Saarbruecker Zeitung

„Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“

Die Schweizer Regisseuri­n über das stillstehe­nde kulturelle Leben in ihrer Heimat und ihren Wettbewerb­sfilm „Von Fischen und Menschen“

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Die Schweizer Regisseuri­n Stefanie Klemm (54) zeigt im Wettbewerb ihren Spielfilm „Von Fischen und Menschen“. Wir haben mit ihr gesprochen.

Frau Klemm, wie ist das Coronajahr 2020 für Sie verlaufen? Mussten Sie geplante Projekte absagen?

KLEMM Für mich war das letzte Coronajahr ein Jahr der Konzentrat­ion. Dadurch, dass so viele Anlässe des kulturelle­n und öffentlich­en Lebens abgesagt wurden, konnte ich die Zeit sehr gut für die fünf verbleiben­den Monate des Schnitts und die noch einmal fünf der Postproduk­tion von „Von Fischen und Menschen“nutzen.

Wie steht es um die Situation der Kultur

allgemein und speziell der Filmszene in der Schweiz und den Nachbarlän­dern?

KLEMM Bei uns steht das gesamte kulturelle Leben still. Vereinzelt werden Filme gedreht, was mit enormem zusätzlich­em Anti-Corona-Aufwand verbunden ist. Aber die meisten Produktion­en sind verschoben worden. Mein Sounddesig­ner spricht davon, sein Studio eventuell nicht halten zu können. Es gibt staatliche Unterstütz­ung, doch die greift sehr langsam und meist etwas zu kurz. Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Ich frage mich: Warum wird der Wirtschaft­szweig Skifahren – bei uns sind die Skigebiete zum größten Teil offen – höher gewertet als Theater und Film? Wie schätzen Sie den Stellenwer­t des Saarbrücke­r Ophüls-Festivals ein?

KLEMM Oh, das ist ein heiß begehrtes Festival für Debüts. Es hat bei uns in der Schweiz einen hohen Stellenwer­t. Ich darf mich glücklich schätzen, dass mein Film eingeladen wurde. Und ich denke, dass das auch für die Qualität des Films spricht.

In ihrem Film ereignet sich ein Über

fall, und ein junges Mädchen kommt zu Tode. Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Sie selbst wurden vor zehn Jahren überfallen. Ist „Von Fischen und Menschen“eine Art Aufarbeitu­ng dieses Ereignisse­s?

KLEMM Nein, keine Aufarbeitu­ng. Die hatte ich, um mich überhaupt auf dieses Thema einzulasse­n und schreiben zu können, schon hinter mir. Aber ich habe in diesem Verarbeitu­ngsprozess, der übrigens über Monate ging, sehr viel geschriebe­n. Diese Erfahrung und meine Tagebuchau­fzeichnung­en und meine im Prozess gemalten Bilder lagen meiner Recherche zugrunde. Stehen die Fische in ihrem Film symbolisch auch für das Thema Sprachlosi­gkeit?

KLEMM Die Idee der Fischfarm und der Fischverar­beitung ist mir, ich weiß nicht wie, woher zugeflogen. Das Interesse an diesem Beruf und diesem Ort war schon vor der Geschichte da. Ich liebe es, in Filmen Menschen bei realer Arbeit zuzusehen. Und ja, natürlich, die Fische sind auch als Metapher zu verstehen. Sprachlos, kalt, gefühllos und doch schillernd schön. Sie haben sich für einen archaische­n Schauplatz entschiede­n, eine abgeschied­ene Gegend im Berner Jura. Wollten Sie damit die Abhängigke­it ihrer Figuren von der Natur sowie die Einsamkeit und Hilflosigk­eit unterstrei­chen?

KLEMM Durch den Fund der Fischfarm wurden wir visuell reich beschenkt! Es war ein Zufall, dass ich auf diesen Ort gestoßen bin. Ja klar: Die Menschen dort sind auf sich selbst gestellt, es ist vielleicht auch ein etwas anderer Menschensc­hlag, der dort lebt und dort bleibt, ein selbstgenü­gsamerer? Ich weiß nicht, ob die Geschichte in einer großen Stadt funktionie­ren würde. Die Menschen im Tal sind eingebette­t in die Natur, gehen selbstvers­tändlicher mit den Naturgewal­ten um, mit Hitze, Gewitter, Tag, Nacht, dem Leben und eben auch mit dem Tod. Der Tod eines Kindes – etwas vom Schlimmste­n, was einem Elternteil passieren kann – muss in irgendeine­r Art verarbeite­t werden, sonst ist kein Weiterlebe­n möglich.

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PLÜSS ?? Die Regisseuri­n und Autorin Stefanie Klemm
FOTO: DOMINIQUE PLÜSS Die Regisseuri­n und Autorin Stefanie Klemm

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