„Herr Spahn, vergeigen Sie das jetzt nicht“
BERLIN Katrin Göring-Eckardt wirkte sauer. „Was hat wer wann gemacht, das entspricht nicht dem Ernst der Lage“, rief sie dem Bundestag zornig zu und zählte die aktuelle Zahl der Infizierten und Toten auf. Ausgerechnet die oppositionellen Grünen nahmen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Debatte um den holprigen Impfstart in Schutz. Als einzige Partei neben der Union.
Der Appell der Grünen-Fraktionschefin zielte vor allem auf die Regierungspartei SPD, die auch jetzt nicht von ihrer Kritik am Minister ablassen wollte. Am 5. Januar hatte SPDMann Olaf Scholz Spahn schon einen Katalog mit 62 kritischen Fragen zur
Impfstoffbeschaffung vorgelegt. Ein „Misstrauensvotum des Vizekanzlers“nannte FDP-Chef Christian Lindner das in der Debatte. Die Sozialdemokraten waren wegen ihres Vorgehens schon vielfach vom Koalitionspartner öffentlich kritisiert worden, zeigten sich aber nur wenig beeindruckt. Es gehe darum, sagte ihre Gesundheitsexpertin Bärbel Bas, „besser zu werden“, das sei schließlich „keine Majestätsbeleidung“.
Jens Spahn ging in seiner Regierungserklärung nicht direkt auf den Streit ein. Wer wollte, konnte aus seinem Satz, dass man sich „auch unter Stress“vertrauen müsse, aber einen Appell an den Koalitionspartner heraushören. Spahn wiederholte seine Schilderung des Geschehens: Man habe frühzeitig auf eine gemeinsame Beschaffung in der EU gesetzt. Zudem habe Deutschland mit Abnahmegarantien und viel Geld dazu beigetragen, dass überhaupt so schnell Impfstoffe entwickelt werden konnten. Es gebe zu Beginn kein Bestellproblem, sondern ein Herstellungsproblem. „Das hätte auch ein deutscher Alleingang nicht verändert.“Die Versorgung werde nun aber schnell spürbar besser werden. Schon Mitte Februar würden alle Bewohner von Alten- und Pflegeheimen geimpft sein. Und Spahn versprach erneut: „Wir können voraussichtlich im Sommer allen ein Impfangebot machen“.
Das freilich zog nur neue Fragen seitens SPD nach sich. Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller trat als Gastredner von der Bundesratsbank aus auf und rechnete vor: Dann brauche seine Stadt bis dahin fünf Millionen Impfdosen, das mache 28 000 pro Tag. „So viel bekommen wir derzeit pro Woche“. Er wolle verlässlich wissen, wann er welche Menge bekomme, erst dann könne man auch die Bürger zur Impfung einladen. Die Grünen hatten in einem anderen Punkt Forderungen an Spahn: Sie verlangten eine flächendeckende Versorgung mit Schnelltests, damit Kitaerzieher im Notdienst oder Verkäufer sicherer sein könnten. „Herr Spahn, vergeigen Sie das jetzt nicht“, sagte Göring-Eckardt.
Eine komplett andere Position nahm AfD-Redner Sebastian Münzenmaier ein. Die Bundesregierung schüre mit einem „Trommelfeuer“von Katastrophenmeldungen bloß „Panik“, um Zweifel an dem Impfstoff zu zerstreuen. Auch forderte Münzenmeier ein Ende des „unverhältnismäßigen Lockdowns“. Spahn hörte sich das alles hinter einer FFP2-Maske verborgen scheinbar regungslos an. Überhaupt trugen diesmal fast alle Abgeordneten auch auf ihren Plätzen Masken, obwohl das nicht Pflicht, sondern nur „empfohlen“ist. Selbst in den Reihen der AfD schützten sich diesmal die meisten, auch die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland. Die Angst vor dem Virus ist auch im Bundestag angekommen.