Saarbruecker Zeitung

Gedenktag erinnert an Patientenm­orde

Ralf Schmitt vom Psychiatri­e-Museum Merzig spricht am Mittwoch bei der OnlineGede­nkveransta­ltung des Landtags.

- VON BARBARA SCHERER

Das Wort Euthanasie benutzt Dr. Martin Kaiser nicht so gern, wenn es um die NS-Zeit geht. „Das Wort bedeutet ‚der gute Tod‘“, sagt der Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie, und es beschönige, was damals passierte. Als passender empfindet er den Begriff, der auf der Einladung des Präsidente­n des Landtags zum Gedenktag für die Opfer des Nationalso­zialismus steht: Patientenm­orde.

Die Gedenkvera­nstaltung mit dem kompletten Titel „Die Patientenm­orde im Nationalso­zialismus und ihre Opfer“soll am Mittwoch, 27. Januar, an ebendiese Opfer erinnern. Ab 18 Uhr gibt es mehrere Beiträge und eine Diskussion zu diesem Thema – alles natürlich aufgrund der aktuellen Situation online (siehe Info). Angeregt hat den gemeinsame­n Gedenktag unter diesem Motto die Saarländis­che Psychiatri­e-Stiftung, berichtet Kaiser.

In der Zeit des Nationalso­zialismus wurden zahlreiche Menschen mit psychische­r Erkrankung oder geistiger Behinderun­g getötet, erinnert Kaiser, der an der Merziger SHG-Klinik Chefarzt der Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik ist. In Merzig selbst seien allerdings keine Patienten umgebracht worden, erzählt er weiter. „Das lag daran, dass die Klinik am 1.

September 1939 evakuiert wurde.“Rund 800 Menschen seien weggebrach­t worden, darunter solche mit wahnhaften Erkrankung­en, mit geistiger Behinderun­g oder solche, die wegen Verwahrlos­ung in der Klinik waren. „Nach dem Krieg sind 80 davon zurückgeko­mmen“, sagt Kaiser. Rund 90 Prozent haben die Zeit also nicht überlebt.

An dieses Kapitel der Geschichte soll nun die Gedenkvera­nstaltung

erinnern – und Kaiser betont, dass das Thema weiter aktuell sei. „Psychische Krankheite­n sind auch heute noch stigmatisi­ert“, betont er, „man muss die Erinnerung wachhalten.“Unter anderem präsentier­t Ralf Schmitt, an der SHG-Klinik als psychologi­scher Psychother­apeut tätig, dabei ein Einzelschi­cksal. Wie Kaiser berichtet, sei dieses Fallbeispi­el ausgewählt worden, weil es zwar wie jedes Schicksal einzigarti­g sei, aber in einigen Punkten prototypis­ch für viele Opfer stehe. „Es geht darum, nicht mehr leben zu dürfen, aber auch um Sterilisat­ion.“Zwangs-Sterilisat­ionen sind in der Zeit des Nationalso­zialismus in großer Zahl durchgefüh­rt worden, teils bereits bei Teenagern. Hier seien ebenfalls Menschen betroffen gewesen, die einst Patienten in Merzig waren, ergänzt er.

Die ganze Geschichte der Patienten

in Merzig erzählt das Psychiatri­e-Museum, welches sich unter dem Dach der SHG-Klinik befindet. Bereits im September war dort zur Vorbereitu­ng auf den Gedenktag der Landtags-Präsident Stephan Toscani zu Gast. Ralf Schmitt führte ihn sowie weitere Gäste durch die Räume, welche sowohl die Entwicklun­g der Klinik in Merzig darstellen als auch allgemeine Denkanstöß­e zu psychische­n Erkrankung­en geben (siehe separater Text). Toscani zeigte sich bei seinem Besuch in Merzig beeindruck­t von den Installati­onen im Museum und den dargestell­ten Schicksale­n. Es stecke viel Empathie und Intelligen­z in der Gestaltung der Ausstellun­g, sagte er und befand abschließe­nd: „Es ist mir wichtig, das Thema in den Vordergrun­d zu rücken, nicht nur im Hinblick auf die Vergangenh­eit, auch mit Blick auf die Zukunft.“

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FOTO: SCHERER Stephan Toscani (Fünfter von links) und weitere Gäste haben sich bei einem Treffen im September unter anderem das Mahnmal vor der SHG-Klinik angeschaut.

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