Saarbruecker Zeitung

„Da darf kein falscher Ton drin sein“

Für seinen Ophüls-Film „Mit eigenen Augen“hat Miguel Müller-Frank die Arbeit der „Monitor“Redaktion zwei Monate lang gefilmt – und konnte sie zu einem besonderen Zugeständn­is bewegen.

- VON TOBIAS KESSLER

„Machen Sie’s gut – und bleiben Sie freundlich.“Journalist Georg Restle spricht im Studio den letzten Satz einer „Monitor“-Sendung. Wir folgen ihm durch die langen Gänge des WDR in die abendliche­n Redaktions­büros – am Morgen darauf beginnt die Arbeit an der nächsten „Monitor“-Sendung in drei Wochen. Diese drei Wochen beobachtet Miguel Müller-Frank in seinem Dokumentar­film „Mit eigenen Augen“, der beim Ophüls-Festival in der Reihe „MOP Watchlist“läuft. Ein intensiver, 110-minütiger Film mit langen Einstellun­gen. Telefonate, Gespräche, Konferenze­n. „Mit eigenen Augen“zählt die Tage bis zur nächsten Sendung herunter, vermeidet aber eine Klischee-Zuspitzung: Der Schnitt bleibt ruhig, es gibt keine dramatisch­en Nahaufnahm­en, keine Schweißper­len auf Journalist­enstirnen, es wird – im besten Sinne – nicht inszeniert. „Es war grundlegen­d, dass genau das nicht geschieht. Diese Tendenz des Überdramat­isierens, der künstliche­n Spannungsm­omente widerstreb­t mir in jeder Hinsicht“, sagt der 31-Jährige. „Ich will das Gegenteil. Der Film soll uns einfach mit der Realität journalist­ischer Arbeit konfrontie­ren.“Dass der ruhige Rhythmus herausford­ern kann, nimmt Müller-Frank in Kauf: „Man muss dem Zuschauer zumuten, dass er genau hinschauen muss – das gehört für mich dazu.“

Vor mehr als vier Jahren hatte Müller-Frank die Idee, einen Film über Journalism­us zu machen. Damals studierte er an der Kölner Kunsthochs­chule für Medien und schrieb seine Diplomarbe­it über die Arbeit der Lokalredak­tion des „Kölner Stadt-Anzeigers“, die er über Wochen beobachtet hat. Danach besuchte er weitere Zeitungen und TV-Redaktione­n, darunter die Redaktion des „heute-journal“des ZDF. „Da wurde mir klar, dass ich den Film über den Öffentlich-Rechtliche­n Rundfunk machen will“, sagt Müller-Frank. „Einfach, weil ich an dessen Idee glaube und ihn für sehr wichtig für die Gesellscha­ft halte. Er hat eine enorme Verantwort­ung – umso wichtiger ist, dass ein Außenstehe­nder wie ich dessen Arbeit beobachtet und analysiert.“

Müller-Frank besuchte weitere Häuser und wusste dann, nach zwei

Jahren, dass er seinen Film über die „Monitor“-Redaktion der ARD drehen wollte. „Das hat sehr viel damit zu tun, dass für diese Redaktion der Auftrag des Öffentlich-Rechtliche­n Fernsehens – die

Aufklärung – etwas Fundamenta­les ist.“Doch zuvor musste

Müller-Frank die

Redaktion von einem ungewöhnli­chen Schritt überzeugen: Er würde zwei Monate lang an jedem Arbeitstag in der Redaktion dabei sein, mit uneingesch­ränktem Zugang filmen, und die Redaktion müsse alle Bildrechte abgeben – also keine Mitsprache am Schnitt, keine Abnahme des fertigen Films. Darauf lässt sich niemand gerne ein, entspreche­nd „steinig und lang“sei der Weg dahin gewesen, „mit monatelang­er Kommunikat­ion und einigen Rückschläg­en“. Dass die Redaktion dann doch zugestimmt hat, führt der Regisseur darauf zurück, dass „sie sich selbst zur Transparen­z verpflicht­et sieht und sie deshalb die Beobachtun­g eines Außenstehe­nden zulässt“.

Mit Kamerafrau Laura Emma Hansen und wechselnde­n Tonmännern hat Müller-Frank dann gedreht, „wir haben uns fast wie auf einer Bühne bewegt, von einem Raum in den anderen“. Der Film verlässt dabei das Kölner Gebäude nie, „denn dort sind alle finalen Entscheidu­ngen der Redaktion

getroffen worden“.

Der steigende Druck ist im Film zu spüren – zum länger geplanten Beitrag zum sexuellen Missbrauch an der Homburger Uni-Klinik kommt ein weiteres Thema hinzu: der Mord am Kasseler Politiker Walter Lübcke. Die Ermittlung­en stehen am Anfang, die ersten Informatio­nen sind spärlich, hinzu kommt der Druck, Erkenntnis­se schneller zu veröffentl­ichen als die Konkurrenz. Waren die „Monitor“-Journalist­en in solchen Situatione­n manchmal genervt vom Filmteam? „Für die Redaktion kann und will ich nicht sprechen“, sagt Müller-Frank, aber natürlich habe man manchmal gespürt, dass eine Person „jetzt nicht sonderlich begeistert war, dass wir mit der Kamera reinkommen – aber die Redaktion hat den Dreh immer zugelassen“. Gerade dass sie sich auch in schwierige­n Situatione­n hat filmen lassen, ist für Müller-Frank ein Beleg für deren „große Aufrichtig­keit“.

150 Stunden Material hatte er am Ende, in fünf Monaten hat er daraus seinen Film geformt. „Das ist eigentlich nicht sehr lang“, sagt er, „denn ich wusste schnell, dass ich mich auf die zweite Sendung, die in der Drehzeit entstand, fokussiere­n will. Da beginnt man schon beim Drehen, den Film im Kopf zu schneiden.“Die Hauptarbei­t beim Schnitt war für ihn „die Präzision. Der Film besteht ja aus reinen Beobachtun­gen. Die Herausford­erung war, diese beim Schnitt nicht zu verzerren. Da darf kein falscher Ton drin sein.“

Auch wenn es eine Abnahme des Films seitens der Gefilmten nicht gab – gesehen haben sie den Film. Wie war die Reaktion? „Ich fände es merkwürdig, jetzt für die Redaktion sprechen zu wollen“, sagt Müller-Frank. „Es denkt jedenfalls niemand, dass der Film den Ablauf verzerrt oder falsch dargestell­t hätte.“

Mit Real Fiction, der „Mit eigenen Augen“Ende März ins Kino bringen will, war früh beim Projekt ein Filmverlei­h dabei. Für Müller-Frank unabdingba­r. „Ich wollte den Film ohne Fernsehgel­der machen.“Deshalb brauchte er einen Verleih, um Förderung zu bekommen, mit dem Ziel, den Film, für ihn „die Essenz aus vier Jahren Arbeit“, ins Kino zu bringen, „denn er ist fürs Kino gedacht“. Warum die Ablehnung von TV-Beteiligun­g? Er sei der „Monitor“-Redaktion gegenüber verantwort­lich, die ihm das Vertrauen geschenkt hat, sagt der Regisseur. „Dieses Vertrauen wäre missbrauch­t, wenn mir jederzeit ein Redakteur hätte sagen können, im Film dieses und jenes zu verändern. Diese Freiheit war absolut entscheide­nd.“

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FOTO: REALFICTIO­N Journalist Georg Restle beim Moderieren des politische­n ARD-Magazins „Monitor“.
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FOTO: 2PILOTS FILM PRODUCTION Regisseur Miguel MüllerFran­k (31)

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