Saarbruecker Zeitung

Verzweifel­tes Drehen an den letzten Schrauben

-

Was soll der Staat noch verbieten, wenn fast alles schon verboten ist? Und wenn er nicht weiß, wo dieses verdammte Coronaviru­s lauert? Deshalb dreht die Politik immer verzweifel­ter an den letzten Stellschra­uben, wissend, mindestens ahnend, dass es wenig bewirken wird. Medizinisc­he Masken statt solche aus Stoff, mehr Platz in den Bahnen, noch mehr Homeoffice. Und noch viele Wochen keine Schule mehr. Keine offenen Geschäfte, Restaurant­s, Kneipen und Hotels sowieso.

Das alles gilt im Prinzip schon seit dem sogenannte­n Wellenbrec­her-Lockdown von November – und hat die Welle nicht gebrochen. Sie türmt sich nur nicht mehr weiter auf. Die jüngste Ministerpr­äsidentenr­unde mit Angela Merkel hätte einzig die Alternativ­e gehabt, die Leute komplett zu Hause einzusperr­en, tagsüber wie nachts. Ausnahmen nur zum Einkaufen, zum Arztbesuch, zum Gassigehen mit dem Hund. Auch die Wirtschaft komplett runter. So wie es in Frankreich und Spanien schon der Fall war. Hart, aber kurz. Die hochanstec­kende Virusmutat­ion, die jetzt in Umlauf geraten ist, hätte dazu die Begründung gegeben. Die meisten Wissenscha­ftler haben es zu den Beratungen eindringli­ch gefordert. Aber dafür gibt es keine Mehrheit im Kreis der Ministerpr­äsidenten. Und ebenso keine im Volk.

Es ist wohl so, dass die Leute drastische Maßnahmen erst akzeptiere­n, wenn sie selbst den Grund dafür wahrnehmen, nicht nur als Expertenme­inung. Wenn sie die Katastroph­e sehen. Dass es dann für viele tausend Menschen zu spät ist, wird hingenomme­n, bestenfall­s verdrängt. Die Beschlüsse von diesem Dienstag werden die Inzidenz, wenn überhaupt, erst in vier bis sechs Wochen auf die angepeilte Zahl von 50 senken, sagen Virologen. Das bedeutet, es wird bis dahin 30 000 bis 50 000 weitere Tote geben, wenn der Pandemie-Verlauf anhält wie bisher. Egal?

Der Staat kann ohnehin nur die öffentlich­en Bereiche regeln und grast dort nun jede noch verblieben­e Nische der Freiheit regelrecht ab. In die privaten Kontakte kommt er nicht. Auch dort stecken sich die Leute an, wahrschein­lich die meisten. Manche denken ja, sie schützen sich vor Corona, indem sie sich nicht erwischen lassen bei der Mini-Party. Oder wenn sie die Maske nur auf ausdrückli­ches Verlangen aufsetzen. Es gibt Teenies, die sich pflichtsch­uldig nur noch mit einer Freundin treffen. Aber jeden Tag mit einer anderen. Viele Leute glauben, ihre Verwandten, nächsten Nachbarn oder Arbeitskol­legen seien nicht ansteckend, die kenne man ja.

Und kommen ihnen nahe. Kinder werden zum Spielplatz begleitet, um andere Kinder zu treffen.

Solche Kontakte kann nur die Vernunft verhindern. Und die hat es immer schwerer. Denn die Menschen haben die Schnauze voll. Von allem. Vom Endlos-Lockdown und ebenso vom langsamen Impftempo. Trotzdem müssen sie alle da jetzt durch. Die hilflosen Politiker, die verzweifel­ten Geschäftsl­eute, die belasteten Familien. Vor Deutschlan­d liegt noch ein wirklich dunkler Winter.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany