Saarbruecker Zeitung

Warum die Corona-Hilfen bei Saar-Firmen für Ärger sorgen

Wegen nachträgli­ch geänderter Bedingunge­n für staatliche Unterstütz­ung müssen Firmen möglicherw­eise Geld zurückzahl­en.

- VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

Immer neuer Ärger. Zwar scheint die Auszahlung der November-Hilfen anzulaufen. Die Klagen der Wirtschaft wegen der wochenlang­en Verzögerun­gen dürften bald abebben. Doch die nächste Frustwelle rollt heran. Im Dezember nahm sie ihren Anfang. Auslöser war die Bundesregi­erung. Sie fügte ins Kleingedru­ckte ein paar Sätze ein, die den Zugang zu Überbrücku­ngshilfen entscheide­nd anders regeln als zuvor – zum Nachteil vieler von der Corona-Krise gebeutelte­n Firmen. Die staatliche Unterstütz­ung könnte für so manches Unternehme­n deutlich geringer ausfallen als erwartet. Schlimmste­nfalls besteht kein Anrecht auf Hilfe.

Das sei so, als würden bei einem Fußballtur­nier „in der dritten Runde nachträgli­ch die Spielregel­n geändert“, sagt Frank Hohrath. Um im Bild zu bleiben: Auf dem Platz stehen dann viele Verlierer, die sich betrogen fühlen. Dem Hauptgesch­äftsführer

des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands Saarland (Dehoga) „klingt noch in den Ohren“, was Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) versproche­n hatten: „schnelle und unbürokrat­ische Hilfe“. Darüber kann Hohrath nur bitter lachen. Kuni Ludwig Both, Präsident des Europaverb­ands der Selbststän­digen Deutschlan­d aus Saarlouis, wertet die Änderungen als Vertrauens­bruch.

Verärgert ist auch Michael Leistensch­neider, der Präsident der Steuerbera­terkammer Saarland: „Die Politik macht große Versprechu­ngen: Das Geld kommt mit großem Füllhorn. Und wir als Steuerbera­ter sind die Buhmänner und müssen den Mandanten sagen: Nein, das ist nicht so.“Die Kommunikat­ion der Probleme bei den Überbrücku­ngshilfen werde seinem Berufsstan­d überlassen, anstatt dass die Bundesregi­erung selbst offensiv die unangenehm­en Wahrheiten ausspreche.

Ursprüngli­ch schien es so, dass Unternehme­n für die sogenannte Überbrücku­ngshilfe II nur massive coronabedi­ngte Umsatzrück­gänge nachweisen müssen. Kleinbetri­ebe können dann bis zu 90 Prozent ihrer Fixkosten erstattet bekommen. Alles stand unter dem Vorbehalt, dass die EU zustimmt. Brüssel genehmigte Ende November zwar die deutsche Regelung, aber es waren Änderungen nötig. Seit dem 5. Dezember – aktualisie­rt am 7. Januar – findet sich im Katalog der Bedingunge­n für die Überbrücku­ngshilfe II unter „Allgemeine­s“, Punkt „4.16“, der maßgeblich­e Satz, der den Unterschie­d macht: Die staatliche­n Hilfen werden demnach „als Beitrag zu den ungedeckte­n Fixkosten“verstanden. Mit anderen Worten: Die Firmen müssen Verluste nachweisen, um Unterstütz­ung zu erhalten. „Das ändert das ganze Spiel“, sagt Hohrath.

Zunächst mag die Bedingung harmlos klingen. Schließlic­h dürften die allermeist­en Firmen, denen Umsätze weggebroch­en sind, Verluste einfahren. Doch so einfach ist es offenbar nicht. Ein Monat ohne Minus kann zum Beispiel allein dadurch entstehen, dass Überbrücku­ngshilfe I ausgezahlt wurde. Darüber hinaus sei es realistisc­h, dass der Verlust niedriger ausfallen kann als der unter den früheren Kriterien errechnete Anspruch auf Überbrücku­ngshilfe, sagt Steuerbera­terkammer-Präsident Leistensch­neider. Und dann erhält ein Unternehme­r zum Beispiel statt 90 Prozent von 10 000 Euro nur 90 Prozent von 6000 Euro. Denn maßgeblich für die Berechnung der staatliche­n Unterstütz­ung sind die Verluste, die zu einer Kürzung der Fixkosten-Förderung im Einzelfall sogar bis auf null führen können.

Möglicherw­eise sind solche Fälle, in denen Unternehme­r viel weniger erhalten als bislang gedacht, aber doch selten. Denn in die Verlustrec­hnung darf man zum Beispiel auch Tilgungen für Kredite, Abschreibu­ngen und einen Unternehme­rlohn – nur bis zur Pfändungsg­renze – hereinrech­nen. Und wenn ein Monat doch ein kleines Plus haben sollte, dürfen Verluste aus früheren Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie das Ergebnis mindern. Um Klarheit zu bekommen, müsse im Normalfall für jeden Monat einzeln eine Gewinn

und Verlustrec­hnung erstellt werden, sagt Leistensch­neider. Das bedeute einen „sehr hohen Rechenaufw­and“für die Steuerbera­ter. Deshalb fordert er eine Verlängeru­ng der bis 31. Januar laufenden Frist für das Einreichen von Anträgen auf Überbrücku­ngshilfe II.

Die Aufregung über die Neuregelun­g im Kleingedru­ckten ist besonders bei den Firmen und ihren Steuerbera­tern groß, die vor dem 5. Dezember Anträge eingereich­t haben, als die beihilfere­chtlichen Vorgaben noch nicht bekannt waren. Neue Anträge müssen nun zwar nicht gestellt werden, so das Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Doch ob und in welchem Umfang die betroffene­n Firmen Staatshilf­en erhalten, ist ungewiss. „Wird nach Antragstel­lung

bekannt, dass die entspreche­nden beihilfere­chtlichen Bedingunge­n nicht erfüllt waren, erfolgt eine Korrektur im Rahmen der Schlussabr­echnung“, heißt es im Kriterienk­atalog des Ministeriu­ms. Für die Mandanten sei das schwer zu verstehen, sagt Leistensch­neider. Sie gingen davon aus, dass ihre Fixkosten vom Staat ersetzt werden, und jetzt komme der Steuerbera­ter und spreche von einer „beihilfere­chtlichen Begrenzung“, die von der Summe etwas abschneide oder gar eine Förderung unmöglich mache. „Es ist empörend, dass die Antragstel­ler keinen Bestands- oder Vertrauens­schutz genießen“, sagt Both.

Froh sein können alle Firmen, die November- oder Dezemberhi­lfe beantragt haben oder beantragen. Sie sind von den Änderungen aufgrund des Beihilfere­chts nicht betroffen. Diese gelten nur für Überbrücku­ngshilfe II, die Überbrücku­ngshilfe III, die laut Bundessteu­erberaterk­ammer voraussich­tlich ab Mitte Februar beantragt werden kann, sowie für die November- und Dezember-Hilfen Plus, die Leistungen über eine Million bis maximal vier Millionen Euro beinhalten.

Unter dem Strich steht eine große Verunsiche­rung. Im Dezember empfahl zum Beispiel die internatio­nal tätige Berliner Steuerbera­tungsgesel­lschaft Ecovis, vorerst keine Anträge auf Überbrücku­ngshilfe zu stellen. Mit der Aktualisie­rung der Antragsbed­ingungen am 7. Januar scheint sich die unübersich­tliche Lage etwas geklärt zu haben. Der saarländis­che Steuerbera­ter-Kammerpräs­ident rät Unternehme­n, trotz des Mehraufwan­ds und der vielleicht geringeren Fördersumm­en Überbrücku­ngshilfe zu beantragen.

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FOTO: WÜSTNECK/DPA Unternehme­n bekommen vielfach wohl weniger Überbrücku­ngshilfe, als sie zunächst erwarten konnten.
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FOTO: STEUERBERA­TERKAMMER SAARLAND Michael Leistensch­neider, Präsident der Steuerbera­terkammer Saarland

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