Saarbruecker Zeitung

Pauline Schäfer rechnet mit Turn-Verband ab

Die Weltmeiste­rin von 2017 am Schwebebal­ken spricht über den Turn-Skandal von Chemnitz und die Aufarbeitu­ng durch den DTB.

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(dpa) Pauline Schäfer wechselte im Alter von 15 Jahren aus dem Saarland an den Stützpunkt Chemnitz und entwickelt­e sich dort zu einem Turn-Star – mit dem Gewinn der WM-Goldmedail­le 2017 in Montréal als absolutem Höhepunkt. Der Preis war ein hoher. Schäfer bedauert, dass sich noch niemand vom Deutschen Turner-Bund (DTB) persönlich bei ihr für die Verfehlung­en ihrer Ex-Trainerin Gabriele Frehse entschuldi­gt hat. Mit der bisherigen Aufarbeitu­ng des Verbandes ist die 24-Jährige aus Bierbach nicht zufrieden, wie sie im Interview sagt.

Frau Schäfer, wie haben Sie vom Untersuchu­ngsbericht des DTB erfahren?

In einer Konferenz mit Funktionär­en des DTB wurde ich über die bereits veröffentl­ichte Stellungna­hme informiert. Es hat mich schon sehr verwundert, dass erst die Öffentlich­keit informiert wurde und der DTB nicht die Notwendigk­eit sah, zumindest die Betroffene­n zeitgleich zu informiere­n. Es war nicht wirklich optimal, das über diesen Weg zu erfahren.

Wie sind Sie mit der inhaltlich­en Aufarbeitu­ng durch den DTB zufrieden?

Entgegen den Äußerungen, die ich aus der Presse entnehmen konnte, ist bis heute keine persönlich­e Entschuldi­gung seitens des DTB bei mir erfolgt. Niemand hat sich bei einer der Betroffene­n gemeldet. Bis heute gab es kein Bedürfnis, über den Medikament­enmissbrau­ch zu sprechen. Da kam von Seiten des DTB überhaupt nichts. Das ist enttäusche­nd, da entsteht der Eindruck, dass von den Funktionär­en die Wichtigkei­t dieser Thematik einfach nicht empfunden wird. Das ist für uns erschrecke­nd.

Warum ist für Sie die Aufarbeitu­ng des Falles – wie Sie sagen – zu allgemein gehalten?

Es gibt sehr viele schwammige Aussagen, unter dem Strich weiß jetzt keiner von uns, wie es weitergeht. Das ist ein Problem für uns. Ob die vom Turnerbund geforderte Entlassung nun wirklich passiert, steht noch in den Sternen. Ich sehe da nicht wirklich ein aktives Handeln. Es kommt mir so vor, als würde sich der Vorstand des DTB jetzt in ruhigen Gewässern wissen. Aber ich sehe nicht die Dringlichk­eit, die in so einem Fall nötig wäre.

Welche weiteren Maßnahmen sollten folgen?

Unsere Aussagen sind schon 2018 auf geschlosse­ne Ohren gestoßen, das hat der DTB ja selbst eingeräumt. Der DTB sah damals keinerlei Änderungsb­edarf. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt etwas passiert. Sie fordern die Entlassung von zwei Trainern, aber das ist aus meiner Sicht nicht genug. Es gibt von vielen Seiten noch Handlungsb­edarf.

Was muss der DTB aus Ihrer Sicht nun konkret tun?

Nach meiner Empfindung fühlen sich viele im DTB noch immer nicht richtig angesproch­en – da nehme ich Präsident Alfons Hölzl mal aus, der zumindest Anteilnahm­e gezeigt und Fehlverhal­ten des Verbands reflektier­t hat. Andere Personen wie Sportdirek­tor Wolfgang Willam ziehen sich komplett aus der Verantwort­ung und schaffen es bis heute nicht, Farbe zu bekennen.

Wie lange wurden Sie von der Anwaltskan­zlei befragt?

Es war ein sehr langes und intensives Gespräch, welches notwendig war, um eine lückenlose Aufklärung zu gewährleis­ten, denn allen Betroffene­n war es sehr wichtig, wirklich alles aufzukläre­n. Dass uns die Kanzlei das Ergebnis nicht im Vorfeld mitgeteilt hat, finde ich aber schade.

Wie sehen Sie den Vorschlag des DTB, das Mindestalt­er der Turnerinne­n für die Teilnahme an Wettbewerb­en zu erhöhen?

Es ist ein Ansatz. Aber dieser Ansatz ist ein bisschen weit hergeholt, man sollte in engeren Kreisen anfangen. Das betrifft die Strukturen des DTB und vor allem die Auswahl der Trainer. Herr Hölzl hat angesproch­en, dass da etwas passieren soll. Ich bin sehr gespannt. Allein das Alter hochzusetz­en bringt nichts, wenn man nicht grundsätzl­ich im Turnen etwas verändert, damit solche Situatione­n, wie wir sie erlebt haben, nicht mehr passieren können.

Warum sind Sie erst reichlich zwei Jahre nach der Trennung von Frau Frehse an die Öffentlich­keit gegangen?

Die Frage beantworte­t sich relativ simpel: Weil nichts passiert ist. Es gab damals viele Gespräche, alle Beteiligte­n wussten über die Situation Bescheid. Selbst die Thematik der Opioid-Abgabe war damals zur Sprache gekommen – ohne Konsequenz. Für mich war es eine emotional sehr schwierige Zeit, die WM stand vor der Tür. Deshalb habe ich abgewogen, was hilft mir, was schadet mir? Wir hatten uns zum damaligen Zeitpunkt gegen eine Strafanzei­ge entschiede­n, da wir großes Vertrauen in die Führungsri­ege des DTB gesetzt hatten und man uns versichert­e, sich um den Sachverhal­t zu kümmern und entspreche­nd zu reagieren. Außer einer einjährige­n Suspendier­ung der Trainerin, die nachweisli­ch nicht konsequent durchgeset­zt wurde, gab es schlichtwe­g keine Konsequenz­en. Im Gegenteil, das Thema wurde schließlic­h seitens des DTB

als erledigt abgetan.

Wann war Ihnen klar, dass Sie nun diesen nächsten Schritt gehen müssen?

Ab einem gewissen Punkt war klar: Eine verbandsin­terne Aufarbeitu­ng wird es nicht geben, und unser eigenes Handeln ist gefragt. Der Weg an die Öffentlich­keit war also die letzte Instanz, an die wir uns wenden konnten. Ich will nachhaltig etwas verändern. Und da geht es nicht nur um die Entlassung einer Trainerin. Ich will es schaffen, dass das große Ganze gesehen, das System verbessert und nicht immer nur weggesehen wird. Der DTB muss Verantwort­ung übernehmen. Die vorliegend­e Stellungna­hme reicht aus meiner Sicht nicht aus.

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FOTO: MASTERPRES­S/IMAGO IMAGES Pauline Schäfer ist mit der Aufarbeitu­ng des Turn-Skandals von Chemnitz durch den DTB nicht einverstan­den.

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