Saarbruecker Zeitung

Bundeswehr hilft bei Schnelltes­ts

Weil es an Personal fehlt, werden im Saarland jetzt Bundeswehr­soldaten zum Testen in Pflegeeinr­ichtungen herangezog­en.

- VON DANIEL KIRCH UND TOBIAS FUCHS

(CDU) beim Rachenabst­rich. Soldaten unter dem Kommando der Verteidigu­ngsministe­rin sollen künftig in Seniorenei­nrichtunge­n bei Corona-Schnelltes­ts helfen. Daran gibt es allerdings auch Kritik: Professor Dr. Harald Schäfer, Ärztlicher Direktor der SHG-Kliniken Völklingen, findet es „befremdlic­h“, wenn die Bundeswehr in Altenheime einrücke. Er schlägt vor, Beschäftig­te aus dem Bereich körpernahe­r Dienstleis­tungen – wie etwa Frisöre – einzusetze­n.

Nun soll es also die Bundeswehr richten. Junge Männer und Frauen, an Pistole und Gewehr ausgebilde­t, warten auf ihren Einsatz in einem für sie unbekannte­n Krisengebi­et. Sie sollen hochbetagt­en Menschen in Altenheime­n Wattestäbc­hen tief in die Nase schieben. Wann die Soldaten ihren Crash-Kurs durchlaufe­n und für die Corona-Schnelltes­ts in die Heime im Saarland einrücken können, ist derzeit nicht klar. Zu befürchten ist, dass es schon zu spät sein wird.

Denn seit Monaten sterben betagte Heimbewohn­er an oder mit dem Coronaviru­s. Bis Mitte vergangene­r Woche waren es im Saarland 330 – etwa die Hälfte aller Corona-Toten. Mehr als ein Drittel der akuten Infektione­n entfällt auf die Pflegeeinr­ichtungen, deren Bewohner und Beschäftig­te. „Das zeigt, dass wir das Thema Altenheime noch immer nicht im Griff haben“, sagt Magnus Jung (SPD), der Vorsitzend­e des Gesundheit­sausschuss­es im Landtag.

Das Gesundheit­sministeri­um betont immer wieder, alles zu unternehme­n, um das Virus aus den Heimen herauszuha­lten. Dass dies bei einem weit in der Gesellscha­ft verbreitet­en Erreger nicht komplett gelingen kann, mag so sein. Es stellen sich dennoch Fragen.

An Warnungen und Ratschläge­n hat es nicht gemangelt. Der Ärztliche Direktor der SHG-Kliniken Völklingen und Chefarzt des Lungenzent­rums Saar, Professor Dr. Harald Schäfer, der selbst zahlreiche Covid-19-Patienten auf der Intensivst­ation behandelt, sagte im April 2020 in einem SZ-Interview: „Ich halte es für zwingend erforderli­ch, dass alle Bewohner und Mitarbeite­r getestet werden – am besten regelmäßig, auch wenn das eine logistisch­e Herausford­erung ist.“Schäfers Krankenhau­s ist schon zu diesem Zeitpunkt neben der Uniklinik und dem Winterberg eines von drei Corona-Zentren im Land.

Jetzt, mitten in der zweiten Welle, zieht Schäfer ein ernüchtern­des Fazit. Es habe viel zu lange gedauert, bis das regelmäßig­e Testen angegangen wurde. „Das war eine Situation mit Ansage“, sagt der Lungen-Spezialist. „Dass Personal in den Altenund Pflegeheim­en fehlt, ist nichts Neues. Und dass die Welle kommt, war im Sommer klar.“Das SHG-Klinikum habe schon Anfang November damit begonnen, in bestimmten Bereichen regelmäßig Schnelltes­ts bei Mitarbeite­rn zu machen.

In Heimen dauerte es deutlich länger, auch weil der Bund Ende November/Anfang Dezember erst einmal beschließe­n musste, dass die Betreiber nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Das Saarland gab am 8. Dezember zunächst vor, dass Mitarbeite­r von Pflege-Einrichtun­gen wöchentlic­h getestet werden sollen, Bewohner alle ein bis zwei Wochen und Besucher vor dem Betreten von Bewohnerzi­mmern jedes Mal.

Dass deutlich öfter getestet werden soll, wie es Arbeitskam­mer und SPD forderten, hielt das Gesundheit­sministeri­um für nicht machbar, weil das Personal dafür fehle. Es werde aber angestrebt, die Intervalle nach und nach zu verkürzen. Modellrech­nungen zeigen, dass sich Ausbrüche unterbinde­n lassen, wenn Schnelltes­ts regelmäßig zum Einsatz kommen. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) warnte aber im Dezember vor zu hohen Erwartunge­n: Testen sei wichtig, um einen Überblick zu bekommen, schütze aber nicht vor Infektione­n, dazu seien strenge Hygienevor­schriften nötig, sagte er in einer Regierungs­erklärung.

Weil die Infektions­zahlen immer bedrohlich­er wurden, verschärft­e das Saarland mit den anderen Bundesländ­ern Mitte Dezember seine

Vorgaben: Von nun an mussten Bewohner und Mitarbeite­r zwei Mal pro Woche getestet werden, Besucher jedes Mal, wenn sie eine Einrichtun­g betreten wollten.

Doch Papier ist geduldig, wenn das Personal für die Tests fehlt. Am 5. Januar beschlosse­n die Ministerpr­äsidenten daher eine gemeinsame Initiative, um Freiwillig­e zu rekrutiere­n. Doch weil die Kampagne nicht recht in die Gänge kam, diente der Bund den Landkreise­n am 15. Januar Soldaten zur Unterstütz­ung bei den Tests an. Die saarländis­chen Landkreise meldeten ins Kanzleramt einen Bedarf von 182 Soldaten.

„Wenn Sie mich fragen“, sagt Professor Schäfer, „ich finde das befremdlic­h. Wenn die Bundeswehr in Alten- und Pflegeheim­en einrückt, hat das etwas von einem Ausbruch des Katastroph­enfalls.“Eine Pandemie müsse Anlass zu kreativen und unkonventi­onellen Lösungen geben. Man könne doch die Beschäftig­ten aus körpernahe­n Dienstleis­tungen, die jetzt alle Berufserbo­t haben, unkonventi­onell einzusetze­n, sagt der Chefarzt und Ärztliche Direktor, Frisöre zum Beispiel. „Warum das nicht geschieht, kann ich nicht nachvollzi­ehen.“Stattdesse­n bat das Gesundheit­sministeri­um vor Weihnachte­n unter anderem Apotheker um Mithilfe; die hatten aber schon mit der Ausgabe der FFP2-Masken alle Hände voll zu tun.

Über Wochen hinweg fehlte nicht nur Personal, sondern auch ein klares Lagebild – zumindest für die Öffentlich­keit. Als der Gesundheit­sausschuss des Landtages im November wissen wollte, wie viele Mitarbeite­r und Bewohner der Pflegeheim­e seit 1. Oktober getestet worden sind, antwortete das Gesundheit­sministeri­um: „Es liegen keine Informatio­nen vor.“

Die Opposition und der SPD-Teil der Koalition sind unzufriede­n mit der Datenlage. Oskar Lafontaine sagte, für die politische­n Entscheidu­ngen sei es doch wichtig zu wissen, wie viele Menschen aus den Heimen gestorben sind und wie die Lage in den Heimen wirklich ist. Kritik an den verfügbare­n Zahlen übte auch der SPD-Politiker Jung, der im Gesundheit­sausschuss regelmäßig die Berichte der Landesregi­erung hört. „Da fehlt es an Transparen­z“, sagte er in der vorletzten Woche.

SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon fragte im Dezember ungehalten, wie man den Erfolg der Test-Strategie des Landes bewerten wolle, wenn es immer nur heiße, es lägen keine Informatio­nen vor. „Wir fischen in der Pandemie-Bekämpfung an manchen Stellen im Trüben.“

In einer Pressemitt­eilung des Gesundheit­sministeri­ums vom 14. Januar erfuhr man, dass in 66 der 149 Heime insgesamt 420 Bewohner und 175 Mitarbeite­r positiv getestet wurden und dass es bisher über 300 Todesfälle gab. Die Zahl der betroffene­n Einrichtun­gen ist in etwa gleich geblieben, während die Sterbefäll­e zunehmen. Auch die Zahl der Tests in den Heimen wurde vor eineinhalb Wochen genannt. In der ersten Januar-Woche waren es 36 572 Schnelltes­ts, 148 waren positiv.

Um der Testpflich­t nachzukomm­en, haben Heime neues Personal eingestell­t, ihre Mitarbeite­r Überstunde­n machen lassen, Betriebsär­zte oder externe Firmen ins Haus geholt. Trotzdem reicht es nicht. Bei 13 000 Bewohnern hätten allein in dieser Personengr­uppe in der ersten Januar-Woche 26 000 Tests gemacht werden müssen, tatsächlic­h waren es 16 756. Das nötige Personal zu finden, gehe nicht von heute auf morgen, heißt es bei den Pflegeheim­betreibern, aber man nähere sich dem Ziel.

Die entscheide­nde Frage bei alledem ist nach wie vor unbeantwor­tet: Wer schleppt das Virus in die Heime: Besucher oder Beschäftig­te? Das vermögen in der Regel weder Betreiber noch Gesundheit­sämter sicher anzugeben. Der Berufsverb­and der Hygiene-Inspektore­n fordert daher, Infektione­n in den saarländis­chen Altenhilfe-Einrichtun­gen konsequent aufzuarbei­ten. Über Befragunge­n von erkrankten Personen könnten die Betreiber Hinweise auf mögliche Infektions­quellen und Übertragun­gswege gewinnen – und so Risikofakt­oren identifizi­eren und die Erkenntnis­se präventiv nutzen.

Davon sind die Heime sehr weit entfernt. Fürs erste geht es darum, zu testen, bevor es nicht mehr nötig ist. Denn mehr als die Hälfte der 13 000 Pflegeheim­bewohner ist bereits geimpft. Bis März oder April werden wohl alle, die das wollen, ihre zweite Spritze erhalten haben. Wenn die Immunisier­ung dann kurze Zeit darauf wirkt, hat sich das Test-Problem zumindest bei den Heimbewohn­ern erledigt.

„Wenn die Bundeswehr in Alten- und Pflegeheim­en einrückt, hat das etwas von einem

Ausbruch des Katastroph­enfalls.“ Prof. Dr. Harald Schäfer Ärztlicher Direktor der SHG-Kliniken Völklingen

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FOTO: NIETFELD/DPA
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Zu wenig Schnelltes­ts in saarländis­chen Alten- und Pflegeheim­en aufgrund von Personalma­ngel? Die Bundeswehr soll’s jetzt richten. FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA

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