Saarbruecker Zeitung

Vom Kampf gegen das eigene Selbst

Depression­en sind den meisten Menschen ein Begriff, werden aber dennoch oft noch als Tabuthema behandelt. Eine Saarländer­in berichtet über ihr Leben mit der Erkrankung.

- VON ISABELL SCHIRRA

ache, freundlich­e Augen, ein herzliches Lächeln, das Auftreten selbstWbew­usst.

Auf den ersten Blick wirkt Margit Zimmer (Name von der Redaktion geändert) wie das Gegenteil einer Depressive­n. Mehr noch, sie wirkt unvereinba­r mit den vielen Gesichtern der Krankheit: Antriebslo­sigkeit, Zurückgezo­genheit, Freudlosig­keit. Eine Kluft, die auch Margit Zimmer, trotz der vielen Jahre, die sie schon mit der Krankheit lebt, immer noch wahrnimmt. In Krankheits­phasen, depressive­n Episoden nennt die Medizin das, habe sie das Gefühl, „sich selbst nicht zu kennen“, sagt sie. Die Sonne, die sich an diesem Tag immer wieder am wolkenverh­angenen Himmel hervorkämp­ft, wirkt wie ein Sinnbild für Margit Zimmer. „In normalen Phasen bin ich kommunikat­iv, kontaktfre­udig“, sagt sie. Sie liebt es, andere Kulturen kennenzule­rnen, reist gerne. Sie habe eine „bestimmte Art – auch wenn ich manchmal damit anecke“, wie sie zugibt. In Krankheits­phasen ist sie zu erschöpft für all das, „das alltäglich­e Leben kostet dann viel Kraft“, sagt Zimmer. Wenn die dunklen Wolken der Depression überhand nehmen, ist alles anders: „Man merkt es zuerst gar nicht“, sagt Zimmer, „doch dann geht es einem sukzessive schlechter“. Sie erzählt vom „Kampf gegen sich selbst“, von Gedankenkr­eisen, Appetitver­lust, der Unmöglichk­eit von Gesprächen und positiven Gedanken und der Unfähigkei­t zu etwas Produktive­m, während sich gleichzeit­ig keine Ruhe einstellen will. „Das wünscht man niemandem“, sagt Zimmer, „das ist schon sehr, sehr schlimm“.

Über die Hälfte der Depressive­n erleidet mindestens einen Rückfall, so die grobe Schätzung seitens der Medizin. Auch Margit Zimmer musste in ihrem Leben schon mehr als eine depressive Episode durchstehe­n. Mit Hilfe von Medikament­en und ambulanter Therapie sei sie aber „vorher immer alleine rausgekomm­en“, erinnert sie sich. Doch beim letzten Mal war alles anders: „Ich bin immer tiefer reingeruts­cht“, sagt Zimmer. Sie habe nicht mehr arbeiten, nicht mehr die Hausarbeit wahrnehmen können, habe Löcher in die Wand gestarrt. Eine stationäre Behandlung wurde unumgängli­ch. Kein leichter Schritt für Zimmer. Denn Psychiatri­e sei heute immer noch mit einem „Makel verbunden“, wie Zimmer sagt, auch für sie. Oder zumindest war sie das, bis sich Margit Zimmer auf Empfehlung in eine freiwillig­e stationäre Therapie in die Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik der SHG-Kliniken Sonnenberg begab. Dort wurde ihr Bild einer psychiatri­schen Klinik nachhaltig verändert. „Man ist froh, dass man Hilfe bekommt“, sagt sie heute, „man ist ja nicht verrückt, sondern krank

– auch wenn viele das gleichsetz­en“. Gespräche, Vertrauen, Rückhalt und viel Psychother­apie – all das fand sie auf dem Sonnenberg. „Genau das wollte ich“, sagt sie heute, „auch wieder eine Struktur zu haben war sehr wichtig“.

Heute ist Zimmer wieder voll berufstäti­g. Nach der stationäre­n Therapie gehe sie bewusster mit ihrer Gesundheit um, habe gelernt, ihre Grenzen zu achten, auch mal Nein zu sagen. Etwas, das sie als leistungso­rientierte­r Mensch vorher kaum konnte. Auch ihre Familie und Freunde seien ihr in der schweren Zeit eine große Hilfe gewesen – wenngleich nur ihre engsten Vertrauten Bescheid wissen. Denn sowohl im Freundeskr­eis, auf der Arbeit als auch in der Gesellscha­ft generell seien Depression­en oder psychische Krankheite­n immer noch ein Tabuthema, sagt Zimmer. „Man weiß nicht damit umzugehen“, sagt sie, gerade auf der Arbeit höre man gerne schon einmal, „dass man sich mal ein bisschen zusammenre­ißen soll“.

„Man hofft, dass es nicht mehr kommt“, sagt sie, „dass man nicht mehr in eine Klinik muss“. Eine Garantie auf eine Zukunft ohne Depression gebe es allerdings leider nicht, sagt Margit Zimmer. Auch deswegen hegt sie einen großen Wunsch, eine große Hoffnung für die Zukunft: Die bessere Akzeptanz psychische­r Erkrankung­en in der Gesellscha­ft. „Ich würde mir wünschen, dass Depression­en irgendwann als etwas anerkannt werden, das vorbei geht – so wie ein Beinbruch oder eine Blinddarme­ntzündung“.

„Man ist ja nicht verrückt, sondern krank.“

Margit Zimmer

 ?? FOTO: ROBBY LORENZ ?? Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein - genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en.
FOTO: ROBBY LORENZ Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein - genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en.

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