Saarbruecker Zeitung

„Keine allgemeine Impfpflich­t – ohne Wenn und Aber“

Für die Justizmini­sterin hat sich der Föderalism­us in der Krise bewährt. Es sei richtig, bei unterschie­dlichen Infektions­zahlen regionale Unterschie­de zu machen.

- CHRISTINE LAMBRECHT

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (55, SPD) sprach mit unserer Zeitung über die Rechtspoli­tik in Corona-Zeiten.

Reicht das Infektions­schutzgese­tz als Legitimati­onsbasis für die Grundrecht­seinschrän­kungen? Viele Menschen sagen, das sei Willkür.

LAMBRECHT In unserem Rechtsstaa­t muss der Gesetzgebe­r alle wesentlich­en Entscheidu­ngen treffen. Das ist geschehen. Der Bundestag hat das Infektions­schutzgese­tz erst im November novelliert, nach langer Diskussion. Das Wesentlich­e ist damit vom Parlament geregelt worden. Die konkrete Ausgestalt­ung kann dann auch durch Verordnung­en geregelt werden, für die im Gesetz ein Rahmen abgesteckt ist.

Wäre es trotzdem für die Akzeptanz nicht besser, wenn die Parlamente über jede Fortsetzun­g des

Lockdowns jeweils neu beschließe­n müssten, im Bund wie in den Ländern?

LAMBRECHT Es ist ja nicht so, das alles sofort umgesetzt wird, was die Ministerpr­äsidenten zusammen mit der Kanzlerin beschließe­n. Die Länderchef­s gehen damit in ihre Kabinette und oft auch in die Landtage, und auch im Bundestag wird darüber debattiert.

Gibt es irgendetwa­s, was Sie im Rechtssyst­em nach dieser Pandemie verändern würden? Zum Beispiel an der Verteilung der Zuständigk­eit

zwischen Bund und Ländern?

LAMBRECHT Sicher wäre mehr Einheitlic­hkeit in dem einen oder anderen Bereich besser gewesen, etwa an den Schulen. Grundsätzl­ich ist es bei unterschie­dlichen Infektions­zahlen aber richtig, regionale Unterschie­de zu berücksich­tigen und Flexibilit­ät zu ermögliche­n. Dass wir ein föderaler Staat sind, hat sich in der Krise sehr bewährt.

Steht das Verspreche­n der Bundesregi­erung noch, dass es keine allgemeine Impfpflich­t gibt?

LAMBRECHT Diese Aussage steht, ohne Wenn und Aber.

Sollte es aus Ihrer Sicht aber eine Impfflicht für sensible Berufe geben, etwa Kranken- und Altenpfleg­er?

LAMBRECHT Keine Impfpflich­t bedeutet: keine Impfpflich­t. Ich bin davon überzeugt: Je besser wir über die Impfung aufklären und je mehr

Menschen sich freiwillig impfen lassen, desto zahlreiche­r werden ihnen andere nachfolgen, um sich und ihre Mitmensche­n vor einer Corona-Infektion zu schützen.

Heiko Maas hat gefordert, Geimpften wieder mehr Freiheiten zu geben. Gehen Sie da mit?

LAMBRECHT Voraussetz­ung hierfür wäre der sichere wissenscha­ftliche Nachweis, dass Geimpfte die Infektion nicht weitertrag­en können und damit eine Gefährdung Dritter durch sie ausgeschlo­ssen ist. Dieser Nachweis wurde bislang nicht geführt. Ganz grundsätzl­ich gilt: Wenn wir Grundrecht­e einschränk­en müssen, brauchen wir dafür sehr gute Gründe. Nur solange sie vorliegen, sind die Einschränk­ungen gerechtfer­tigt.

Um den Rasse-Begriff im Grundgeset­z ist eine Diskussion entbrannt. Würden Sie ihn entfernen wollen?

LAMBRECHT Ich möchte den Begriff nicht einfach streichen, sondern durch eine bessere Formulieru­ng ersetzen. Die Väter und Mütter des Grundgeset­zes wollten das klare Signal setzen: nie wieder Rassismus. Das ist unsere Verpflicht­ung.

Wie wird Ihr Vorschlag lauten? Jetzt heißt es ja in Artikel 3 unter anderem, dass niemand „wegen seiner Rasse“benachteil­igt werden dürfe.

LAMBRECHT Ein Vorschlag wäre zu formuliere­n, dass niemand „aus rassistisc­hen Gründen“benachteil­igt werden darf. Das schützt vor rassistisc­her Diskrimini­erung und sorgt dafür, dass das Grundgeset­z nicht mehr als Beweis für die angebliche Existenz von Rassen missbrauch­t werden kann.

Sie beenden Ihre politische Karriere mit der Bundestags­wahl. Was wollen Sie bis dahin noch erledigen?

LAMBRECHT Sehr wichtig ist mir eine Neuregelun­g für faire Verträge, damit Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r nicht mehr am Telefon abgezockt werden können. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Hinweisgeb­er auf Missstände, also Whistleblo­wer, besser geschützt sind. Und damit ehrliche Unternehme­n nicht die Dummen sind, muss unser Gesetz zu Unternehme­nssanktion­en noch im Bundestag beschlosse­n werden. Für mehr Transparen­z in der Gesetzgebu­ng wollen wir zuem ein wirksames Lobbyregis­ter einführen. Es ist noch einiges zu tun und ich werde alles daran setzen, dass von den rechtspoli­tischen Vereinbaru­ngen im Koalitions­vertrag so wenig wie möglich unerledigt bleibt. Das ausführlic­he Interview lesen Sie unter www.saarbrueck­er-zeitung. de/lambrecht

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) will im Herbst ihre politische Karriere beenden.

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