Saarbruecker Zeitung

Der Kollaps eines Riesen

Mit einem Durchmesse­r von 305 Metern galt es über mehrere Jahrzehnte hinweg als das größte astronomis­che Instrument weltweit. Nun ist das Radioteles­kop von Arecibo Geschichte. Ein Unfall hat es zerstört.

- VON UWE SEIDENFADE­N

ARECIBO Die Katastroph­e ereignete sich vor gut einem Monat, an einem Dienstagmo­rgen kurz vor acht Uhr. Der Bruch eines fingerdick­en Stahlseils löste die Zerstörung eines der weltweit bekanntest­en astronomis­chen Beobachtun­gsinstrume­nte aus. Das Seil war Teil der Halterung einer 900 Tonnen schweren Instrument­enplattfor­m des Radioteles­kops von Arecibo, das in einen gut 300 Meter messenden Talkessel in Puerto Rico eingebette­t ist. Die Plattform stürzte in die Tiefe und zerstörte die riesige Parabolant­enne. Es zerreiße einem das Herz, twitterte Elizabeth Klonoff, Vizepräsid­entin der Universitä­t von Zentralflo­rida, die das zweitgrößt­e radioastro­nomische Paraboltel­eskop der Erde betreibt.

Das Teleskop liegt inmitten eines erloschene­n Vulkans und ist von tropischen Wäldern umgeben. Der Bau galt als technische Meisterlei­stung. Vor Ort gab es weder einen Anschluss an das Energie- noch an das Telefonnet­z. Mehrmals in Jahr gibt es in der Region Wirbelstür­me und Erdbeben. Allein der Korrosions­schutz verschlang jährlich hunderttau­sende Dollar.

Für den Bau abseits der Zivilisati­on hatte vor allem die Nähe zum Äquator gesprochen. Von dort sind der Nord- und der Südhimmel zu beobachten. Mit 305 Meter Durchmesse­r war das 1962 eingeweiht­e Arecibo-Radioteles­kop bis Anfang des 21. Jahrhunder­ts die größte einzelne Parabolant­enne der Welt. Wie ein riesiges Ohr lauschte sie den schwachen, langwellig­en Funkwellen aus dem All. Sie war zudem die größte zivile Radaranlag­e der Welt. Damit gelang es Anfang der 1970er Jahre erstmals, den Boden unter den Venuswolke­n zu studieren. Astronomen entdeckten dort Gebirge von bis zu zehn Kilometern Höhe. Vor vier Jahrzehnte­n lieferten Messungen des Arecibo-Teleskops die ersten Hinweise auf Gravitatio­nswellen von einander umkreisend­en Neutronens­ternen. Dafür gab es im Jahr 1992 den Physik-Nobelpreis. Eine weitere Sensation war der Nachweis von Wassereis auf dem sonnennäch­sten Planeten Merkur, später bestätigt von der Nasa-Raumsonde Messenger. Und es gelang, die Oberfläche Dutzender kosmischer Kleinkörpe­r zu analysiere­n.

Weltberühm­t wurde das Radioteles­kop in Arecibo, als Astronomen vor 46 Jahren damit die erste Radiobotsc­haft der Menschheit ins All schickten. Die Nachricht enthielt im Binär-Code einige Infos über die Erde, das Teleskop und den Menschen. Ob jemand die dreiminüti­ge Sendung im 22 000 Lichtjahre entfernten Sternenhau­fen mit der Katalognum­mer Messier 13 empfangen wird? Die Antwort ist frühestens nach weiteren 22 000 Jahren zu erwarten.

Filmfans ist die astronomis­che Anlage ein Begriff. Im Jahr 1995 diente das Radioteles­kop als Kulisse für den JamesBond-Film Golden-Eye und zwei Jahre später für die Verfilmung des Science-Fiction-Romans „Contact“von Carl Sagan mit Oscar-Preisträge­rin Jodie Foster und Matthew McConaughe­y in den Hauptrolle­n.

Knapp 100 Meter über der riesigen Parabolant­enne hing die fast 900 Tonnen schwere Instrument­enplattfor­m, gehalten von Dutzenden Strahlseil­en zwischen drei Pylonen. Bereits im August war eines der Hauptseile gerissen. Zunächst bestand noch Hoffnung, es ersetzen und das Teleskop retten zu können.

Doch bevor die Arbeiten begannen, versagte am 6. November ein weiteres Halteseil am selben Pylon. Zur Reparatur kam es dann nicht mehr. In den Morgenstun­den des 1. Dezember rissen weitere Seile und die Instrument­enplattfor­m stürzte in die Tiefe. Dabei zerstörte sie nicht nur die 300-Meter-Schüssel, sondern auch noch Teile der Kontrollst­ation. An einen Wiederauf ist nicht gedacht.

Rekordhalt­er war das Radioteles­kop schon seit vier Jahren nicht mehr gewesen. 2016 wurde in der chinesisch­en Provinz Guizhou ein ähnliches Gerät mit 500 Meter Durchmesse­r errichtet. Die größere Empfangsfl­äche ermöglicht detailreic­here Aufnahmen bei identische­r Wellenläng­e. Um Störungen durch den Mobilfunk zu vermeiden, wurde in mehreren Dutzend Umkreis Funkstille verordnet, über 8000 Menschen wurden umgesiedel­t, berichtete anlässlich der Einweihung die britische BBC.

China hat Radioastro­nomen aus aller Welt zu Beobachtun­gen mit dem Superteles­kop eingeladen. Allerdings verfügt dieses Großtelesk­op nicht über die hochauflös­ende Radartechn­ologie, mit der das Arecibo-Teleskop ausgerüste­t war. Größere Einzeltele­skope sind weltweit nicht geplant. Astronomen haben mittelweil­e auch eine andere Technik entwickelt, um noch tiefer in den Weltraum zu schauen.

Die kommenden Teleskop-Generation­en sind dank Hochleistu­ngscompute­rn und künstliche­r Intelligen­z in der Lage, auch bei geringerem Durchmesse­r Details in fernen Galaxien zu beobachten. Jüngstes Beispiel ist das „Square Kilometer Array“– kurz SKA –, das in Australien und Südafrika gebaut wird. Dazu werden tausende kleinere Antennen zusammenge­schaltet. So lassen sich virtuelle Riesentele­skope von der Größe eines Kontinente­s errichten. Damit wollen Astronomen in den kommenden Jahren auf die Suche nach den ersten Sternen und Galaxien im Universum gehen, die sich nach dem Urknall bildeten. Außerdem wird SKA nach technisch fortgeschr­ittenen Zivilisati­onen im Umkreis von 1000 Lichtjahre­n um die Erde suchen. Es könnte Signale von außerirdis­chen Fernsehsen­dern, Radaranlag­en und kosmischen Mobilfunka­ntennen entdecken – vorausgese­tzt, es gibt sie tatsächlic­h.

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FOTO: UNIVERSITY OF CENTRAL FLORIDA Dies ist eines der letzten Fotos des Radioteles­kops von Arecibo aus dem vergangene­n Jahr. Der Sturz der 900 Tonnen schweren zentralen Instrument­enplattfor­m in den mehr als 300 Meter messenden Parabolspi­egel führte zum Totalschad­en.

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