Heftige Debatte um Schuldenbremse
Einen Offenbarungseid nennt man es, wenn jemand bekennt: Sorry, ich kann es nicht mehr zurückzahlen. Der Vorstoß von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), die grundgesetzliche Schuldenbremse für eine Weile auszusetzen, ist, wenn er denn nicht nur als Testballon gedacht war, ein Offenbarungseid von höchster Stelle. Aber stimmt die Aussage? Und wenn ja, ist eine Grundgesetzänderung der einzige und der richtige Ausweg?
Bis zu acht Milliarden Euro im Jahr müssen demnächst jährlich aufgebracht werden, um die wegen Corona aufgenommenen Schulden abzustottern. Das ist bei einem Haushalt von rund 400 Milliarden Euro zwar anstrengend, aber nicht utopisch. Hinzu kommt: Einnahmen und Ausgaben müssen nicht immer so bleiben, wie sie sind. Braun verbindet seinen Vorstoß jedoch mit der Forderung, es dürften keinerlei Steuern erhöht werden. Das ist Ideologie. Warum sollen nicht die Superreichen mit einer Corona-Sonderabgabe an den außergewöhnlichen Lasten beteiligt werden? Und warum kann man die skandalös niedrige Erbschaftssteuer nicht endlich reformieren? Oder das Dienstwagenprivileg abschaffen? Es ist möglich, den Haushalt zu entlasten, ohne die Wirtschaft totzusparen. Dazu müsste die Union freilich alte Tabus aufgeben.
Vorgeblich will Braun die Schuldenbremse nur vorübergehend lockern. Es freuen sich die Grünen, an die das ein Koalitionsangebot ist. Ebenso Sozialdemokraten und Linke. Von dieser Seite wird bereits der nächste Schritt ins Gespräch gebracht, die Aufgabe auch der europäischen Schuldenregeln. Man sieht: Wer hier den kleinen Finger gibt, ist schnell die ganze Hand los. Die Schuldenbremse im Grundgesetz war eine historische Leistung der großen Koalition im Jahre 2009. Und sie war auch Markenkern von CDU und CSU. Das kriegt man nicht wieder, wenn man es einmal aufgegeben hat.
Dass es eine „Jahrhundert“-Krise gibt, steht außer Zweifel. Aber die Schuldenbremse erlaubt bereits jetzt ein nahezu beliebiges Übertreten der Kredit-Grenzen in Notsituationen. Nur verlangt sie eben gleichzeitig einen Plan, wie diese Schulden wieder zurückgezahlt werden. Die Schuldenbremse ist also eine verbindlich gestaltete Verpflichtung, um kommenden Generationen ein ordentlich bestelltes Haus zu hinterlassen. Wird sie gelockert, entfällt jeglicher Druck, wieder so schnell wie möglich zu einer soliden Haushaltspolitik zurückzukehren. Dann sind die Schleusen offen. Wenn Deutschland zu Beginn der Corona-Krise nicht so wenig Schulden gehabt hätte, wie es dank Schuldenbremse hatte, wäre die Debatte jetzt eine ganz andere. Dann stünde das Land vor einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe. Dass die Bundesregierung überhaupt in so hohem Maße Hilfsgelder mobilisieren konnte, lag einzig an ihrer vernünftigen Finanzpolitik des letzten Jahrzehnts. Das gibt man nicht so einfach beim ersten ernsthaften Gegenwind auf. Da ringt man viel härter mit sich, ehe man den Offenbarungseid erklärt. Corona wird auch nicht die letzte Großkrise sein. Besser, man hat auch künftig noch Munition für die Bazooka im Schrank.