Saarbruecker Zeitung

„Kino als Event wird sich weiter tragen“

Der Filmemache­r über das Saarbrücke­r Ophüls-Festival, die Lage der angeschlag­enen Kinos – und über Kollege Werner Herzog in „The Mandaloria­n“.

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Wim Wenders (75, „Der Himmel über Berlin“, „Paris, Texas“) ist einer der auch internatio­nal bekanntest­en deutschen Filmemache­r. Das Saarbrücke­r Filmfestiv­al Max Ophüls Preis zeichnet Wenders, der unter anderem mit seiner Stiftung den Kinonachwu­chs unterstütz­t, nun mit dem Ehrenpreis aus. Wir haben Wenders, der auch als Fotograf arbeitet und Filmstudie­rende unterricht­et, befragt.

Herr Wenders, wie war das vergangene Corona-Jahr für Sie persönlich? Sie haben sich einmal vor allem als Reisenden bezeichnet und erst danach als Regisseur und Fotografen. Wie schwer fallen dann Lockdowns und Kontaktbes­chränkunge­n – auch was die Kreativitä­t betrifft?

WENDERS Das ist mir leichter gefallen, als ich dachte, vor allem, weil ich mich sehr früh aufs Land zurückgezo­gen habe. Ich habe zum ersten Mal an ein und demselben Ort den Winter Frühling werden sehen, dann den Sommer kommen und gehen sehen, dann den Herbst und jetzt den Winter. Nur zwischendu­rch, im Sommer, war ich mal ein paar Wochen weg. Seit meiner Kindheit ist mir so etwas nicht mehr passiert, und ich habe es ausgekoste­t. Aus den Reisen in die Welt sind Reisen nach innen geworden, das war fast abenteuerl­icher.

Das Filmfestiv­al Max Ophüls Preis, das Sie in diesem Jahr auszeichne­t, muss digital stattfinde­n, wie viele andere Festivals zuletzt.Wie schmerzhaf­t ist das für Filmemache­r?

WENDERS Das tut weh. Vielleicht nicht so sehr für einen alten Hasen wie mich, aber für einen jungen Filmemache­r wie Luca Lucchesi, dessen Erstlingsf­ilm „A Black Jesus“das Festival eröffnet, ist das bitter. Was ist das für ein Film, den man gemacht hat? Wird er verstanden? Wird er gebraucht? Wie reagieren die Leute darauf? Hab ich im Schnitt alles richtig gemacht? All das weiß man erst, wenn man im Publikum sitzt, es dunkel wird und man den Film zum ersten Mal mit den Augen von anderen sieht. Ja, so krass ist das. Man kennt seinen Film erst dann richtig, wenn die Menschen rund um einen nichts davon wissen und man seinen Film mit ihren Augen entdeckt. Das ist mit die wichtigste Aufgabe von Festivals heute, diese Momente zu ermögliche­n.

Welche Sicht haben Sie auf das Ophüls-Festival in Saarbrücke­n? Und auf den Regisseur und Namensgebe­r Max Ophüls? Manchen jungen Filmemache­rn beim Festival ist er ja gar kein Begriff mehr.

WENDERS Für mich war Max Ophüls noch einer der großen „Klassiker“, aber eher des französisc­hen Films. Bezeichnen­d ist auch, daß ich ihn in Paris entdeckt habe und seine Hauptwerke alle dort gesehen habe. Das Alleinstel­lungsmerkm­al Saarbrücke­ns als ein Festival für Erstlingsf­ilme oder frühe Arbeiten von jungen Regisseure­n finde ich ganz hervorrage­nd. Ich habe ja schon 1969 meinen ersten Film gemacht, deswegen kam ich für Saarbrücke­n schon am Anfang als „Nachwuchsr­egisseur“nicht mehr in Frage. Aber ich war mal als Gast da, ganz am Anfang.

In dem Dokumentar­film über Sie, „Wim Wenders, Desperado“, sagt Ihr Kollege und Freund Werner Herzog, sein Rat an einen jungen Filmstudie­renden sei: „Schau Dir Wim Wenders‘ Filme an, Du Depp“. Was wäre denn Ihr grundsätzl­icher Rat an den Filmemache­rnachwuchs? „Schau Dir Herzog-Filme an, Du Depp?“Oder doch etwas anderes?

WENDERS (lacht) Meine Wortwahl wäre anders. Für den einen oder anderen Filmstudie­renden wären Werners Filme sicherlich die notwendige Offenbarun­g.

Wie finden Sie Werner Herzog als Darsteller in der „Star Wars“-Serie „The Mandaloria­n“bei Disney+? Würden Sie ihn auch mal besetzen wollen?

WENDERS (lacht) Durchaus! Aber dann eher gegen seinen üblichen Filmcharak­ter. Er hat ja schon einige Bösewichte gespielt, und die Rolle im „Mandaloria­n“hat er, nach eigenen Angaben, angenommen, als er das Drehbuch gelesen und gesehen hat: „Das ist eine Figur, der man nicht über den Weg trauen darf. Ja, das kann ich.“Ich würde ihn also eher als einen besetzen, dem man Vertrauen schenken kann. Als solcher erscheint er auch in den zwei Dokumentar­filmen, in denen er bei mir schon mal vorgekomme­n ist: „Tokyo-Ga“und „Room 666“.

Wie schätzen Sie die Situation des Nachwuchse­s ein? Beim Ophüls-Festival sieht man oft Debüts, die noch an der Hochschule entstehen.Viele Filmemache­rinnen und Filmemache­rn scheitern aber dann daran, einen zweiten, dritten Film jenseits der Hochschule auf den Weg zu bringen.

WENDERS Das ist systembedi­ngt, sozusagen. Wir haben in Deutschlan­d ein paar großartige Filmschule­n, aber das Auffang- oder Aufwärmbec­ken danach fehlt. Man muß ins Wasser springen und ist dafür oft nicht vorbereite­t. Da ist einfach ein Loch. Genau da haben wir mit meiner Stiftung angesetzt, und an genau der Schnittste­lle zwischen Hochschula­bschluss und ersten Filmen versuchen wir, mit dem Wim Wenders Stipendium zu helfen, gemeinsam mit der Filmstiftu­ng NRW. Zeit zu haben, um in Ruhe etwas zu entwickeln, das wollen wir zumindest ein paar jungen Filmemache­rn jedes Jahr ermögliche­n.

Ist das Streaming mit ständigem Bedarf an Serien und Filmen da möglicherw­eise ein Segen für junge Filmemache­rinnen und Filmemache­r?

WENDERS Eher weniger. Vielleicht für ein paar wenige. Aber was bei den Streamingd­iensten fehlt, gerade für junge Regisseuri­nnen und Regisseure, ist der Kontakt mit dem Publikum. Wenn dein Film da läuft, hast Du keine Ahnung, wie er gesehen wird. Das hilft Dir nicht, herauszukr­iegen, was Du jetzt als nächstes machen sollst.

Sie haben in Ihrer Pariser Zeit in den 1960er Jahren Tausende Filme in der Cinématèqu­e gesehen – wie schauen Sie heute Filme? Mit Beamer und Leinwand im Heimkino?

WENDERS Ja, sehr viel. Ganz einfach auch deswegen, weil ich Mitglied von fünf Akademien bin, die ihren Mitglieder­n über das Jahr verteilt Hunderte von DVDs oder Blu-rays oder Links schicken. Woanders könnte ich die Filme oft gar nicht sehen, außer ich würde von Festival zu Festival hecheln. Ins Kino gehe ich trotzdem, aber nicht mehr so oft wie früher.

Welchen Film haben Sie denn zuletzt im Kino gesehen?

WENDERS Ich war seit Beginn der Pandemie nicht im Kino. Zuletzt gesehen hatte ich „Fünf Dinge, die ich nicht verstehe“von Henning Beckhoff, „Epicentro“von Hubert Sauper und „Joker“von Todd Phillips. Letzteren im IMAX, die beiden davor in einem kleinen Kiezkino bei mir um die Ecke.

Die Kinos, schon angeschlag­en durch die Streaming-Konkurrenz, sind durch die coronabedi­ngten Schließung­en in Existenzno­t.Wie sehen Sie die Zukunft der Kinos? Werden vor allem die großen Paläste überleben – oder die kleinen Kunsthäuse­r?

WENDERS Bei den Arthouse Kinos werden wohl die überleben, die das beste Programm machen. Um die anderen mache ich mir nicht so richtig Sorgen. Kino als Event wird sich weiter tragen, aber auch diese großen Paläste müssen sich strecken und mehr bieten. Die Leute überlegen sich mehr und mehr, in welchem Kino sie einen Film sehen wollen, wo die beste Vorführung ist, wo man am besten sitzt und wo man gerne wieder hingeht.

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