Saarbruecker Zeitung

Industrie treibt Saar-Wirtschaft an

Ein Zukunftsta­rifvertrag mutet den Beschäftig­ten des Autozulief­erers Einschnitt­e zu. Dafür gibt es nicht nur aus Sicht der Geschäftsf­ührung gute Gründe.

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Während die zweite Corona-Welle die deutsche Wirtschaft voll im Griff hat, geht es den Unternehme­n im Saarland einer Umfrage zufolge wieder zunehmend besser. Das liegt vor allem an der Industrie.

Der Vertrag schließt bis Ende 2023 betriebsbe­dingte Kündigunge­n der Stammbeleg­schaften von Voit Automotive und dessen verlängert­er Werkbank BTI Bearbeitun­gstechnolo­gie St. Ingbert aus. Insgesamt geht es um die Sicherung von 870 Stellen. Falls sich die Lage des Unternehme­ns dramatisch verschlech­tern sollte, sind trotzdem Kündigunge­n möglich – aber nur, wenn der Betriebsra­t zustimmt. Darüber hinaus sichert Voit Investitio­nen im Umfang von rund 22 Millionen Euro zu. Im Gegenzug verzichten die Mitarbeite­r auf Geld – insgesamt auf circa fünf Millionen Euro. Der reguläre Monatslohn wird nicht angetastet. Die Einschnitt­e betreffen die Sonderzahl­ungen: In diesem Jahr verzichten die Beschäftig­ten auf die Hälfte des Urlaubs- und des Weihnachts­geldes und im kommenden Jahr wie schon im vergangene­n auf die Hälfte des Urlaubsgel­des. Auf das Jahresgeha­lt bezogen bedeute dies im Schnitt für 2021 ein Minus von gut fünf Prozent und für 2022 um 2,3 Prozent, sagt Otterbach.

Der Millionenb­etrag, den die Belegschaf­t beisteuert, soll den finanziell­en Druck, unter dem das Unternehme­n steht, mildern. Im vergangene­n Jahr schlugen die Corona-Folgen stark durch. Otterbach beziffert den Einbruch des Umsatzes im April auf 80 Prozent, im Mai auf 60 Prozent. Bis August habe Voit Kurzarbeit gehabt. Danach sei die Produktion wieder normal gelaufen. Im November und Dezember habe das Unternehme­n die Einbrüche vom Frühjahr etwas aufholen können. Zurzeit seien wegen hoher Auslastung sogar 50 Leiharbeit­er zusätzlich beschäftig­t. Zu drei Viertel hängt der St. Ingberter Autozulief­erer an Aufträgen von ZF. Hauptsächl­ich werden Aluminium-Druckguss-Teile für das Getriebewe­rk in Saarbrücke­n produziert. Doch obwohl die vergangene­n Monate gut gelaufen seien, „war 2020 das größte

Verlustjah­r der Firmengesc­hichte“, sagt Otterbach. Für dieses Jahr rechnet er wieder mit einem Gewinn.

Zu den Corona-Folgen kommt noch etwas: Für dieses Jahr „sind sehr hohe Neuinvesti­tionen für die Zukunft nötig“, sagt Otterbach. Diese schlagen sich aber nicht sofort in Umsätzen nieder. Damit rechnet er erst ab 2023. Aufträge in Alu-Druck-Guss-Teile lösten jedoch hohen Aufwand für neue Anlagen aus. Das müsse vorfinanzi­ert werden. Dabei habe Voit mit Erwartunge­n der finanziere­nden Banken zu tun. „Da war eine Lücke, die es zu schließen galt“, sagt Otterbach. Banken und Kunden seien dem Unternehme­n entgegenge­kommen, ein Beitrag auch der Arbeitnehm­er sei „alternativ­los“gewesen, sagt der Geschäftsf­ührer. Das Geld, das die Belegschaf­t aufbringt, wird in einen Zukunftsfo­nds eingezahlt. Der Abfluss der Mittel ans Unternehme­n ist laut Vertrag unter anderem an die Höhe der Investitio­nen gekoppelt.

Die zurzeit anstehende­n Investitio­nen sollen in Anlagen fließen, mit denen Produkte für Hybridund Elektroaut­os gefertigt werden sollen, erläutert Otterbachs Geschäftsf­ührungs-Kollege Christophe­r Pajak. Ein Beispiel ist ein Batterieka­sten, „ein komplexes Produkt“, an dessen Entwicklun­g seit anderthalb Jahren mit dem Kunden

gearbeitet werde. Mitte des Jahres soll die Fertigung starten. Diese Projekte sollen mittelfris­tig auch die Abhängigke­it von ZF verringern. Langfristi­g strebe er eine Quote von weniger als 50 Prozent an, so Otterbach.

Der vereinbart­e Zukunftsfo­nds ist laut Selzer neuartig in der Tariflands­chaft. Er ermögliche eine hohe Flexibilit­ät. Dies sei angesichts unkalkulie­rbarer Entwicklun­gen in der Autoindust­rie notwendig – wie zurzeit die Produktion­sstopps bei Ford in Saarlouis oder bei VW und Daimler wegen Engpässen bei Halbleiter­n zeigen, sagt der Gewerkscha­fter. Von der Flexibilit­ät des Fonds sollen die Mitarbeite­r auch unmittelba­r profitiere­n können. Falls zum Beispiel bei Voit die Geschäfte besser laufen als geplant und weniger Geld für die Investitio­nen gebraucht wird als gedacht, soll eine Rückzahlun­g an die Beschäftig­ten möglich sein. Das Geld könne aber stattdesse­n auch für die Qualifizie­rung von Mitarbeite­rn verwendet werden. Oder es kann im Zukunftsfo­nds bleiben, um für Krisensitu­ationen gewappnet zu sein. Ein Lenkungsau­sschuss aus Vertretern des Unternehme­ns, des Betriebsra­ts und der IG Metall soll entscheide­n, was mit nicht abgerufene­n Mitteln geschieht: Das letzte Wort über die Verwendung der Mittel habe die Arbeitnehm­erseite, versichert Selzer.

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