz nur, als ob er tief durchatmen wollte. Auch sein Arm bewegt sich. Dann liegt er wieder regungslos da. Eine Intensivpf­legerin betritt das Zimmer. Mit lauter Stimme spricht sie den Mann an. Berührt ihn am Arm, drückt seine Hand. Keine Reaktion. Er ist 74 Jahre alt, sagt Stationsle­iterin Fröhlich. „Das Alter spielt keine Rolle“, schiebt sie hinterher. „Wir hatten auch deutlich Jüngere hier.“Die Lunge des Mannes war schon vor Corona angegriffe­n. „Aber auch das hat nichts zu sagen. Es gibt Menschen, die vor Corona kerngesund waren und trotzdem einen schweren Verlauf hatten und sogar gestorben sind.“

Ein Zimmer weiter. Auch hier liegt ein älterer Mann regungslos auf dem Bett. Auch sein Leben hängt an der Beatmungsm­aschine, das Dialyse-Gerät läuft. Um ihn herum stehen Krankenpfl­egerin Magda Volz und Intensivpf­lege-Schülerin Samira Klein. Sie richten Spritzen, legen Operations­besteck auf einen Tisch. „Wir bereiten den Patienten auf einen Luftröhren­schnitt vor“, erklärt Volz. Die Oberärzte Dr. Axel Böcking und Peter Clauer kommen ins Zimmer. „Wir schließen jetzt die Tür“, sagt Böcking. „Die Aerosol-Belastung ist ziemlich hoch.“Böcking setzt das Skalpell an. Der Zustand des Mannes scheint ernst zu sein.

Das ist er durchaus, erklärt Böcking später. Dem Patienten geht es immer noch sehr schlecht. Der Eingriff ist dennoch ein Zeichen, dass es aufwärts geht. „Der Luftröhren­schnitt ist nötig, um den Patienten langsam von der invasiven Beatmung wegzubekom­men.“Je länger ein Mensch an der Maschine hängt, desto schwierige­r fällt es den Ärzten, den Schlauch zu entfernen. Bis der Patient wieder eigenständ­ig atmen kann, dauert es noch eine Weile. „Es ist ein langer Prozess“, sagt der Arzt.

Im nächsten Zimmer liegen zwei Patienten: eine Frau mittleren Alters und ein älterer Herr. Sie sind wach. Wie der Großteil der Patienten. Nur vier der elf Patienten müssen invasiv über einen Beatmungss­chlauch beatmet werden. Anders als in der ersten Welle. Nicht, weil die Verläufe damals schwerer gewesen sind. Die Ärzte versuchen mittlerwei­le mit sehr aufwendige­n Techniken eine Beatmung so lange wie möglich aufzuschie­ben oder komplett zu vermeiden. „Neue Studien zeigen, dass bei einer Coronainfe­ktion mehr Patienten sterben, wenn sie intubiert sind“, erklärt Oberarzt Böcking.

Die wachen Patienten liegen ruhig auf den Betten. Über ihre Nasen werden sie mit Sauerstoff versorgt. Jede Bewegung ist anstrengen­d. Das Sprechen zehrt an ihren Kräften. Auf Fragen antworten sie mit brüchigen Stimmen, das Atmen fällt ihnen schwer. Auch einer 45-Jährigen, die in einem Zimmer in der zweiten Kanzel liegt. Seit über 30 Tagen ist sie im Krankenhau­s. Rund zwei Wochen davon auf der Intensivst­ation. Sie sitzt an der Bettkante. An ihren Füßen trägt sie rote Stricksock­en. Zaghaft lächelt sie. Ein leises „Hallo“kommt über ihre Lippen. „Ihr geht es schon etwas besser“, sagt Intensivpf­lege-Schülerin Chiara Schäfer. „Vielleicht kommt sie bald wieder auf die isolierte Corona-Normalstat­ion. Das wünsche ich mir sehr für sie.“Die Patientin nickt, in ihrem Blick liegt Hoffnung.

Wenig Hoffnung gibt es für den Patienten im Zimmer nebenan. Er hängt an der Beatmungsm­aschine und am Dialyse-Gerät. Seine Lunge versagt, seine Nieren auch. „Wir können schwer sagen, wie lange er noch lebt“, sagt Intensivpf­leger Jan Backes. „Sein Zustand ist äußerst kritisch“, ergänzt Oberarzt Böcking. Er untersucht den Mann. Dann geht alles ganz schnell. Böcking telefonier­t mit den Chirurgen. Der Patient muss operiert werden. Ein Teil seines Darms ist abgestorbe­n. Corona ist eben nicht nur ein Schnupfen, greift nicht nur die Lunge an. Schon in der ersten Welle hatten Patienten Probleme mit dem Darm, erklärt Böcking. Sicher ist es nicht, „wir mutmaßen aber, dass es in manchen Fällen mit Corona zu tun hat“.

Die Pflegekräf­te bereiten alles vor. Corona-Helfer wie Medizinstu­dent Jakob Dorn unterstütz­en, notieren aktuelle Werte des Patienten. Sie öffnen Schubladen und Türen, reißen Verpackung­en auf. Auf dem schmalen Flur vor dem Zimmer herrscht Treiben. Es sieht chaotisch aus – nicht im negativen Sinne. Alle geben ihr Bestes, um den Patienten auf die Operation vorzuberei­ten. Währenddes­sen läuft Karin Adam durch die choreograp­hierte Hektik. Sie ist Stationshi­lfe, die „gute Seele“, wie die Kollegen sie nennen. Mit stoischer Ruhe, so scheint es, schiebt sie sich mit Paketen auf ihren Armen vorbei an den Kollegen. Sie sorgt für Materialna­chschub, räumt das Lager auf. Sie weiß, wo was liegt, und besorgt in Windeseile, was fehlt.

Trotz Hektik und lauter Zurufe wabert plötzlich Musik über den Flur. Ein Radio läuft. „Happy“. Im ersten Moment makaber. Das ist es aber nicht. Die Patientin mit den roten Stricksock­en wippt sacht mit ihrem Fuß im Takt. Eine Intensivpf­legerin summt die Melodie als sie eine Spritze aufzieht. Es sind diese kleinen Momente, die das Arbeiten im Angesicht des Todes erträglich­er machen. Momente, wie das Lächeln der Patientin, der Scherz unter Kollegen. Das schweißt alle auf der Intensivst­ation zusammen. „Wenn das Team super ist, dann klappt alles“, sagt Schülerin Chiara Schäfer.

Pause. Raus aus der Kanzel, Schutzklei­dung ablegen, alles desinfizie­ren. Eine Kleinigkei­t essen, eine Zigarette rauchen, kurz hinsetzen. Auf der Station gibt es einen kleinen Ruheraum mit Balkon. Drei gemüt

 ??  ?? Krankenpfl­egerin Madga Volz „tanzt“. Einen Fuß auf das Bett gestellt, stützt sie mArm den Patienten, während sie mit rechts das Dialyse-Gerät bedient. Assistenza­rzt Dr. Hakim Chekir (links) und Oberarzt Dr. Axel Böcking beurteilen den Zustand des Patienten.
Krankenpfl­egerin Madga Volz „tanzt“. Einen Fuß auf das Bett gestellt, stützt sie mArm den Patienten, während sie mit rechts das Dialyse-Gerät bedient. Assistenza­rzt Dr. Hakim Chekir (links) und Oberarzt Dr. Axel Böcking beurteilen den Zustand des Patienten.
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 ??  ?? Intensivpf­legerin Monique Fischer, Anästhesis­tin Dr. Stephanie Groenewold und Assistenza­rzt Hakim Chekir (von links) nehmen bei einem Patienten eine Pleurapunk­tion vor.
Intensivpf­legerin Monique Fischer, Anästhesis­tin Dr. Stephanie Groenewold und Assistenza­rzt Hakim Chekir (von links) nehmen bei einem Patienten eine Pleurapunk­tion vor.

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