Auch Privatleute können bald Schnelltests kaufen
Anders als früher erfahren Impfwillige jetzt viel über Wirkungsweise und Nebenwirkungen der neuen Vakzine gegen Covid-19. Das ist wichtig und gut, weckt aber auch Begehrlichkeiten.
(SZ) Bislang dürfen nur medizinische Fachkräfte oder Apotheker Corona-Schnelltests durchführen. Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn soll es aber bald Antigen-Schnelltests geben, die jeder Privatbürger kaufen und selbstständig anwenden kann.
Dafür will der CDU-Politiker eine bisher geltende Abgabebeschränkung aufheben.
„Tests zur Eigenanwendung durch Laien werden perspektivisch eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung der Pandemie spielen“, heißt es dazu in einem Entwurf zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung.
„Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“– dieser Spruch dürfte für Menschen der Baby-Boomer-Generation und darüber hinaus prägend gewesen sein. Die Impfkampagnen gegen die [JRDm1] Poliomyelitis führten vor allem mit dem Einsatz der Schluckimpfung zum Erfolg: Ein kleiner Zuckerwürfel mit ein paar Tropfen Flüssigkeit in den Kindermund – so unkompliziert konnte wirksamer Schutz gegen eine hoch ansteckende und folgenschwere Infektion sein. 2002 konnte Europa von der WHO für poliofrei erklärt werden. Wie genau das Vakzin wirkte oder gar zu wieviel Prozent, dürfte außer einschlägigen Fachkreisen nur wenige interessiert haben. So wie sich bislang überhaupt nur wenige um Impfstoff-Details gesorgt haben, von generellen Impfgegnern einmal abgesehen.
Das hat sich mit den unter massivem Zeitdruck entwickelten Vakzinen gegen die Covid-19-Pandemie grundlegend verändert. Mehr denn je erhalten Menschen außerhalb der Fachwelt Einblicke in das komplizierte Entwicklungsgeschehen der neuen Impfstoffe. Und stellen sich dementsprechend auch mehr Fragen. Bald aber könnte es nicht nur für Otto-Normalverbraucher schwer werden, den Überblick zu behalten. Denn weltweit zählt die WHO inzwischen mehr als 235 Impfstoffprojekte, die seit Bekanntwerden des Sars-Cov-2-Virus binnen kürzester Zeit angelaufen sind. Allein in Deutschland arbeiten mindestens elf Unternehmen und Forschungseinrichtungen an Vakzinen im Zusammenhang mit Covid-19 – hinzu kommt eine Vielzahl an unterstützenden Firmen, Pharma-Unternehmen und Universitätsinstituten.
Doch noch ist bei den zur Verfügung stehenden Covid-Impfstoffen Mangelverwaltung angesagt. In der Bundesrepublik wie im Rest der EU sind gegenwärtig lediglich zwei Impfstoffe zugelassen: das in Deutschland entwickelte Vakzin von Pfizer/Biontech und das der amerikanischen Firma Moderna. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Impfstoff hierzulande noch knapper ist als ohnehin erwartet. Der Impfprozess kommt nicht richtig in Fahrt, die Politik sieht sich massiven Vorwürfen ausgesetzt. Zu wenig bestellt – oder schlicht das Falsche? Auch deshalb setzen Bund und Länder große Hoffnungen auf einen dritten vielversprechenden Impfstoff, der von manchen schon als möglicher „Gamechanger“gepriesen wird: das Vakzin des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca, das kurz vor der EU-Zulassung steht. Rund 56 Millionen Dosen soll Deutschland davon über die EU geordert haben, in Großbritannien wird es schon seit Anfang Januar verimpft.
Der Vorteil dieses Impfstoffes ist sein günstigerer Preis und dass er den Angaben zufolge bei handelsüblichen Kühlschranktemperaturen mindestens sechs Monate gelagert werden kann. Insofern eigne er sich auch zur Verimpfung in Arztpraxen, heißt es. Der Biontech-Impfstoff dagegen braucht eine Lagertemperatur von mindestens minus 70 Grad, um stabil zu bleiben, der von Moderna minus 20 Grad.
Einen entscheidenden Nachteil gibt es bei Astrazeneca allerdings auch: Um die Wirksamkeitsstudie gab es einige Irritationen (veröffentlicht in der Fachzeitschrift The Lancet), die das Unternehmen bislang noch nicht ausräumen konnte. Demnach schwankt die Schutzwirkung des Vakzins je nachdem zwischen 63 und 90 Prozent. Der Hersteller gibt indes einen mittleren Wert von 70 Prozent an. Zum Vergleich: Bei den Biontech- und Moderna-Impfstoffen liegt er bei rund 95 Prozent.
Solche „Unwägbarkeiten hinsichtlich der Effektivität“stimmen auch Jürgen Rissland, den leitenden Oberarzt der Virologie an der
Uni-Klinik des Saarlandes in Homburg, bedenklich: „Nicht dass dieses Vakzin unwirksam ist, aber wir sollten schon versuchen, möglichst gleichwertige Impfstoffe zu haben. Ansonsten bekommen wir Glaubwürdigkeitsprobleme“, meint der Virologe. Dass der Astrazeneca-Wirkstoff seit Anfang Januar in Großbritannien einer breiten Bevölkerung verabreicht wird, sieht Rissland auch dem Umstand geschuldet, „dass man angesichts des angespannten Infektionsgeschehens
schon Zugeständnisse macht“. Höhere Wirksamkeit soll die Studie eher bei jüngeren Probanden gezeigt haben. „Man muss daher schauen, wen man damit impft“, erklärt der Experte.
Diese „Unwägbarkeiten“könnten freilich bald auch dazu führen, dass Impfwillige äußerst kritisch hinterfragen, welchen Impfstoff sie verabreicht bekommen, und dass sie Wahlfreiheit hinsichtlich des Präparats für sich reklamieren. Vor allem vor dem Hintergrund neuer Mutationen erwarten die Menschen größtmögliche Sicherheit beim Impfen. Der Impfstoff von Pfizer/Biontech gilt nach bisherigen Erkenntnissen auch als wirksam gegen die neue britische Corona-Mutante B.1.1.7. Israelische Studien legen zudem nahe, dass mit dem Biontech-Vakzin Geimpfte weniger infektiös sind. Gleiches soll auch bei Moderna der Fall sein. Beim Astrazeneca-Impfstoff deuten hingegen Tierversuche und Studien mit Klinikpersonal darauf hin, dass kein sogenannter Fremdschutz gegeben sei, wie die Augsburger Allgemeine jetzt den Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, zitierte.
Sollen Impfwillige also tatsächlich wählen können, welches Präparat sie vor dem Covid-19-Virus schützen soll? Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hatte das jüngst vorgeschlagen. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat das dem Sender RBB zufolge aber abgelehnt. „Dieser Vorschlag verwirrt die Bevölkerung mehr, als dass er hilft“, zitiert der Sender eine Sprecherin. „Da nicht bekannt ist, dass ein Impfstoff besser ist als der andere, sollte den Menschen vielmehr vermittelt werden, dass man allen zugelassenen Impfstoffen vertrauen kann.“Und auch der saarländische Virologe Rissland sieht vorerst keine Möglichkeiten. Viel wichtiger sei es gerade vor dem Hintergrund des Impfstoff-Mangels, dass die Menschen bei der ersten und zweiten Impfung mit demselben Vakzin behandelt würden. Etwa um ein Nebenwirkungs-Monitoring konsequent durchführen zu können. Abgewunken hat wohl auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wie es hieß: Wer vom Staat eine Impfung gegen Covid-19 angeboten bekomme, werde sich den verabreichten Impfstoff vorerst nicht aussuchen können.