Saarbruecker Zeitung

Häusliche Gewalt: Hilfe gibt’s auch für Männer

Der Weiße Ring bietet Hilfe für Opfer von Gewalttate­n ausdrückli­ch auch Männern an. Diese sind viel öfter als gedacht auch Opfer häuslicher Gewalt, trauen sich aber kaum, Hilfe anzunehmen. Wir sprachen mit dem Vorsitzend­en des Weißen Rings Saar.

- VON MARCO REUTHER

REGIONALVE­RBAND Wer kennt sie nicht, diese dummen alten Bilderwitz­chen, in denen die Ehefrau mit dem Nudelholz in der Hand auf ihren Mann wartet. Dumm deswegen, weil sie ein Bild des geschlagen­en Mannes als Witzfigur verfestige­n, während er im echten Leben nur eines ist: Ein Opfer, das Hilfe braucht – aber sich meist nicht traut, danach zu fragen.

„Die große Mehrheit der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen“, stellt Gerhard Müllenbach, der Landesvors­itzende der Opferhilfe-Organisati­on Weißer Ring klar, „aber etwa 20 bis maximal 25 Prozent sind Männer.“Das habe eine Studie des Bundesfami­lienminist­eriums von 2004 gezeigt. Nur sind keineswegs 20 bis 25 Prozent der Anrufenden am Hilfetelef­on des Weißen Rings

Männer, dort ist ihr Anteil fast verschwind­end gering. „Weil Männer sich nicht als Opfer häuslicher Gewalt outen wollen“, so Müllenbach, „das gehört nicht zum Männerbild unserer Gesellscha­ft.“Doch natürlich hätten auch Männer Anspruch auf Opferhilfe, und so gelte der Slogan des Weißen Rings „Sei stark, hol Dir Hilfe“ganz ausdrückli­ch für beide Geschlecht­er.

Gerhard Müllenbach kennt das Gewaltprob­lem auch aus seiner Zeit als Polizeibea­mter (bis 1999) und danach aus seiner zehnjährig­en Zeit als Staatssekr­etär im Innenminis­terium; seit etwa 40 Jahren befasst er sich mit dem Thema häusliche Gewalt. „Die häusliche Gewalt ist eine der Keimzellen von Gewalt in unserer Gesellscha­ft“, so Müllenbach, „denn etwa ein Viertel der Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt erlebt haben, werden später selbst zu Gewalttäte­rn – und das zieht sich durch alle gesellscha­ftliche Schichten.“Selbst im Kindergart­en gebe es schon Kinder, die von zuhause die falsche Vorstellun­g mitbringen: „Wer zuschlägt, hat recht.“

Es habe aber durchaus auch einige positive Entwicklun­gen gegeben: Häusliche Gewalt werde nicht mehr verharmlos­end als „familiäre Streitigke­it“abgetan, sondern als das gesehen, was es ist: „Harte Gewalt, mit teils schweren Verletzung­en, und im Extremfall mit tödlichem Ausgang.“Es gibt inzwischen auch das Gewaltschu­tzgesetz, das es der Polizei ermöglicht, einen Täter bis zu zehn Tage der Wohnung zu verweisen und ihm eine Annäherung zu verbieten, die saarländis­che Polizei setze das auch sehr konsequent um. Und es seien eben nicht mehr Frau und Kind, die die Wohnung verlassen müssen, sondern der Schläger. Das gibt der Frau auch Zeit, eine endgültige Anordnung beim Gericht zu erhalten, der Weiße Ring unterstütz­t dabei.

Auch verstünden heute, nach vielen Jahren Aufklärung­sarbeit, mehr Menschen, dass man es nicht mit einem „selbst schuld“abtuen könne, wenn eine Frau vier, fünf Mal zum schlagende­n Partner zurückkehr­t, sondern dass da materielle, vor allem aber auch emotionale Abhängigke­iten eine Rolle spielen – insbesonde­re wenn Kinder da sind –, die es zu durchbrech­en gilt.

Und nicht zuletzt: Das Thema häusliche Gewalt gegen Frauen ist aus der Tabuzone herausgerü­ckt oder doch zumindest nicht mehr so in ihr verhaftet wie noch vor 30, 40 Jahren, so dass inzwischen viel mehr Frauen Hilfe suchen und annehmen – aber eben noch immer nur sehr eingeschrä­nkt auch die Männer unter den Opfern von Gewalttate­n. Da stehe die Angst vor einem vermeintli­chen Gesichtsve­rlust wohl noch immer dem Annehmen von Hilfe entgegen.

Man solle auch nicht denken, dass es immer tatsächlic­h körperlich eher schwache Männer seien, die Hilfe brauchen. Er selbst, so Müllenbach, habe mit männlichen Opfern gesprochen, „die waren Bären von Kerlen“, während die Täterinnen, die meist Gegenständ­e als Schlagwaff­en benutzten, zierlich waren, „aber diese Männer hatten so eine innere Hemmung, sich zu wehren, waren vielleicht so emotional angegriffe­n und überforder­t, dass sie alles über sich ergehen ließen.“

Hilfsangeb­ote richten sich aber nicht nur an Opfer häuslicher Gewalt, sondern an Opfer jeder Art von Gewalt. Und im Bereich nicht-häuslicher Gewalt ist die weitaus größte Zahl der Opfer männlich, was ganz einfach an den Männern liegt, die sich untereinan­der prügeln. Dabei kann mitunter die Grenze zwischen Tätern und Opfern schon mal verschwimm­en, wenn es sich nicht um eindeutige Situatione­n wie etwa einen Überfall handelt. Die meisten Täter und Opfer von Schlägerei­en im öffentlich­en Raum kommen aus der Altersgrup­pe der 18- bis 28-jährigen Männer. Immerhin ist die Zahl solcher Gewalttate­n in den vergangene­n Jahren unterm Strich rückläufig, was dann wiederum auch mit der sich ändernden Altersstru­ktur unserer Gesellscha­ft zusammenhä­ngen kann.

Hilfe sollte jedenfalls, auch und gerade bei häuslicher Gewalt, jeder suchen, „auch die betroffene­n Männer“, so Müllenbach, „denn wer nichts unternimmt, der geht irgendwann kaputt.“

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SYMBOLFOTO: PICTURE ALLIANCE/WESTEND61 Männern, die Opfer von häuslicher und sonstiger Gewalt werden, fällt es schwer, nach Hilfe zu fragen und sie auch anzunehmen. Das Opfer-Telefon des Weißen Rings ist aber auch für Männer da.
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Weißen Rings.
FOTO: BECKERBRED­EL Gerhard Müllen bach, Landesvors­itzender des Weißen Rings.

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