Saarbruecker Zeitung

Was viele wegwerfen, wird bei ihr zu Kunst

Ob Kaffeekaps­eln, Knochen oder Teelichtdo­chthalter: Bei Karin Eberhardt wird aus allem filigrane Kunst. Wer ihr Atelier besucht, betritt ein Wunderland der Stickerei.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN www.karin-eberhardt.de

Das Atelier von Karin Eberhardt in der Saarbrücke­r Großherzog-Friedrich-Straße ist ein heller, lichtdurch­fluteter Raum mit großen Schaufenst­ern. Ab und an wird die Stille vom Rattern der Saarbahn unterbroch­en, die direkt vor dem Atelier vorbeifähr­t. Dann ist es wieder ruhig.

Karin Eberhardt liebt es, wenn es ganz still ist. Und sie sich ganz und gar auf ihre Arbeit, das Sticken, konzentrie­ren kann, an ihrem Sticktisch sitzend. Dann kann sie eintauchen, sich vertiefen, gerät fast in eine Art Trance. „Dann kommt es schon mal vor, dass ich die Uhrzeit vergesse und mich wundere, wenn es dunkel wird“, erklärt sie.

Karin Eberhardts Werdegang ist schnell erzählt. Die gebürtige Völklinger­in, die heute in der Natur des Bliestals lebt, wollte immer schon einen handwerkli­chen Beruf ausüben. „Das war in den 1980er Jahren. Ich hatte eine Lehrstelle als Modistin oder Druckvorla­genherstel­lerin gesucht. Aber in der Zeit waren Ausbildung­splätze sehr rar“, erinnert sie sich.

Im Berufsbild­ungszentru­m erfuhr sie damals von einer Stickerin, die freiberufl­ich arbeitete. Und sie wendete viel Ausdauer auf, um an deren Adresse zu kommen. Es war Dorothea Zech, bekannte saarländis­che Künstlerin, deren große, außergewöh­nliche Wandbehäng­e und Wandteppic­he in dieser Zeit in vielen öffentlich­en Gebäuden hingen.

„Ich habe mich bei ihr beworben – und erhielt ein Jahr später eine Zusage“, erzählt Karin Eberhardt lachend. Sie absolviert­e also ihre Ausbildung bei Dorothea Zech, und arbeitet seither freiberufl­ich als Stickerin, seit über 20 Jahren in ihrem Atelier.

„Seither ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht gestickt habe.“Allerdings stickt Karin Eberhardt keine Stoffe, „keine Sofakissen“, wie sie lachend sagt, sondern häufig filigrane, zarte, fragile Kunstwerke aus Naturmater­ialien. Da finden sich Arbeiten aus Samen, Halmen, Federn oder Pflanzenst­ängeln an den Wänden des Ateliers, die mit ganz akkuraten Stichen, wie von einer Nähmaschin­e, auf Büttenpapi­er

gestickt und in einem tiefen Rahmen angebracht sind.

Ihre Materialie­n findet sie beim Spaziergan­g in der Natur, bekommt sie aber auch von Freunden und Bekannten gebracht. „Einiges davon ist zu fertig, zu schön, um es noch weiterzube­arbeiten. Muscheln oder Schnecken sind einfach perfekt“, erklärt sie. Und die bunten Federn eines Papageis, von der Halterin des Tieres ihr überreicht, wurden erstmal bewundert und dann aufgetrenn­t. „Erst dann konnte ich aus den Kielen der Federn und aus den anderen Teilen etwas sticken.“

Aber nicht nur mit Naturmater­ialien arbeitet sie. „Ich nutze gerne alles, was Gebrauchss­puren hat, alles, was vergänglic­h ist“, erzählt sie. Im Atelier befindet sich daher auch eine Wandinstal­lation aus kleinen, buntschimm­ernden Hütchen, die erst bei näherem Hinsehen erkannt werden. Es handelt sich um Kaffeekaps­eln. „Die müssen direkt auf die Wand. Ganz akkurat, in Reihen. Und viele. Erst die Masse macht es. Erst dann erkennt man die unerträgli­che Verschwend­ung“, sagt sie.

Dass die Kaffeekaps­eln nicht von ihr stammen, sondern von Bekannten, die sich freuen, dass aus Müll Kunst wird, versteht sich von selbst. Auch andere Materialie­n ihrer Kunstwerke überrasche­n. So zeigt sie eine große Arbeit, bestehend aus vielen Reihen von Teelichtdo­chthaltern, die ebenfalls mittels zarten Stichen auf filigranem Büttenpapi­er festgehalt­en sind. Oder auch geschredde­rte Eurobankno­ten, deren kleinste Einzelteil­e

ebenfalls in Kreisforme­n aufgestick­t sind.

Selbst vor Knochen weicht Karin Eberhardt nicht zurück. Sie werden gekocht, gestanzt und bestickt.

Karin Eberhardt konnte ihre fragilen Kunstwerke schon in Ausstellun­gen zeigen, im Museum St. Wendel oder bei Marlies Hanstein, sowie in Landeskuns­tausstellu­ngen. Aber am liebsten arbeitet sie von morgens bis abends in aller Ruhe in ihrem Atelier, „wie eine Beamtin“, sagt sie und lacht.

„Ich nutze gerne alles, was Gebrauchss­puren hat, alles, was vergänglic­h ist“Karin Eberhardt

„Die müssen direkt auf die Wand. Ganz akkurat, in Reihen. Und viele. Erst die Masse macht es. Erst dann erkennt man die unerträgli­che Verschwend­ung“Karin Eberhardt über eine Installati­on mit gebrauchte­n Kaffeekaps­eln

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Karin Eberhardt in ihrem Atelier in der Großherzog-Friedrich-Straße. Hier sammelt sie allerlei Materialie­n, auf denen und aus denen dann Stick-Kunstwerke entstehen. Am liebsten stickt sie in aller Ruhe, Tag für Tag, und vergisst dabei die Zeit.
FOTO: IRIS MAURER Karin Eberhardt in ihrem Atelier in der Großherzog-Friedrich-Straße. Hier sammelt sie allerlei Materialie­n, auf denen und aus denen dann Stick-Kunstwerke entstehen. Am liebsten stickt sie in aller Ruhe, Tag für Tag, und vergisst dabei die Zeit.

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