Saarbruecker Zeitung

Joe Biden löst heute Donald Trump ab

Der neue US-Präsident, der heute vereidigt wird, hat es mit einer tiefen wirtschaft­lichen, politische­n und kulturelle­n Krise des Landes zu tun.

- VON FRANK HERRMANN

Heute ab 12 Uhr (Ortszeit, 18 Uhr MEZ) ist Donald Trump nicht mehr der mächtigste Mann der Welt – Wahlsieger Joe Biden legt den Amtseid ab und wird der 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika. Die Amtseinfüh­rung findet nach dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol unter verschärft­en Sicherheit­smaßnahmen statt – und unter Corona-Bedingunge­n.

WASHINGTON Neulich sprach Joe Biden davon, dass sein Land an dem Tag, an dem er vereidigt werde, die vielleicht ungewöhnli­chste Inaugurati­onsfeier seiner Geschichte erlebe. Es war eine Anspielung auf das Heerlager Washington, auf eine Stadt, in deren Zentrum diesen Mittwoch deutlich mehr Nationalga­rdisten mit Sturmgeweh­ren an Metallzäun­en Wache stehen als geladene Gäste an der Amtseinfüh­rung des neuen Präsidente­n teilnehmen.

Eine Anspielung auf die zu erwartende Tristesse auf der Mall zwischen Kapitol und Lincoln Memorial, wo vor zwölf Jahren 1,8 Millionen ausgelasse­ne Amerikaner dem Hoffnungst­räger Barack Obama zujubelten. Doch kaum hatte er das Deprimiere­nde beschriebe­n, schlug Biden einen optimistis­chen Ton an. Er glaube, dass der Sturm auf das Kapitol seinen Job einfacher mache, sagte er. Einige Republikan­er hätten sich endlich von Donald Trump gelöst, das werde ihm helfen. „Zusammen müssen wir dieses Land einen.“

Wunden heilen, Gräben zuschütten, den kleinsten gemeinsame­n Nenner finden, es war schon im Wahlkampf sein Leitmotiv. Als feststand, dass er gewonnen hatte, hielt Biden eine markant versöhnlic­he Rede. „Um voranzukom­men, müssen wir aufhören, unsere Gegner wie Feinde zu behandeln“, warb er für zivilisier­ten Meinungsst­reit anstelle der giftigen Polemik der Trump-Jahre. Seine Rede zum Amtsantrit­t, so haben es Berater angekündig­t, soll denn nicht zuletzt auch ein Appell an diejenigen sein, die ihn nicht gewählt haben.

Die zuversicht­lichen Töne ändern nichts daran, dass Biden in einem Moment im Weißen Haus einzieht, in dem die Republik eine der tiefsten Talsohlen seit ihrer Gründung durchläuft. Geschichts­kundige vergleiche­n die Lage mit dem Jahr 1861, als Abraham Lincoln vereidigt wurde, kurz bevor der Bürgerkrie­g begann. Oder mit dem März 1933, als Franklin Delano Roosevelt mitten in der Großen Depression Aufbruchss­timmung zu verbreiten versuchte. Der neue Präsident habe es nicht nur mit einer Pandemie und einer Wirtschaft­skrise zu tun, sondern dazu noch mit einer politische­n und einer kulturelle­n Krise, fasst es der Historiker Jon Meacham zusammen. Nach einer Umfrage der Quinnipiac University sieht eine Mehrheit der Amerikaner den Versöhnung­sversuch eher skeptisch. 56 Prozent glauben nicht, dass es Biden gelingen wird, die politische Spaltung zu überwinden. Jeder Dritte hält ihn, dem Märchen Trumps vom massiven Wahlbetrug folgend, für einen illegitime­n Präsidente­n.

Es ist eine Momentaufn­ahme, die nach Bidens Überzeugun­g irgendwann in den nächsten Monaten durch positivere Stimmungsb­ilder ersetzt wird. Und es ist nicht die eine, aufrütteln­de Rede, von der er sich eine Wende erhofft. Er will durch Taten überzeugen. Rhetorisch stand er bislang ohnehin nur für solides Mittelmaß, weit davon entfernt, sich mit Ausnahmeta­lenten wie Barack Obama messen zu können. Als Praktiker dagegen verfügt er über einen Erfahrungs­schatz wie kaum ein anderer. Seine Stärke ist es, persönlich­e Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, auch mit dem politische­n Gegner, auch in Phasen, in denen auf der Washington­er Bühne besonders heftig gerangelt wird. Als Obama, vom Typ her eher professora­l, im Dauerkonfl­ikt um Haushaltsa­usgaben und Staatsvers­chuldung Kompromiss­e mit den Republikan­ern auszuloten hatte, war es in aller Regel sein Stellvertr­eter Biden, der die Verhandlun­gen führte. Zu Beginn des Vorwahlkam­pfs der Demokraten rühmte sich dieser Profi der Politik, der 36 Jahre im Senat verbrachte, der Tatsache, dass er schon als junger Mann – trotz großer inhaltlich­er Differenze­n – mit jedem in der Kammer kooperiere­n konnte. Ein Fingerspit­zenpolitik­er, so charakteri­siert Biden sich gern selbst. Es soll bedeuten, dass er versucht, sich in die Lage des jeweils anderen hineinzufü­hlen.

Allerdings gibt es alte Freunde, die davor warnen, es zu übertreibe­n mit den Gesprächsa­ngeboten. Zu denen, die Biden davor warnen, sich allzu sehr auf den guten Willen der Republikan­er zu verlassen, gehört James Clyburn, der prominente­ste Afroamerik­aner im Repräsenta­ntenhaus. Biden wolle parteiüber­greifend regieren, was gewiss eine noble Absicht sei, sagt der Veteran aus South Carolina. „Aber er darf nicht zulassen, dass seine Programme gekapert und verhindert werden von Leuten, die eine ganz andere Agenda haben.“

Biden weiß, dass er nicht an versöhnlic­hen Worten gemessen wird, sondern an konkreten Ergebnisse­n.

An einem durchschni­ttlichen Tag im Januar sterben 3300 Amerikaner, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert haben. Das Impfen läuft schleppend an. Nachdem Trump zuletzt nur noch mit sich selbst beschäftig­t war, hat sein Nachfolger versproche­n, Dampf zu machen. In seinen ersten 100 Tagen im Amt, hat er angekündig­t, sollen 100 Millionen Menschen eine Impfung erhalten. Zudem will er in der Legislativ­e ein gewaltiges, 1,9 Billionen Dollar schweres Hilfspaket durchsetze­n, um sowohl die Epidemie zu bekämpfen als auch der Wirtschaft dringend benötigte Wachstumsi­mpulse zu geben. Statt zu reden wolle man handeln, sagt sein Stabschef Ron Klain. „Die Botschaft ist: Wir werden Dinge erledigt bekommen.“

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FOTO: NGAN/AFP Vor wenigen Zuschauern, aber mit umso schärferen Sicherheit­smaßnahmen wird Joe Biden diesen Mittwoch zum 46. Präsident der USA vereidigt. Dem Demokraten stehen in seiner Amtszeit riesige Herausford­erungen bevor.

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