Als das Coronavirus vor einem Jahr Deutschland erreichte
(dpa) Mit ihren Laptops unter dem Arm und ein paar persönlichen Dingen verließen die Menschen frühmorgens eilig das Gebäude: Homeoffice. Die rund 1200 Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Stockdorf bei München folgten vor einem Jahr dem dringlichen Aufruf der Firmenleitung. Spätnachts am 27. Januar 2020 hatte das bayerische Gesundheitsministerium den bundesweit ersten Corona-Fall gemeldet – ein Webasto-Mitarbeiter.
Keine 48 Stunden später schloss das Unternehmen die Tore – um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, das noch nicht den wissenschaftlichen Namen Sars-Cov-2 trug. Die Rede war damals von einer neuartigen Lungenkrankheit – der Name Covid-19 kam später.
„Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Empfehlungen von Behörden oder Wissenschaftlern. Wir haben die Lage in der Task Force diskutiert“, sagt Firmenchef Holger Engelmann im Rückblick. „Wir benötigten schnell eine effektive Maßnahme, und da habe ich gesagt: „Das machen wir jetzt einfach, wir schließen ab.“
Die Panik vor dem neuen Virus blieb zunächst lokal. Während in Stockdorf Menschen die Apotheken stürmten, wo Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmittel binnen eines Tages ausverkauft waren, feierten andere in angesagten Skiorten oder anderswo wie eh und je. Viele hielten das Vorgehen von Webasto und den Trubel um die ersten Corona-Fälle für völlig übertrieben. Seitdem haben sich weltweit etwa 100 Millionen Menschen infiziert. Mehr als zwei Millionen sind gestorben.
Als vor einem Jahr die ersten Patienten aus Stockdorf in der München Klinik Schwabing eintrafen, sah es zunächst fast nach Routine aus. Schließlich sei man fast jedes Jahr mit neuen Infektionskrankheiten konfrontiert, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der dortigen Klinik für Infektiologie, wo die ersten Corona-Patienten fast symptomfrei in Isolierzimmern landeten. Zwei Wochen blieb Webasto geschlossen. Mit diesem konsequenten „Lockdown“stoppte das Unternehmen erfolgreich die weitere Ausbreitung des Virus. Bei 16 Webasto-Kollegen und Angehörigen wurde das Virus nachgewiesen.
Wendtners damalige Einschätzung zu den Patienten mit fast durchweg leichten Symptomen: sehr wahrscheinlich nicht schlimmer als die Influenza. Die Sicht habe sich geändert. „Mit der Ischgl-Welle haben wir gesehen, dass das hier doch ein anderes Infektionsgeschehen ist. Mit Webasto allein hätte niemand geglaubt, dass es eine Pandemie dieses Ausmaßes geben wird, dass es solche Einschränkungen geben muss, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren.“
Viele Patienten auch mit mildem Verlauf leiden lange – über Monate. Long Covid nennen manche das Phänomen. Das Virus greift neben der Lunge auch andere Organe und Nervenbahnen an. Sehr viele sind lange nach der Genesung erschöpft und unkonzentriert. Und mancher Patient wird wohl nie wieder ganz gesund werden.
Die ersten Corona-Fälle waren am 31. Dezember 2019 aus Chinas Millionenmetropole Wuhan gemeldet worden. Eine chinesische Webasto-Kollegin war es auch, die das Virus nach Stockdorf brachte. Das Ursprungsland China scheint inzwischen weitgehend Corona-frei – mit radikalen Maßnahmen. „Bei uns würde sich niemand trauen, eine Mehrmillionenstadt wegen 100 Fällen dichtzumachen“, sagt die Virologin Ulrike Protzer. Eine Ausbreitung in einer freien Gesellschaft sei deutlich schwerer zu verhindern. „Wenn man die Freiheit und Mobilität erhalten will, und das wollen wir ja, muss man mit dem Risiko leben.“