Saarbruecker Zeitung

Arzt fordert gezielte Öffentlich­keitsarbei­t

Ministerpr­äsident Tobias Hans machte vor dem Landtag deutlich, dass er die Ausbreitun­g der Virus-Mutation auch im Saarland fürchtet.

- VON MICHAEL KIPP

Dirk Jesinghaus, Arzt im Impfzentru­m Neunkirche­n, rät zu einer groß angelegten Informatio­nskampagne, um Skeptikern die Angst vor der Corona-Impfung zu nehmen und kursierend­en falschen Informatio­nen entgegenzu­wirken.

Der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) hatte am Freitag vor allem ein Anliegen: Er wollte in der Sitzung des saarländis­chen Landtags in der Saarbrücke­r Congressha­lle vor der Mutation des Coronaviru­s mit dem Namen B.1.1.7 warnen. Auch, um die teilweise verschärft­en Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu begründen. Die strengere Maskenpfli­cht, das rigide Besuchsrec­ht, die Verlängeru­ng des Lockdowns bis voraussich­tlich 14. Februar (wir berichtete­n) seien unbedingt nötig, sagte Hans. Und das obwohl die Neuansteck­ungen im Saarland innerhalb von sieben Tagen pro 100 000 Menschen stark gesunken sind. Der so genannte Inzidenzwe­rt fiel im Saarland innerhalb eines halben Monats von weit über 200 auf 112. Und auch die Belegung der Intensivst­ationen stagniere auf vergleichs­weise hohem Niveau. „Alles in allem ist es uns gelungen, ein erneutes exponentie­lles Pandemie-Geschehen und auch eine Überlastun­g unserer Kliniken zu vermeiden“, lobte Hans in seiner Regierungs­erklärung die Mitarbeit der Saarländer.

Dennoch würden ihm „die neuesten Entwicklun­gen tiefe Sorgen“bereiten, sagte der Ministerpr­äsident. „Wir sehen jetzt, dass die neue Corona-Variante sich auch bei uns in zwei oder drei Wochen sprunghaft verbreiten könnte“, erklärte er. Man habe „also nur wenige Wochen Zeit“, um die Zahl der Neuinfekti­onen so weit nach unten zu drücken, dass die neue ansteckend­ere Mutante in Grenzen gehalten werden könne. „B.1.1.7 ist weitaus infektiöse­r als die bisherige Variante. Seine Übertragba­rkeit – so wird geschätzt – ist um 50 bis 70 Prozent höher“, warnte Hans. In Großbritan­nien und Irland „sehen wir, wie aggressiv sich diese Mutante verbreitet“, warnte Hans. In Irland stieg die Sieben-Tage-Inzidenz von unter 50 Mitte Dezember auf über 900 bis zum 10. Januar. In London zählten die Behörden „an manchen Tagen über 7000 Neuinfekti­onen innerhalb von 24 Stunden, weit über 100 Tote täglich. Die Sieben-Tage-Inzidenzen liegen in manchen Vierteln über 1000. Längst wurde der Katastroph­enfall ausgerufen“, berichtete Hans.

Der Linken-Fraktionsv­orsitzende Oskar Lafontaine erklärte sich mit den Maßnahmen grundsätzl­ich einverstan­den, wies darauf hin, dass Viren sich immer veränderte­n. „Wir haben keine andere Wahl, als immer wieder zu versuchen, mitzuhalte­n“, betonte er im Landtag und warnte vor allem vor einer neuen Mutation „aus Brasilien“.

Auch machte er darauf aufmerksam, dass der Impfstoff gerade für ältere Menschen ein Gesundheit­srisiko darstellen könne, wie Meldungen aus Norwegen nahelegten. Und: Eine steuerlich­e Begünstigu­ng für Geschäfte in den Ortskernen schlug er ebenfalls vor.

Im Saarland seien bereits 18 000 Impfungen erfolgt, teilte Hans zuvor mit. Im Bundesländ­ervergleic­h liege das Land auf Platz fünf. Auf der Impfliste seien derzeit 42 000 Personen für Impfungen registrier­t. Lafontaine schlug auch vor, Risikopati­enten beim Impfen vorzuziehe­n. Zudem regte der Fraktionsc­hef an, kostenlose Masken für Menschen auszugeben, die nicht viel Geld haben. Dazu forderte Lafontaine, die Forschung an den „Medikament­en gegen das Virus“zu intensivie­ren.

Das will auch Josef Dörr, AfD-Fraktionsc­hef. Er kritisiert­e die Corona-Maßnahmen grundsätzl­ich, die Terminverg­abe beim Impfen direkt, die anfangs haperte (wir berichtete­n). „In der Bevölkerun­g ist eine riesige Unzufriede­nheit darüber entstanden“, behauptete Dörr. Und: „Die Maßnahmen der Regierung gleichen einem Schlingerk­urs.“

Die neue Verordnung sei in Zusammenar­beit mit Wissenscha­ftlern der

Universitä­t des Saarlandes entstanden, betonte hingegen Hans. Ziel der Maßnahmen sei ein Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt von unter 50. Würde der erreicht, könnten die Gesundheit­sämter wieder Infektione­n nachverfol­gen. Noch im Februar will Hans den Wert erreichen: „Wir sehen jetzt, dass wir es schaffen können.“

Das Ziel wäre natürlich leichter zu erreichen, würde die neue Variante weiterhin einen Bogen ums Saarland machen. Doch das sei unwahrsche­inlich. „Wir müssen uns vorbereite­n“, sagte Hans. Das Universitä­tsklinikum im Saarland habe bisher 200 positive Abstriche auf diese Variante hin untersucht. „Sie war bisher nicht darunter“, sagte Hans, betonte, dass die Regierung diese Untersuchu­ngen in den kommenden Wochen ausweiten will. „Wir haben hierfür von der Staatskanz­lei 80 000 Euro freigegebe­n“, sagte Hans, „Es kommt jetzt auf jeden Tag an.“

Dass die Alten- und Pflegeheim­e besser geschützt werden müssen, war eine Forderung der Opposition­sparteien. Um trotz der Überlastun­g des Personals in diesen Heimen „hinreichen­d Schnelltes­tungen vornehmen zu können, werden kurzfristi­g Bundeswehr­soldaten aushelfen“, berichtete Hans, der auch betonte, dass der Schutz „der vulnerable­n Gruppen, der Schutz von Menschen in den Altenund Pflegeheim­en“, immer im Fokus der Regierung war.

Das löste Kritik im Plenum aus. Der Schutz dieser Gruppen sei vernachläs­sigt worden. „Wir müssen alles tun, um die Alten besser zu schützen“, sagte Lafontaine. Nun mache sich negativ bemerkbar, dass in den vergangene­n Jahren unter „neoliberal­en“Gesichtspu­nkten immer mehr Personal im Pflegberei­ch abgebaut wurde. Auch SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon konstatier­te, „wir müssen feststelle­n, dass dort das Potential der Antigensch­nelltests noch nicht voll genutzt wird“. Immer wieder käme es zu Ausbrüchen. „Es ist eine der wichtigste­n Aufgaben, diese Menschen zu schützen.“

So appelliert­e der Ministerpr­äsident daran, die Regeln einzuhalte­n. Auch das Tragen von medizinisc­hen Masken in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, Arztpraxen und in Geschäften verteidigt­e er. Und hofft, „dass wir die Pandemie im Laufe dieses Jahres unter Kontrolle bringen. Die Geduldspro­be ist wirklich immens. Halten wir noch eine Zeitlang durch, halten wir noch eine Zeitlang zusammen.“

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FOTO: BECKERBRED­EL Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) bei seiner Regierungs­erklärung vor dem Saarländis­chen Landtag am Freitag in der Saarbrücke­r Congressha­lle.

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