Erstmals Virus-Mutation im Saarland bestätigt
Forscher melden vier Fälle der Corona-Variante im Kreis St. Wendel. Um die Ausbreitung zu stoppen, schließt das Land schärfere Corona-Regeln nicht aus.
(gda/ter/fu) Die leichter übertragbare Mutation des Coronavirus ist im Saarland angekommen. Das teilten Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und die Direktorin des Instituts für Virologie an der Homburger Uniklinik, Sigrun Smola, am Dienstag mit. Bislang sei bei vier Proben eine Mutation nachgewiesen worden. Dabei handele es sich, sagte Smola, „hochwahrscheinlich“um die britische Variante des Erregers, die laut Studien der Uni Oxford um 35 Prozent ansteckender ist.
Smola und der Saarbrücker Genetiker Jörn Walter suchen seit vergangener Woche in einem neuen Projekt nach Corona-Mutationen im Saarland. Seitdem wurden 160 Proben untersucht. Die vier positiven Befunde kommen aus dem Kreis St. Wendel. Landrat Udo Recktenwald (CDU) zufolge handelt es sich bei den Infizierten um drei Mitglieder einer Familie sowie deren Bekannten.
Hans sagte, die Suche nach Virus-Mutationen werde ausgeweitet: „Wir haben beschlossen, dass wir alle positiven PCR-Tests im Saarland auf die englische, auf die südafrikanische und die brasilianische Variante von Sars-CoV-2 untersuchen wollen.“Das seien bis zu 200 positive Proben pro Werktag. Auch vor diesem Hintergrund mahnte Smola, die Fallzahlen weiter zu reduzieren: „Kontaktbeschränkungen sind weiterhin extrem wichtig, um überhaupt ein solches Screening zu ermöglichen“, sagte sie.
Hans bekräftigte noch einmal, dass es das Ziel sei, den Sieben-Tage-Wert der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner bis Mitte Februar auf 50 zu senken – am Dienstag lag dieser Wert bei 110,8. „Wir wollen präventiv dafür sorgen, dass sich die Mutanten des Virus nicht schlagartig ausbreiten, wie wir es in Großbritannien und Irland gesehen haben“, sagte der Ministerpräsident. Es sei im Moment „völlig unmöglich“, von Lockerungen zu sprechen. Hans schloss zudem weitere Verschärfungen nicht aus: „Auch Ausgangsbeschränkungen können am Ende eine Lösung sein.“Zunächst aber hoffe man, dass die kürzlich verschärften Homeoffice-Regeln Wirkung zeigen.
SAARBRÜCKEN/HOMBURG/ST. WENDEL
Es war eine Meldung, mit der zu rechnen war. Und doch überraschte Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) am Dienstag mit der Nachricht, dass eine Mutation des Coronavirus jetzt auch im Saarland entdeckt wurde. Der Regierungschef unterrichtete am Mittag die Öffentlichkeit – gemeinsam mit Professorin Sigrun Smola, der Direktorin des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum in Homburg. Dort waren die Experten bei der Sequenzierung positiver Proben in vier Fällen auf eine Virusmutation gestoßen, bei der es sich laut Smola „hochwahrscheinlich“um die als hochansteckend geltende britische Variante B.1.1.7. handelt – das werde nun noch genauer untersucht. Die Befunde „kommen aus dem Bereich St. Wendel“, erklärte Ministerpräsident Hans.
Der St. Wendeler Landrat Udo Recktenwald (CDU) erfuhr am Morgen von dem Nachweis der Mutante in seiner Region. Ihm zufolge soll es sich bei den infizierten Personen um drei Mitglieder einer Familie aus St. Wendel sowie einen Bekannten handeln. Innerhalb der Familie war laut Recktenwald bereits in der letzten Woche ein Corona-Fall aufgetreten. Daher galten die Angehörigen als Kontaktpersonen, deren Test auf Sars-Cov-2 nun positiv ausfiel.
Ob die Corona-Mutation auch beim ersten Fall eine Rolle spielte, ist nach Angaben von Recktenwald noch nicht geklärt. Der Landrat sagte, dass die Kontaktermittler des Gesundheitsamtes jetzt „noch intensiver bemüht sind zu schauen, wo der Ursprung“der Infektionskette liegt. Offenbar gibt es erste Vermutungen, wie die Virusvariante ins Nordsaarland gelangt sein könnte. Dass die positiv getesteten Familienmitglieder bereits als Kontaktpersonen eingestuft worden waren, könnte unter Umständen eine weitere Ausbreitung verhindert haben.
Laut Pharmaindex „Gelbe Liste“wurde die britische Mutation mittlerweile in 31 Ländern nachgewiesen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Variante mittelfristig die dominante Form in Deutschland werden wird. Ihre Durchsetzungskraft verdankt B.1.1.7. einer erhöhten Ansteckungsrate. Weil sie gleich mehrere Veränderungen an ihrem Spike-Protein hat, kann die Mutation leichter in Zellen eindringen und sich entsprechend schneller vermehren und weiterverbreiten.
Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, verwies in einem Spiegel-Interview vom Wochenende auf eine neue Studie aus Oxford, deren „wirklich solide Daten“zeigten, dass die Mutante B.1.1.7 bis zu 35 Prozent infektiöser sei als der Wildtyp des Virus. Um den Mutationen des Coronavirus auf die Spur zu kommen, sollen laut Staatskanzlei „ab sofort alle positiven PCR-Tests im Saarland auf die englische, südafrikanische und brasilianische Variante des Corona-Virus untersucht“werden. Das beschlossen Ministerpräsident Hans und sein Kabinett am Dienstagmorgen. „Die Corona-Mutationen alarmieren uns sehr“, ließ Hans verlauten. Man sei eines der ersten Bundesländer, das umfassend nach den drei als gefährlich eingestuften Mutationen sucht. „Um zu verhindern, dass sich diese Varianten weiter ausbreiten, ist es unerlässlich, dass wir zuverlässig wissen, wie weit sie auch bei uns bereits verbreitet sind“, sagte der Ministerpräsident.
Der britische Premierminister Boris Johnson brachte vor wenigen Tagen zudem eine neue Gefahr ins Spiel: Er behauptete, die neue Variante aus Großbritannien könne mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate in Verbindung gebracht werden. Der wissenschaftliche Chef-Berater der britischen Regierung, Patrick Vallance, gab sogar an, die neue Variante könne rund 30 Prozent tödlicher sein als das ursprüngliche Virus.
Hintergrund sind Auswertungen der Expertengruppe Nervtag (The New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group). Sie hatte gleich vier verschiedene Studien ausgewertet, in denen unter anderem die Sterblichkeitsrate Infizierter analysiert wurde. Die Wissenschaftler kommen nach den Auswertungen zu dem Schluss, dass die Sterblichkeit durch die Variante leicht erhöht sei. Konkret geht Nervtag davon aus, dass von 1000 mit B.1.1.7 infizierten 60-Jährigen 13 bis 16 sterben. Bei den bisher bekannten Varianten lag die Rate bei zehn von 1000.
Allerdings sind die Auswertungen differenziert zu bewerten, vor allem wegen der geringen Anzahl gesammelter Daten. Denn das Konsortium konnte bisher nur acht Prozent der Corona-Toten in die Analyse einbeziehen. Außerdem sterben Covid-19-Patienten erst Wochen nach ihrer Infektion. Dies könnte die Datenlage zusätzlich beeinflussen. Die Wissenschaft ist sich einig, dass es für tiefergehende Aussagen weitere Untersuchungen braucht.
Doch allein die höhere Ansteckungsgefahr alarmiert die Politik. Einer Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen erteilte Hans eine klare Absage. Eher könne es sein, dass noch einmal über Verschärfungen nachgedacht werden muss, um das Ziel von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zu erreichen. Davon ist das Saarland mit einem Inzidenzwert von 110,8 derzeit weit entfernt – vor allem sinkt der landesweite Inzidenzwert nun schon seit anderthalb Wochen nicht mehr. Am stärksten betroffen sind derzeit der Kreis St. Wendel (141,4) sowie der Regionalverband Saarbrücken (136).