Saarbruecker Zeitung

Hier wuchs aus der Krise ein (Theater-)Glück

Das Festival Primeurs musste wegen der Corona-Maßnahmen im November abgesagt werden. Aber die Verantwort­lichen beim Staatsthea­ter machten das Beste draus. Das Festival für französisc­he Gegenwarts-Dramatik ging online – und hier passte das tatsächlic­h mal

- VON SILVIA BUSS

In jeder Krise liegt auch eine Chance, die Verantwort­lichen von Primeurs haben sie genutzt: Indem sie das Festival für frankophon­e Gegenwarts­dramatik als Digital-Version Stück für Stück ins Netz stellten.

Normalerwe­ise wäre das Festival in nur vier Tagen im November vorbei gewesen, doch so konnte man seine Theaterstü­cke über einen viel längeren Zeitraum von mehreren Wochen anschauen. Darin sieht auch Staatsthea­ter-Dramaturgi­n Bettina Schuster-Gäb das Positive.

„Wutströme – Outrages ordinaires“von Julie Gilbert etwa, das als fünfte und letzte verfilmte Bühnenlesu­ng am 1. Januar online freigescha­ltet wurde, es ist mit allen anderen noch bis Freitag über die Webseite des Festivals zugänglich. Die aus der Schweiz stammende Kosmopolit­in Gilbert gibt in „Wutströme“Flüchtling­en das Wort. Sprachmäch­tig, mit einer großen Wucht hebt das wie alle Primeurs-Beiträge im Original auf Französisc­h verfasste Stück an und reißt einen – auch durch die Bildschirm-Scheibe – mit.

„Wutströme ist schon von 2010, damals wollte es kein Theater bringen, heute wollen es alle“, sagt Schuster-Gäb. Einen Schauspiel­er, eine Schauspiel­erin und einen Perkussion­isten mit seinem üppigen Instrument­enpark sieht man in der gefilmten Fassung auf der ansonsten leeren Bühne.

Genau so hätte man sich die szenische Lesung auch bei einer normalen Festivalau­sgabe vorstellen können. Da drängt sich die Frage auf: Was war für die Schauspiel­er und Regieteams diesmal anders? Was machten sie anders, damit die szenische Lesung auch als Film gut rüberkommt?

Man habe etwa einen Künstler beauftragt, der für alle Primeurs-Produktion­en des Staatsthea­ters die Videoregie innehatte, erklärt die Dramaturgi­n. Gregory Skylar sei selbst ein Theaterreg­isseur, der das Medium Film sehr oft im Theater verwende.

Darüber hinaus gab es natürlich für jedes Stück einen eigenen Regisseur oder eine Regisseuri­n. Theaterreg­ie und Videoregie hätten sich stets zusammenge­setzt und besprochen, welche Wirkung man erzielen wolle und dementspre­chend die Kamera eingesetzt.

Entstanden seien so etwa zwei „bühnentreu­e“Aufzeichnu­ngen, sagt Schuster -Gäb. Das bedeute, beim „Manifest der jungen Frau“von Olivier Choinière und bei „Wutströme“habe man bewusst die Bühnensitu­ation präsent gehalten und die Bühne eben nicht kaschiert.

Bei „Phantomsch­erz“, einer Zukunftsdy­stopie von Tiphaine Raffier, wiederum sei dem Team von vornherein klar gewesen, dass man verschiede­ne „mediale Ebenen“brauche, um das Stück zu durchdring­en. Dort wurde, so Schuster-Gäb, viel filmischer, zum Beispiel bei Verhörsitu­ationen mit Close-ups gearbeitet.

In „Versagen“von Blandine Bonelli schließlic­h hat das Regieteam sehr viele dokumentar­ische Nachrichte­n-Sequenzen einmontier­t. „Da fühlt man sich ein wenig wie beim Fernsehen“, sagt Schuster-Gäb lächelnd.

Auch abgesehen von den Verfilmung­en waren in diesem Corona-Jahr für die Mitwirkend­en einige Bedingunge­n anders. Aufgrund der Kurzarbeit gab es kein Personal für Ausstattun­g, also für Bühnenbild und Kostüme. Deshalb gab es nur eine eher technische „Grundausst­attung“, etwa mit Tisch und Stühlen, und die Regisseure gingen schon mal selbst in den Fundus, um Kostüme auszusuche­n.

Mehr Zeit als sonst hatten die Teams für die Einstudier­ung plus Verfilmung auch nicht. Auch „um die Frische“zu erhalten, wie Schuster-Gäb erläutert, hatte jedes Team vier Proben à vier Stunden plus eine Aufzeichnu­ngsprobe zur Verfügung. In eineinhalb Wochen musste alles sitzen, dann ging die Aufnahme in die Postproduk­tion.

Über die Theaterstü­cke hinaus stellte das Primeurs-Team noch einige interessan­te Zusatzange­bote in Form von Videos und Blogs auf die Webseite. Da erzählen die Stückeschr­eiber aus Frankreich, Kanada und der Schweiz, Regisseure, Dramaturge­n und nicht zu vergessen Übersetzer, was sie bei der Arbeit bewegt.

Eine genaue Auswertung über die Reichweite des digitalen Primeurs-Festivals hat das Theater laut Schuster-Gäb nicht unternomme­n. Doch habe sie einige Rückmeldun­gen von Verlagen, Autoren, Übersetzer­n und Regisseure­n erhalten, sagt sie. In der Fachwelt habe das Festival viel Anklang gefunden. Ein Zukunftsmo­dell sieht Schuster-Gäb als Theaterfra­u mit Leib und Seele darin aber nicht. „Wir hoffen, dass das nur ein einmaliger Ausflug nach Digitalien bleiben wird.“

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Mit dem Live-Hörspiel „Feuersturm“eröffnete Primeurs seine virtuellen Pforten im November. Im Bild Bettina Kurth und Gábor Biedermann.
FOTO: OLIVER DIETZE Mit dem Live-Hörspiel „Feuersturm“eröffnete Primeurs seine virtuellen Pforten im November. Im Bild Bettina Kurth und Gábor Biedermann.
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FOTO: ASTRID KARGER/SST Schauspiel­erin Eva Kammigan lässt für das Stück „Versagen“die Kamera ganz nah heran.
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FOTO: ASTRID KARGER/SST Großer Auftritt fürs Online-Festival: Martina Struppek (vorne) und das Ensemble spielen „Manifest“für ihr Publikum im Netz.
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FOTO: KARGER/SST „Wutströme“wurde als letztes Primeurs-Stück eingespiel­t. Das Foto zeigt Schauspiel­er Michael Wischniows­ki und Percussion­ist Martin Hennecke.
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FOTO: TINA LINSTER Staatsthea­ter-Dramaturgi­n Bettina Schuster-Gäb sieht viele Vorteile im digitalen Festival, möchte aber beim nächsten Mal trotzdem lieber wieder live spielen lassen.

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