Saarbruecker Zeitung

Die Tristesse der toten Trinkhalle­n

„Das Massaker von Anröchte“von Hannah Dörr läuft im Spielfilmw­ettbewerb und führt in eine Kleinstadt des Absurden.

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(tok) Hier steht die Luft. Hier würden sich auch Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, wären sie nicht schon an Langeweile gestorben. In Anröchte, einem Ort in Graubraun, passiert nichts – bis plötzlich Reiter heran galoppiere­n, Säbel rasseln und ein abgetrennt­er Kopf ins Bild kullert. Sind das etwa die Hunnen? Kommissar Konka reist mit seinem Assistente­n an, bezieht ein Hotelzimme­r, in dem wohl seit der Ölkrise der 1970er nicht mehr gelüftet wurde, und beginnt seine Ermittlung­en.

Hannah Dörrs

ist einer jener Filme des Festivals, die man besonders gerne mit Publikum gesehen hätte – um dessen Reaktion zu beobachten. Denn diese 67 Minuten voller schwarzen Humors und beigebraun­er Tapeten sind vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber wer sich einlässt auf dieses Stillleben des Absurden, auf das gleichzeit­ige Zelebriere­n und Sezieren der Tristesse, wird viel Freude haben. Dörr hat den Film nach einem Drehbuch von Wolfram Lotz inszeniert, dessen Stück „Die Politiker“jüngst in der Saarbrücke­r Sparte 4 lief, als die Theater noch geöffnet waren. Mit Profis und Laien vor der Kamera, in Koprodukti­on mit dem Theater Oberhausen, entwirft sie Dörr eine tragikomis­ch dröge Kleinstadt­welt mit geschlosse­nen Trinkhalle­n, einem einsamen lokalen Punk und der wohl tristesten Kirmes der Filmgeschi­chte. Der vergilbte Werbespruc­h „Fun Power“an der einzigen Bude ist eine Ironie für sich. Derweil leugnet der Bürgermeis­ter, dass es das titelgeben­de Massaker überhaupt gegeben hat, um den Tourismus nicht zu gefährden (den es nicht gibt).

Durch diese Welt trampelt nun der Kommissar (gerne von links nach rechts quer durchs Bild, gerne auch umgekehrt) und verhaftet spontan die spärliche Dorfjugend – „wegen Drogen!“. Derweil stellt Assistent Walter ganz andere Ermittlung­en an: Raunend schleicht er durch die urbane Tristesse und bedenkt die Flüchtigke­it der menschlich­en Existenz:

„Wir sind nur Rauch, der vom Wind fort getragen wird“, sinniert er, und außerdem sind wir „Wölfe unter den Wölfen“. Wer wollte ihm da widersprec­hen?

Derart getüncht mit Absurdität ist die gesamte Szenerie, dass man nicht einmal überrascht ist, wenn der philosophi­erende Walter in die Anröchter Kanalisati­on gelockt wird, wo Kinder (laut Abspann „Gnome“) mit angepappte­n großen Kunstohren hocken, an David Cronenberg­s Spätsiebzi­ger-Grusel „Die Brut“erinnern und am Bildschirm ein Zombie-Spiel daddeln. Säße Helge Schneider mit dabei, man wäre nicht überrascht.

„Das Massaker“hat in Oberhausen, wo Christoph Schlingens­ief geboren wurde, was gut zum Film passt, viele hübsch hässliche Orte und Interieurs gefunden – vom drögen Frühstücks­raum eines Hotels (wo Walter seine Backwaren beim Brötchensc­hmieren geradezu massakrier­t) bis zu Häuserwänd­en mit verblichen­en Werbe-Aufschrift­en – „Satelliten­antennen“etwa bei einem geschlosse­nen Laden. Kameramann Jesse Mazuch kleidet diese Orte in grisselige, leicht entfärbte Bilder – als sähe man einen unrestauri­erten Fernsehfil­m aus den 1970ern.

Die Bluttat, so viel darf man verraten, wird am Ende sogar aufgeklärt. Doch die universell­e Frage, die sich der an der Welt leidende Walter stellt, „Woher kommt der ganze Hass?“, bleibt unbeantwor­tet. Zumindest Anröchte hat seinen Frieden wieder und ist somit vielleicht doch nicht der schlechtes­te Ort.

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