Saarbrücken will Mitarbeiter besser vor Gewalt schützen
Die Saarbrücker Stadtverwaltung will ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser vor Menschen schützen, die „auf 180“sind.
Das Standesamt ist ein Ort voller Gefahr. In den Sphären des Brachial-Humors für den Bräutigam. In der Wirklichkeit mitunter für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes. Dass manche „Kunden“schon „auf 180“sind, bevor sie das Amt betreten, sei nicht ganz neu, sagt Sascha Grimm, der für die Sicherheit der Saarbrückerinnen und Saarbrücker im Allgemeinen und der städtischen Angestellten im Besonderen zuständige Verwaltungsdezernent im Rathaus. Es sei im Saarbrücker Standesamt aber neulich zu einem Vorfall gekommen, der alarmiert habe, nämlich zu „einem körperlichen Angriff auf eine Mitarbeiterin“.
Dass manche Menschen, die auf dem Amt etwas zu erledigen haben, ihrer Aggression freien Lauf lassen, liege womöglich daran, dass „der Respekt und der anständige Umgang miteinander in der ganzen Gesellschaft“nicht mehr so selbstverständlich sei wie noch vor ein paar Jahren, vermutet Grimm. Und manchmal könne man eben nicht so handeln, wie es ein Bürger oder eine Bürgerin erwarte. Das scheint besonders problematisch zu sein, wenn es ums Auto geht. Zum Beispiel, wenn jemand ein Auto neu zulassen will, der Sachbearbeiter im Bürgeramt aber feststellt, dass der Mann oder die Frau die Kfz-Steuer nicht bezahlt hat. In dem Fall habe man als
Stadtverwaltung keinen Handlungsspielraum. Erst die Steuerschuld begleichen, dann die Anmeldung, erklärt Robert Mertes, der Leiter des Saarbrücker Bürgeramts. Wenn es ums Auto geht, könne auch schon mal der Begriff „dringend“zur Meinungsverschiedenheit führen. Neulich habe sich zum Beispiel jemand sehr aufgeregt, weil er absolut dringend ein neues Kennzeichen brauchte, aber nicht sofort einen Termin bekam. Das alte Kennzeichen war verbeult, sah also nicht mehr schön aus. Das Bürgeramt wollte daraus keinen Notfall machen, zumal die Terminliste, die wegen der Corona-Schutzmaßnahmen geführt werden muss, lang ist.
„Beschimpfungen und Beleidigungen sind schon fast an der Tagesordnung“, sagt Mertes. Und weil es dabei nicht immer bleibt, hat Oberbürgermeister Uwe Conradt im vergangenen Sommer eine Projektgruppe beauftragt, sich des Themas anzunehmen. Bis Ende März sollen die Ergebnisse dieser Gruppe in eine Betriebsvereinbarung münden.
Die Stadtverwaltung hat sich dazu entschieden, das sogenannte Aachener Modell zur Grundlage zu machen. Was Gewalt ist, wird dabei nach einer Definition der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen eingeordnet. Demnach zählen zur Gewalt am Arbeitsplatz „alle Vorkommnisse, bei denen Beschäftigte in Situationen, die einen Bezug zur Arbeit haben, verbal, physisch oder psychisch angegriffen werden, was zu einer Beeinträchtigung bzw. Schädigung ihrer Gesundheit, ihrer Sicherheit oder ihres Wohlbefindens führt“, erklärt Stadtpressesprecher Thomas Blug. Dabei werden vier Gefährdungsstufen unterschieden.
Stufe null ist dabei eine „normale beziehungsweise kontroverse Gesprächssituation“, die „eher Diskussion als Ausdruck verbaler Gewalt“sei. Stufe eins umfasst „verbale Aggressionen, unangepasstes Sozialverhalten, Sachbeschädigung“. Darunter verstehe man „Konfrontationen der Beschäftigten mit kränkenden, verletzenden, teilweise entwürdigenden Beschimpfungen“, erklärt Blug. Und: „Distanzloses Verhalten, Belästigungen, Duzen, die grundsätzliche Verweigerung von Kunden, ein bestimmtes Verhalten auszuführen, werden unter dem
Begriff unangepasstes Sozialverhalten zusammengefasst.“Unter Stufe eins fallen auch abwertende Äußerungen mit Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Behinderung, Sexualität, Alter, Religion.
Stufe zwei beschreibt „körperliche Gewalt, eindeutige Bedrohung, Nötigung“. Darunter fallen zum Beispiel Handgreiflichkeiten und gewalttätige Auseinandersetzungen. „Von einer Nötigung spricht man, wenn der Forderung nach einer Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, durch Drohungen Nachdruck verliehen wird. Eine Bedrohung liegt vor, wenn mit einer erheblichen Straftat wie Verbrechen, zum Beispiel schwere Körperverletzung oder Tötungsdelikt, gedroht wird“, sagt Blug.
Als Beispiel nennt Sascha Grimm
„einen Oberarzt, der im Bürgeramt komplett ausgerastet ist“und dem Mitarbeiter, der nicht so wollte wie er, gedroht habe: „Warte mal, bis du bei mir auf dem OP-Tisch liegst.“
In Stufe drei geht es um den Einsatz von Waffen. Wobei Waffen auch Gegenstände sein können, die unter normalen Umständen einfach Büroinventar sind: Schere, Tacker, Locher, Bürostuhl, Akten.
In den etwas dramatischeren Stufen zwei und drei hat die Stadtverwaltung zwischen Mitte 2019 und Mitte 2020 rund 100 Fälle registriert. In 13 davon waren Waffen im Spiel. „Die Fälle ballen sich in Ämtern mit konfliktreichen Aufgaben. Hierzu zählt der Außendienst des Ordnungsamtes. Zu den anderen Schwerpunkten zählen die Publikumsämter, aber auch etwa die Berufsfeuerwehr“,
sagt Blug.
Man habe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch bisher schon durch Schulungen, Deeskalationstraining, bauliche Maßnahmen und teilweise auch durch Selbstverteidigungskurse zu schützen versucht, sagt er. Nun werde das Ganze in einem neuen Konzept zusammengefasst. Denn das, was teilweise in den Ämtern passiert, sei eben nicht normal. „Wenn ich mich bei der Polizei bewerbe, ist klar: Da gibt es Konflikte. Aber wenn ich mich in der allgemeinen Verwaltung bewerbe, sollte ich davon nicht ausgehen“, sagt Sascha Grimm. Der Verwaltungsdezernent war selbst Polizist und hätte vor seinem Wechsel ins Rathaus auch nicht vermutet, was für ein gefährlicher Ort so ein Standes- oder Bürgeramt sein kann.
„Beschimpfungen und Beleidigungen sind schon fast an der Tagesord
nung.“ Robert Mertes Leiter des Saarbrücker
Bürgeramts