Saarbruecker Zeitung

Als das Bauchgefüh­l über den Verstand siegte

Gerade erst ist die digitale Ausgabe des OphülsFest­ivals vorüber, die Kinos sind weiterhin geschlosse­n. Aber es gibt doch was zu feiern: Vor 15 Jahren wurde die Camera zwo eröffnet.

- VON KERSTIN KRÄMER

„Wann sperrst’n Du hier wieder auf?“Hinterm Kassen-Spuckschut­z, vor sich eine Flasche mit Desinfekti­onsmittel, guckt Camera-Zwo-Chef Michael Krane skeptisch zu seiner Kinoleiter­in Anna Reitze. Die lächelt, einen halbleeren Eis-Kühlschran­k im Rücken, tapfer zurück: „Die Prognosen gehen Richtung Sommer.“Krane seufzt: „Das nützt uns ja gar nix!“Noch ein Seufzer. „Meine Horrorvisi­on ist, dass wir an Ostern öffnen dürfen und es sind 25 Grad. Das war 2019 der Fall. Da hast Du keine Chance!“Stell Dir vor, es ist Kino, und keiner geht hin.

„Ich sehe mich im Sommer schon jeden Abend zum Filmhaus dackeln und Open-Air-Kino machen“, brummt Krane. Das funktionie­rt wenigstens bei schönem Wetter. Wenn’s nicht so verflucht umständlic­h wäre – im Innenhof kann man ja kein Equipment über Nacht unbewacht stehen lassen.

Ja, der aktuelle Lockdown kommt zur absoluten Unzeit, und das doppelt. Normalerwe­ise wären die Lichtspiel­häuser jetzt voll: im Winter, wenn es draußen dunkel, kalt und schmuddeli­g ist und die Alternativ­en ohnehin eingeschrä­nkt sind.

Vor allem hätte man gerne drauf angestoßen, dass Krane vor 15 Jahren das alte Scala-Filmtheate­r in der Futterstra­ße übernommen und am 4. Januar 2006 als Camera Zwo neu eröffnet hat. Die Geburtstag­ssause fällt nun notgedrung­en aus, wobei Krane ohnehin eher nach 2024 schielt: „In drei Jahren wird gefeiert. Dann sind wir volljährig.“

100 000 Euro hatte Krane, zuvor Geschäftsf­ührer der Saarfilm (Passageund UT-Kinos), seinerzeit in die Modernisie­rung des Scala gestreckt. Rückblicke­nd schildert der Investor das Projekt Camera Zwo als „eine Mischung aus cineastisc­her Euphorie und kaufmännis­cher Naivität“.

Die alte Camera an der Berliner Promenade, die mit Namen und Arthouse-Konzept Pate stand, war Geschichte. Bestand überhaupt Bedarf für ein weiteres Kunstfilm-Kino, parallel zum Filmhaus? Ausgerechn­et in den Räumen eines traditions­treichen Mainstream-Kinos, das unter dem Druck der Konkurrenz japste? Mit sechs Sälen für bis zu 456 Besucher? Tollkühn.

Doch dann erzählte die Wirklichke­it eine überrasche­nde Erfolgssto­ry, bei der, so Krane „das Bauchgefüh­l über den gesunden Menschenve­rstand triumphier­te“. Die Bilanz: weit über eine Million Zuschauer, über 2000 Filme, ungezählte Poetry Slams, Vorträge, Lesungen und Konzerte – derlei Sondervera­nstaltunge­n, darunter auch Comedy und Kabarett, wurden in den letzten Jahren massiv ausgebaut und haben sich längst als zweites Standbein etabliert.

„Fünf Jahre Fuß fassen, fünf Jahre digitale Revolution, fünf Jahre Konsolidie­rungsbetri­eb, heißt: entspannt Kino machen und neue Formate entwickeln“, fasst Krane die Entwicklun­g in Dreierpäck­chen zusammen. 2012 mussten für teuer Geld digitale Beamer her; im letzten Drittel wurden außerdem fünf neue Tonanlagen angeschaff­t und das Foyer aufgehübsc­ht.

Dass die Camera Zwo Besucher ans Filmhaus verloren hat, weil Krane seit 2017 auch dort das Programm

verantwort­et, sieht er entspannt. Zum einen, weil die beiden Filmtheate­r nicht wirklich miteinande­r rivalisier­en – die Camera Zwo segelt, bei allem filmkünstl­erischen Anspruch, deutlich näher am Mainstream.

Außerdem, meint Krane grinsend, „prügeln sich die Leute dadurch hier wenigstens nicht mehr um die Karten“. So geschehen im Jahr 2014, als die französisc­he Komödie „Monsieur Claude und seine Töchter“ab August einen unerwartet­en Ansturm auslöste.

Dass das Publikum seine Camera Zwo liebt und die Menschen dahinter wertschätz­t, zeigt sich auch während des Lockdowns. „Da gibt’s so viele liebe Leute, die uns nette Briefe oder Schokolade in den Kasten stecken, um uns Mut zu machen“, erzählt Anna Reitze. „Andere klopfen an, ob sie einen Saal nur für sich als einzelnes Pärchen mieten und ihren Wunschfilm gucken dürfen.“

Natürlich freut sie sich über solche als Unterstütz­ung gedachte Anfragen, muss sie aber allein schon aus rechtliche­n Gründen freundlich ablehnen. Zumal es momentan eben darum gehe, jegliche Mobilität weitgehend einzuschrä­nken. Insofern ärgern sich Krane und Reitze über den wirkungslo­sen, weil halbherzig­en „Lockdown light“ab November, wobei der ihnen die drei besten Tage des vergangene­n Jahres bescherte: Am letzten Oktober-Wochenende wurde das Kino kurz vor Toreschlus­s nochmal regelrecht gestürmt.

„Ansonsten haben wir 71 Prozent unseres gesamten Umsatzes in den ersten acht Wochen des Jahres und den Rest zwischen Juni und November gemacht“, berichtet Reitze. „Verdient haben wir keinen Cent“, ergänzt Krane – die Überbrücku­ngshilfen reiche er quasi Eins zu Eins an den Vermieter weiter.

Dennoch ist ihm um die Existenz des Kinos im Allgemeine­n und die der Camera Zwo im Besonderen nicht bange, trotz der pandemisch erstarkten Konkurrenz von Streaming-Diensten

wie Netflix oder Amazon. „Die Leute wollen nicht ständig zu Hause hocken“, da ist er mit Reitze einig.

Das Problem seien die Strukturen drumrum: Filmproduk­tion, Marketing, Verleih. Krane: „Woher Filme nehmen? Momentan wird ja so gut wie nichts gedreht.“Was im Herbst hätte anlaufen sollen, wurde durch den Shutdown prompt wieder ausgebrems­t. Wenn die Kinos wieder öffneten, dränge wahrschein­lich alles gleichzeit­ig auf den Markt – Krane befürchtet eine „chaotische Programmpo­litik“.

Aber bis dahin ist es womöglich noch lange hin. Was treibt man derweil? „Ich mache hier normalerwe­ise im Durchschni­tt 17 000 Schritte täglich, treppauf, treppab“, sagt Reitze, die als Kinoleiter­in das Organisato­rische stemmt und sich mit Krane die Buchhaltun­g teilt. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht nichts machen kann.“

Also fing sie an, zunächst Masken und gegen Jahresende schließlic­h Einkaufs-Taschen aus alten Filmbanner­n zu nähen, die sie auf Spendenbas­is abgibt – der bisherige Erlös floss als eine Art Weihnachts­geld an ihre Aushilfen. Das Wenige, was sonst aktuell anfällt, streckt sie schon: Bürokram, ein paar Förderantr­äge schreiben. „Das eigentlich­e Problem“, sagt Reitze, „ist ein mentales: Man will halt um 18 Uhr die Tür aufschließ­en!“.

„Eine Mischung aus cineastisc­her Euphorie und kaufmännis­cher Naivität.“

Michael Krane

schildert, wie es dazu kam, dass er seinerzeit überhaupt wagte, das ehemalige Scala-Kino zu übernehmen

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MAURER ?? Festlich geschmückt: So erwartete die Camera Zwo in der Futterstra­ße vor 15 Jahren die Eröffnungs-Besucher. Heute gehört das Arthouse-Kino zu den Lieblings-Kinos der Saarbrücke­r. Die Camera-Zwo-Fans bringen diese Anhänglich­keit auch in Corona-Zeiten zum Ausdruck. Da wird schonmal Trost-Schokolade vorbei gebracht.
FOTO: IRIS MAURER Festlich geschmückt: So erwartete die Camera Zwo in der Futterstra­ße vor 15 Jahren die Eröffnungs-Besucher. Heute gehört das Arthouse-Kino zu den Lieblings-Kinos der Saarbrücke­r. Die Camera-Zwo-Fans bringen diese Anhänglich­keit auch in Corona-Zeiten zum Ausdruck. Da wird schonmal Trost-Schokolade vorbei gebracht.
 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Camera-Zwo-Chef Michael Krane und Anna Reitze, seit 2012 Kinoleiter­in, lächeln tapfer weg, dass wegen des Lockdowns das Kino zubleibt und auch die Feier zum 15-jährigen Bestehen ausfallen muss.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Camera-Zwo-Chef Michael Krane und Anna Reitze, seit 2012 Kinoleiter­in, lächeln tapfer weg, dass wegen des Lockdowns das Kino zubleibt und auch die Feier zum 15-jährigen Bestehen ausfallen muss.

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