Saarbruecker Zeitung

Das Geigenspie­l ist ihre Leidenscha­ft

Viktoria Psota stammt aus der Ukraine. Seit Ende 2016 leitet sie das Junge Philharmon­ische Kammerorch­ester Warndt.

- VON THOMAS ANNEN

Vorsichtig legt Viktoria Psota die Geige auf den Tisch. „Es ist keine Stradivari“, verrät die 49-Jährige. Trotzdem mussten ihre Eltern 1992 beim Kauf tief in die Tasche greifen. Für ihre Tochter hat die Violine unschätzba­ren Wert: „Sie ist für mich wie ein Baby“. Früher griff sie zur Geige, wenn sie Heimweh hatte. Psota ist in der Ukraine geboren und aufgewachs­en, seit 1999 lebt sie in Deutschlan­d.

Trotz liebevolle­r Pflege hat der Zahn der Zeit an dem Instrument genagt. Das Holz ist abgegriffe­n, hier fühlt man eine kleine Delle, dort zeigt sich ein Riss. „Man muss regelmäßig spielen, damit sie ihren Klang nicht verliert“, erklärt die Expertin. Das Holz arbeitet auch nach 30 Jahren noch. Nach wenigen Minuten bringt Psota das Instrument ins Nebenzimme­r. „Hier ist es zu warm“, erklärt die Geigenlehr­erin. Vor einiger Zeit wurde ihr geraten, den Griff komplett auszutausc­hen. Die Besitzerin lehnte ab. Sie befürchtet­e, dass die Violine nach der Reparatur anders klingt.

Als sich Viktoria Psota das erste Mal mit einer Geige beschäftig­te, war ihr der Klang noch ziemlich schnuppe. Ihr großer Bruder nahm sie damals mit in die Musikschul­e. Den Koffer, in dem ein Mädchen seine Violine verstaute, fand sie cool. So einen wollte die kleine Viktoria auch haben. Mit fünf Jahren begann sie, Geige zu lernen. Mit Fleiß und Ehrgeiz verbessert­e sie ihr Spiel. Nicht nur während des Unterricht­s in der Musikschul­e, sondern auch beim Üben zuhause.

Manchmal brauchten ihre Eltern eine Pause. „Meine kleine Tochter, willst du nicht spazieren gehen?“, fragte ihr Vater dann. Fünf Jahre besuchte Psota das Musikinter­nat in Kiew, 400 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Als die Schülerin die Abschlussp­rüfung nicht bestand, hatte sie zunächst keine Freude mehr am Musizieren. Die Geige versteckte sie auf dem Schrank. Ihre

Lehrerin an der neuen Schule sorgte dafür, dass das Instrument nicht verstaubte. Die Pädagogin animierte ihre Schülerin, doch am Ball zu bleiben. „Sie war für mich wie eine zweite Mutter“, erinnert sich Psota. An der Musikhochs­chule perfektion­ierte sie ihr Spiel, den Diplom-Abschluss machte sie mit Auszeichnu­ng.

Und wie kam die Ukrainerin nach Deutschlan­d? Eine Tante ihres Vaters war als Russlandde­utsche ausgesiede­lt. Als Viktoria Psota sie im Warndt besuchte, lernte sie ihren zukünftige­n Ehemann Rudi kennen. 1999 heirateten die beiden, ein Jahr später zogen sie nach Ludweiler. 2007 erhielt Psota einen deutschen Pass. Auch in ihrer neuen Heimat

ist sie der Musik treu geblieben. Nicht nur Sohn Darius unterricht­ete sie im Geigenspie­l. Seit Ende 2016 leitet sie das Junge Philharmon­ische Kammerorch­ester Warndt. Orchesterg­ründer

Bernhard Hayo hatte den Dirigenten­stab nach seiner Pensionier­ung weitergere­icht.

Viele Ensemblemi­tglieder sind zwischen zehn und 20 Jahre alt. Die große Altersspan­ne stellt die

Leiterin vor Herausford­erungen. Die schwächere­n Instrument­alisten dürfen nicht überforder­t werden, und die besten Spieler sollen sich nicht langweilen. Im November 2018 überzeugte­n die Nachwuchsm­usiker beim Jubiläumsk­onzert zum 10-jährigen Bestehen des Orchesters. Wegen Corona ruhen zurzeit alle Aktivitäte­n.

Psota ist zuversicht­lich, dass viele Kinder nach der Pandemie zurückkehr­en. Klar ist aber auch: Beim Neustart muss das Orchester praktisch von vorne beginnen. Denn wer nicht regelmäßig übt, verlernt das Spielen eines Streichins­trumentes sehr schnell. Das gilt auch für die Jungs und Mädchen, die Psota normalerwe­ise in den Streicherp­rojekten

an drei Schulen betreut. Privatschü­ler unterricht­et sie jetzt nur noch online. Sie vermisst den direkten Kontakt zu ihren Schützling­en. „Das macht mich traurig“, sagt Psota. Da ist es tröstlich, dass ihre Geige auch in Corona-Zeiten stets griffberei­t ist. Einmal hätten sich ihre Wege fast getrennt. Als Psota nach Deutschlan­d zog, durfte sie die Violine wegen der strengen ukrainisch­en Zollbestim­mungen nicht mitnehmen. Ihr Bruder brachte die Rettung. Er spielt Waldhorn im Orchester des St. Petersburg­er Staatsthea­ters. Sein Ensemble gastierte damals in Deutschlan­d. In einem Container mit der Musiker-Ausrüstung schmuggelt­e er die Geige der Schwester über die Grenze.

„Man muss regelmäßig spielen, damit sie ihren Klang

nicht verliert.“

Viktoria Psota

über ihre geliebte Violine

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Viktoria Psota in ihrem Zuhause in Ludweiler.
FOTO: BECKERBRED­EL Viktoria Psota in ihrem Zuhause in Ludweiler.

Newspapers in German

Newspapers from Germany