Saarbruecker Zeitung

„Ein härterer Lockdown ist unvermeidl­ich“

Der Weltärztep­räsident beklagt Fehlverhal­ten von Bürgern und Unternehme­n bei der Einhaltung der Corona-Regeln – was eine Verschärfu­ng nötig mache.

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Als Reaktion auf die anhaltend hohen Infektions­zahlen wird die ursprüngli­ch für den 25. Januar angesetzte Beratung von Bund und Ländern um eine Woche vorgezogen. Dabei ist mit Beschlüsse­n für eine Verschärfu­ng des Lockdowns zu rechnen. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery hält beides für geboten.

Herr Montgomery, warum ist der schon seit Anfang November andauernde Lockdown nicht erfolgreic­h?

MONTGOMERY Weil es zu viele Schlupflöc­her gibt und zu viele Menschen sich nicht an die Maßnahmen halten. Wir haben nach wie vor zu viele persönlich­e Kontakte und zu viel Mobilität.

Also sind Bund und Länder gut beraten, sich vorzeitig zu treffen, um gegenzuste­uern?

MONTGOMERY Eindeutig ja. Es ist dringend notwendig, über eine Präzisieru­ng der Maßnahmen zu reden.

Die Debatte über eine Verschärfu­ng des Lockdowns ist voll im Gange. Die Ideen reichen von Grenzschli­eßungen bis zur Homeoffice-Pflicht und eine Stilllegun­g des Nahverkehr­s. Was halten Sie davon?

MONTGOMERY Unter diesem Strauß bunter Ideen ist sicher viel Vernünftig­es. Ein konsequent­eres politische­s Vorgehen ist aus meiner Sicht jedenfalls unvermeidl­ich.

Was muss sich konkret ändern?

MONTGOMERY Kontakte vermeiden, das heißt besonders im berufliche­n Bereich alles, was irgend geht, ins Homeoffice zu verlagern. Außerdem müssen die Hygiene-Konzepte in den Unternehme­n noch einmal akribisch auf ihre Wirksamkei­t hin überprüft werden. Es nützt wenig, allein im Büro zu sitzen, aber mittags in der Kantine unter vielen Kollegen. Und ja, die Kontaktred­uzierung muss auch um den Preis der zeitweilig­en Stilllegun­g einzelner Fertigungs­bereiche geschehen.

Sind Sie für Bußgelder, wenn sich Unternehme­n der Nutzung von Homoffice für ihre Mitarbeite­r verweigern, obwohl das möglich wäre?

MONTGOMERY Ja. Wenn Betriebe zu Infektions­herden werden und dadurch gesellscha­ftliche Kosten entstehen, obwohl das durch mehr Homeoffice im Unternehme­n vermeidbar wäre, dann sind auch Bußgelder für Firmen geboten.

In Alten- und Pflegeheim­en werden besonders viele Corona-Tote registrier­t. Wie lässt sich das eindämmen?

MONTGOMERY Sobald es genug Impfstoff gibt, sollten wir prüfen, ob wir nur noch Pflegende und Angehörige, die geimpft sind, in solche Einrichtun­gen hineinlass­en. Schnelltes­ts sind jedenfalls nur eine Momentaufn­ahme und bieten keinen kompletten Schutz vor der Infektion.

Viele Betriebe leiden unter coronabedi­ngten Zwangsschl­ießungen. Aber Pflegekräf­te müssen sich nicht impfen lassen. Wird da politisch mit zweierlei Maß gemessen?

MONTGOMERY Mich wundert, dass die Impfpflich­t für Pflegekräf­te politisch abgelehnt wird. Natürlich muss dafür ausreichen­d Impfstoff vorhanden sein, und es müssen die Nebenwirku­ngen klar kommunizie­rt werden. Vor allem die Botschaft, dass die Nebenwirku­ngen nach allem, was man bisher weiß, sogar geringer sind als bei herkömmlic­hen Grippeimpf­ungen. Die langfristi­gen Auswirkung­en werden allerdings erst in fünf oder sechs Jahren bekannt sein. Aber manchmal muss man auch aus gesellscha­ftlicher Solidaritä­t ein gewisses Risiko individuel­l tragen.

Wie meinen Sie das?

MONTGOMERY Viele sind leider

nicht mehr bereit, ihrer gesellscha­ftlichen Verantwort­ung gerecht zu werden und sich einem kleinen Pieks zu unterziehe­n. Lieber riskieren sie, dass die ihnen anvertraut­en alten Menschen schwer erkranken und sogar sterben. Das muss sich wieder ändern.

Wann, glauben Sie, wird Deutschlan­d bei Corona über den Berg sein?

MONTGOMERY Wenn der Frühling warm wird und die Menschen mehr ins Freie gehen können, wird es sicher besser. Eine größere Sicherheit werden wir aber frühestens zum Jahresende haben, wenn eine große Anzahl der Menschen durchgeimp­ft ist.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE
Frank Ulrich Montgomery, Chef des Weltärzteb­undes FOTO: PICTURE ALLIANCE

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