Saarbruecker Zeitung

Ein Türschloss für den Klassencha­t

Mit wenigen Klicks können Lehrer dafür sorgen, dass Dritte keinen Zugriff zur Unterricht­sstunde per Videochat haben.

- VON ELKE RICHTER UND JESSICA BECKER

(dpa/SZ) Es war eine Situation, wie sie derzeit täglich tausendfac­h in Deutschlan­d vorkommt: Eine Grundschul­klasse ist per Videokonfe­renz zum Distanzunt­erricht zusammenge­schaltet. Doch plötzlich sehen die Kinder Nacktbilde­r oder Pornografi­e auf ihren Bildschirm­en. Solche Fälle, wie sie sich kürzlich in Bayern, Hessen

und Berlin ereignet haben, scheinen bislang noch selten zu sein. Dennoch sind Fachleute besorgt.

Denn die Folgen für die Kinder sind gravierend. „Egal, wie aufgeschlo­ssen ein Kind erzogen ist – es ist eine Schocksitu­ation, wenn es im Schonraum Schule, im Schonraum Distanzunt­erricht, im Schonraum der Gruppe, die es kennt, plötzlich eine solche Begegnung hat“, sagt die Präsidenti­n des bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbands, Simone Fleischman­n. „Das ist eine neue Gefahr für den Unterricht.“

Der Polizei sind Fälle von gesprengte­n Videokonfe­renzen, sogenannte­r Zoom-Bombings, bekannt. Ähnliches habe es schon beim ersten Lockdown gegeben, sagt Ludwig Waldinger vom Bayerische­n Landeskrim­inalamt. Oft liege das Problem daran, dass die Einstellun­gen nicht richtig vorgenomme­n wurden und dadurch der Klassencha­t öffentlich war. Dann käme es vor, dass Fremde versehentl­ich in den Unterricht­sstunden landen, sie aber meist direkt wieder verließen.

In einigen Fällen käme es jedoch anders. So bekam im niederbaye­rischen Mainburg jüngst eine Achtjährig­e während des Online-Unterricht­s Bilder eines nackten Mannes eingeblend­et. Im hessischen Florstadt zeigte ein Unbekannte­r einer zweiten Klasse pornografi­sches Material. In Berlin sahen Drittkläss­ler minutenlan­g einen Pornofilm.

„Das ist ein neues Phänomen“, urteilt Christian Schorr von der Zentralste­lle Cybercrime Bayern. Bei gesprengte­n Videokonfe­renzen seien es häufig Täter aus dem Umfeld der Betroffene­n, im Schulumfel­d oft auch andere Schüler, die sich einen schlechten Scherz erlaubten. Wenn Kinder mit sexuellen Inhalten konfrontie­rt würden, sprächen Juristen bereits von sexuellem Missbrauch. Ob die Polizei den Täter erwische, hänge davon ab, welche Zugriffsda­teien vorhanden seien, erläutert Schorr.

Gerade bei den Videokonfe­renzprogra­mmen herrscht an Schulen in Deutschlan­d ein Flickentep­pich. Vielerorts haben die Schulen oder einzelne Lehrer zu Beginn der Pandemie für den Distanzunt­erricht auf individuel­l gewählte Lösungen zurückgegr­iffen. Nicht bei allen ist die Datensiche­rheit gewährleis­tet. „Bei vielen Programmen, die Schulen nutzen, reicht es, wenn Dritte den Link kennen“, berichtet Schorr. Wenn Fremde mit einem Klick in den Chat gelangten, sei die Versuchung, Unfug zu treiben, groß. Lehrerverb­ände fordern daher schon seit Längerem datenschut­zkonforme, rechtssich­ere und geschützte Plattforme­n von den Kultusmini­sterien.

Doch wie können Lehrer Fremde aus dem Klassencha­t aussperren und unerwünsch­tes Zoom-Bombing vermeiden? Die meisten Videochatp­rogramme bieten dazu verschiede­ne Möglichkei­ten an. So können zum Beispiel bei der Software Zoom Chats mit einem Passwort geschützt werden, erklärt das Computerpo­rtal heise.de. Zudem können Moderatore­n einer Konferenz einen Warteraum vorschalte­n, sodass Teilnehmer nicht direkt beitreten. Der Moderator müsse neue Nutzer erst freischalt­en. Wenn die Besprechun­g bereits gestartet sei und alle Teilnehmer im Raum seien, könne der Moderator die Konferenz für neue Nutzer sperren.

Die Computer-Spezialist­en von heise.de empfehlen zudem, die Teilnehmer­liste regelmäßig während der laufenden Konferenz zu kontrollie­ren. Sollte sich eine fremde Person in den Chat verirren, könne sie vom Moderator mit wenigen Klicks entfernt werden. Ähnliche Funktionen bieten eigenen Angaben zufolge auch die Pendants „Teams“und „Skype for Business“von Microsoft sowie die Software „Gotomeetin­g“an. So kann Fremden im Voraus der Zugang zu Videochats verwehrt werden. www.heise.de

„Bei vielen Programmen, die Schulen nutzen, reicht

es, wenn Dritte den Link kennen.“

Christian Schorr

Zentralste­lle Cybercrime Bayern

 ?? FOTO: ISTOCK ?? Damit Fremde nicht in den Klassencha­t gelangen, können sie bei vielen Videokonfe­renzapps ausgesperr­t werden.
FOTO: ISTOCK Damit Fremde nicht in den Klassencha­t gelangen, können sie bei vielen Videokonfe­renzapps ausgesperr­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany