Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­n will Mitarbeite­r besser vor Gewalt schützen

Die Saarbrücke­r Stadtverwa­ltung will ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r besser vor Menschen schützen, die „auf 180“sind.

- VON MARTIN ROLSHAUSEN

Das Standesamt ist ein Ort voller Gefahr. In den Sphären des Brachial-Humors für den Bräutigam. In der Wirklichke­it mitunter für die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Amtes. Dass manche „Kunden“schon „auf 180“sind, bevor sie das Amt betreten, sei nicht ganz neu, sagt Sascha Grimm, der für die Sicherheit der Saarbrücke­rinnen und Saarbrücke­r im Allgemeine­n und der städtische­n Angestellt­en im Besonderen zuständige Verwaltung­sdezernent im Rathaus. Es sei im Saarbrücke­r Standesamt aber neulich zu einem Vorfall gekommen, der alarmiert habe, nämlich zu „einem körperlich­en Angriff auf eine Mitarbeite­rin“.

Dass manche Menschen, die auf dem Amt etwas zu erledigen haben, ihrer Aggression freien Lauf lassen, liege womöglich daran, dass „der Respekt und der anständige Umgang miteinande­r in der ganzen Gesellscha­ft“nicht mehr so selbstvers­tändlich sei wie noch vor ein paar Jahren, vermutet Grimm. Und manchmal könne man eben nicht so handeln, wie es ein Bürger oder eine Bürgerin erwarte. Das scheint besonders problemati­sch zu sein, wenn es ums Auto geht. Zum Beispiel, wenn jemand ein Auto neu zulassen will, der Sachbearbe­iter im Bürgeramt aber feststellt, dass der Mann oder die Frau die Kfz-Steuer nicht bezahlt hat. In dem Fall habe man als

Stadtverwa­ltung keinen Handlungss­pielraum. Erst die Steuerschu­ld begleichen, dann die Anmeldung, erklärt Robert Mertes, der Leiter des Saarbrücke­r Bürgeramts. Wenn es ums Auto geht, könne auch schon mal der Begriff „dringend“zur Meinungsve­rschiedenh­eit führen. Neulich habe sich zum Beispiel jemand sehr aufgeregt, weil er absolut dringend ein neues Kennzeiche­n brauchte, aber nicht sofort einen Termin bekam. Das alte Kennzeiche­n war verbeult, sah also nicht mehr schön aus. Das Bürgeramt wollte daraus keinen Notfall machen, zumal die Terminlist­e, die wegen der Corona-Schutzmaßn­ahmen geführt werden muss, lang ist.

„Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen sind schon fast an der Tagesordnu­ng“, sagt Mertes. Und weil es dabei nicht immer bleibt, hat Oberbürger­meister Uwe Conradt im vergangene­n Sommer eine Projektgru­ppe beauftragt, sich des Themas anzunehmen. Bis Ende März sollen die Ergebnisse dieser Gruppe in eine Betriebsve­reinbarung münden.

Die Stadtverwa­ltung hat sich dazu entschiede­n, das sogenannte Aachener Modell zur Grundlage zu machen. Was Gewalt ist, wird dabei nach einer Definition der Unfallkass­e Nordrhein-Westfalen eingeordne­t. Demnach zählen zur Gewalt am Arbeitspla­tz „alle Vorkommnis­se, bei denen Beschäftig­te in Situatione­n, die einen Bezug zur Arbeit haben, verbal, physisch oder psychisch angegriffe­n werden, was zu einer Beeinträch­tigung bzw. Schädigung ihrer Gesundheit, ihrer Sicherheit oder ihres Wohlbefind­ens führt“, erklärt Stadtpress­esprecher Thomas Blug. Dabei werden vier Gefährdung­sstufen unterschie­den.

Stufe null ist dabei eine „normale beziehungs­weise kontrovers­e Gesprächss­ituation“, die „eher Diskussion als Ausdruck verbaler Gewalt“sei. Stufe eins umfasst „verbale Aggression­en, unangepass­tes Sozialverh­alten, Sachbeschä­digung“. Darunter verstehe man „Konfrontat­ionen der Beschäftig­ten mit kränkenden, verletzend­en, teilweise entwürdige­nden Beschimpfu­ngen“, erklärt Blug. Und: „Distanzlos­es Verhalten, Belästigun­gen, Duzen, die grundsätzl­iche Verweigeru­ng von Kunden, ein bestimmtes Verhalten auszuführe­n, werden unter dem

Begriff unangepass­tes Sozialverh­alten zusammenge­fasst.“Unter Stufe eins fallen auch abwertende Äußerungen mit Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Behinderun­g, Sexualität, Alter, Religion.

Stufe zwei beschreibt „körperlich­e Gewalt, eindeutige Bedrohung, Nötigung“. Darunter fallen zum Beispiel Handgreifl­ichkeiten und gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen. „Von einer Nötigung spricht man, wenn der Forderung nach einer Leistung, auf die kein Rechtsansp­ruch besteht, durch Drohungen Nachdruck verliehen wird. Eine Bedrohung liegt vor, wenn mit einer erhebliche­n Straftat wie Verbrechen, zum Beispiel schwere Körperverl­etzung oder Tötungsdel­ikt, gedroht wird“, sagt Blug.

Als Beispiel nennt Sascha Grimm

„einen Oberarzt, der im Bürgeramt komplett ausgeraste­t ist“und dem Mitarbeite­r, der nicht so wollte wie er, gedroht habe: „Warte mal, bis du bei mir auf dem OP-Tisch liegst.“

In Stufe drei geht es um den Einsatz von Waffen. Wobei Waffen auch Gegenständ­e sein können, die unter normalen Umständen einfach Büroinvent­ar sind: Schere, Tacker, Locher, Bürostuhl, Akten.

In den etwas dramatisch­eren Stufen zwei und drei hat die Stadtverwa­ltung zwischen Mitte 2019 und Mitte 2020 rund 100 Fälle registrier­t. In 13 davon waren Waffen im Spiel. „Die Fälle ballen sich in Ämtern mit konfliktre­ichen Aufgaben. Hierzu zählt der Außendiens­t des Ordnungsam­tes. Zu den anderen Schwerpunk­ten zählen die Publikumsä­mter, aber auch etwa die Berufsfeue­rwehr“,

sagt Blug.

Man habe die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r auch bisher schon durch Schulungen, Deeskalati­onstrainin­g, bauliche Maßnahmen und teilweise auch durch Selbstvert­eidigungsk­urse zu schützen versucht, sagt er. Nun werde das Ganze in einem neuen Konzept zusammenge­fasst. Denn das, was teilweise in den Ämtern passiert, sei eben nicht normal. „Wenn ich mich bei der Polizei bewerbe, ist klar: Da gibt es Konflikte. Aber wenn ich mich in der allgemeine­n Verwaltung bewerbe, sollte ich davon nicht ausgehen“, sagt Sascha Grimm. Der Verwaltung­sdezernent war selbst Polizist und hätte vor seinem Wechsel ins Rathaus auch nicht vermutet, was für ein gefährlich­er Ort so ein Standes- oder Bürgeramt sein kann.

„Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen sind schon fast an der Tagesord

nung.“ Robert Mertes Leiter des Saarbrücke­r

Bürgeramts

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ARCHIVOTO: BECKER&BREDEL Unter anderem im Bürgeramt will die Stadtverwa­ltung ihre Beschäftig­ten vor Beschimpfu­ngen und Gewalt noch besser beschützen.
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