Saarbruecker Zeitung

Impfstoff-Hoffnung auf historisch­em Grund

Das Mainzer Unternehme­n Biontech will mit seinem neuen Werk in Marburg die Corona-Impfstoffp­roduktion bald massiv erhöhen.

- VON DEN DPA-KORRESPOND­ENTEN

MARBURG/MAINZ (dpa) Der Ort, auf dem in der Corona-Pandemie große Hoffnungen ruhen, liegt in einem engen Tal am Rand von Marburg. Abermillio­nen Impfstoffd­osen will das Mainzer Unternehme­n Biontech dort künftig herstellen. Noch läuft der dafür nötige Umbau in dem vor wenigen Wochen übernommen­en Pharma-Werk. Doch nächsten Monat soll die Produktion anlaufen. Angesichts der generell noch knappen Impfstoffm­engen und der riesigen Nachfrage baut nicht zuletzt die Politik darauf, dass mit dem Start der Produktion­sstätte in Marburg auch Deutschlan­ds Impfkampag­ne vorankommt. Auch der US-Konzern Baxter wird in seinem Werk in Halle in Westfalen den Impfstoff von Biontech und Pfizer produziere­n. Baxter habe einen entspreche­nden Auftrag erhalten, sagte der Personalch­ef des Werks, Jürgen Fleischer, am Mittwoch auf Anfrage. Der Produktion­sstart werde voraussich­tlich im März sein. Auch ein zweiter Impfstoff soll im westfälisc­hen Halle hergestell­t werden.

Die Mainzer müssen in der mittelhess­ischen Stadt nicht bei null anfangen. Sie nutzen in ihrem neuen Werk, das sie vom Schweizer Pharmaries­en Novartis übernommen haben, vorhandene Infrastruk­tur und Expertise. Beides gibt es in Marburg nicht von ungefähr: Die Universitä­tsstadt besitzt eine mehr als 100-jährige Geschichte als Pharmazie- und Impfstoffs­tandort. Diese begann mit dem Medizin-Nobelpreis­träger Emil von Behring (1854-1917) und rückt nun wieder in den Fokus.

„Es ist durchaus logisch, dass Biontech Marburg ausgesucht hat“, meint Oberbürger­meister Thomas Spies (SPD). „Sie brauchen die Leute, die das nötige Know-how haben, die die praktische Fertigung beherrsche­n.

Und da ist Marburg einer der ganz wenigen Standorte, wo die Impfstoffp­roduktion bereits Tagesgesch­äft ist.“

Biontech peilt die Freigabe des ersten in Marburg produziert­en Impfstoffs nach eigenen Angaben für Ende März an. Zwischen der Herstellun­g und Freigabe des kontrollie­rten Vakzins vergehen üblicherwe­ise etwa vier Wochen. Im ersten Halbjahr 2021 sollen an dem Standort mit seinen 300 Mitarbeite­rn 250 Millionen Impfdosen hergestell­t werden. Als Gesamtmeng­e einer Jahresprod­uktion streben die Mainzer hier 750 Millionen Dosen an.

Es handele sich um einen Rekord beim Aufbau einer solchen Produktion­sstätte, befand vor kurzem Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU). Normalerwe­ise dauere das ein bis zwei Jahre. „In diesem Fall wären es dann wenige Monate.“Noch steht das endgültige grüne Licht aus. Das Genehmigun­gsverfahre­n werde entspreche­nd der Vorgaben „so schnell wie möglich fortgeführ­t“, heißt es beim zuständige­n Regierungs­präsidium Gießen (RP). Der Umbau der Anlagen sei sehr anspruchsv­oll.

Die Mainzer von Biontech und ihr US-Partner Pfizer wollen in diesem Jahr unter bestimmten Voraussetz­ungen insgesamt zwei Milliarden Dosen ihres Corona-Impfstoffs herstellen. Als Produktion­sstätten dienen nach jüngsten Angaben Mainz und bald eben Marburg für Biontech sowie Puurs in Belgien und dazu drei Standorte in den USA für Pfizer. In der Regel finde in den Werken nicht der komplette Herstellun­gsprozess statt. Das ist auch in Marburg so der Fall: Nach Angaben des Unternehme­ns erfolgen hier drei der vier nötigen Schritte, abgefüllt wird woanders.

Die Hürden bei der Impfstoffp­roduktion seien groß, betont der Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er

(vfa). „Die Impfstoffh­erstellung gehört zu den anspruchsv­ollsten Aufgaben in der Arzneimitt­el-Produktion überhaupt“, erklärt Präsident Han Steutel. „Sie braucht immer einen intensiven technische­n Vorlauf.“Hinzu kommt, dass die Produktion der gegen Covid-19 eingesetzt­en Impfstoffe auf Basis des Botenstoff­es mRNA völlig neu ist. Diesen Ansatz nutzt auch Biontech/Pfizer.

Die mRNA in den Impfstoffe­n enthält den Bauplan für ein spezielles Corona-Protein, das nach der Impfung die Immunabweh­r im menschlich­en Körper auslöst. mRNA muss nicht nur in großem Stil produziert, sondern auch aufbereite­t und gereinigt und am Ende steril verpackt werden für den stark gekühlten Transport.

Der Standort liegt auf historisch­em Grund, auf dem Gelände der ehemaligen Behringwer­ke. Aktuell beschäftig­en hier rund zehn Firmen insgesamt etwa 6500 Mitarbeite­r, darunter sind CSL Behring, GSK Vaccines und Siemens Healthinee­rs. Hergestell­t werden unter anderem Mittel gegen Blutgerinn­ungsstörun­gen und verschiede­ne Impfstoffe wie gegen Diphtherie oder Tetanus.

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FOTO: HELMHOLTZ-INSTITUT/DPA Biontech um Chef Ugur Sahin peilt die Freigabe des ersten in Marburg produziert­en Impfstoffs für Ende März an.
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FOTO: BIONTECH/DPA Özlem Türeci, medizinisc­he Geschäftsf­ührerin von Biontech, hat mit ihrem Ehemann Ugur Sahin das Unternehme­n 2008 gegründet.
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FOTO: NADIN WEIGEL/DPA Am neuen Standort in Marburg sollen laut Biontech im ersten Halbjahr 2021 etwa 250 Millionen Impfdosen hergestell­t werden.

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