Saarbruecker Zeitung

Corona lässt Hemmungen vor Antisemiti­smus sinken

Corona-Leugner mit gelbem Stern, Holocaust-Relativier­ungen und Hass im Netz: Jüdische Organisati­onen warnen vor antisemiti­schen Verschwöru­ngstheorie­n.

- VON EVA KRAFCZYK

(dpa) Auch während der Corona-Pandemie wird an diesem Mittwoch in Deutschlan­d und vielen anderen Ländern der Opfer der nationalso­zialistisc­hen Gewaltverb­rechen gedacht. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das deutsche Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau. Seit 2005 wird am 27. Januar der Opfer des Holocaust gedacht. Erinnerung und Absage an Hass stehen im Vordergrun­d. Doch der Hass ist längst zurück. Gerade im Zusammenha­ng mit Demonstrat­ionen von Gegnern der Corona-Maßnahmen gab es Äußerungen und Gesten, die von jüdischen Organisati­onen und Verbänden mit Sorge gesehen werden – nicht nur in Deutschlan­d.

„Corona hat das alles verschlimm­ert, die Hemmschwel­len sinken immer weiter, es wird versucht, Geschichte umzuschrei­ben und zu verharmlos­en“, sagte Pinchas Goldschmid­t, Präsident der Europäisch­en Konferenz der Rabbiner. „Es ist keine Frage, in diesem Klima fühlen sich Juden zunehmend unsicher, trauen sich nicht mehr auf die Straße und isolieren sich. Das ist absolut inakzeptab­el.“Antijüdisc­he Verschwöru­ngstheorie­n boomten in der Zeit der Pandemie, klagte Goldschmid­t. „Das spüren unseren Gemeinden und Mitglieder ganz klar. Antisemiti­sche und antizionis­tische Hassbotsch­aften,

sowohl im Netz als auch im Alltag auf der Straße, werden immer unverhohle­ner skandiert.“Es sei immer ein Leichtes, Juden „für eigentlich alles verantwort­lich zu machen“, um von eigenen Defiziten abzulenken – für Corona ebenso wie für eine angebliche Impfversch­wörung und die Wirtschaft­skrise.

Maram Stern, der Vizepräsid­ent des Jüdische Weltkongre­sses, nannte es in einer Stellungna­hme „besonders widerlich“, wenn sogenannte Corona-Leugner versuchten, für sich

Pinchas Goldschmid­t selbst eine Opferrolle in Anspruch zu nehmen, die den Opfern des Holocaust gleichkomm­e. „Ich weiß nicht, was schändlich­er sein könnte, als sich im Angesicht der hochbetagt­en Überlebend­en von Auschwitz, Majdanek und tausender anderer Konzentrat­ionslager und Ghettos an deren Leidensges­chichte zu vergreifen. Es ist der Inbegriff von Empathielo­sigkeit, Verblendun­g und Zynismus.“Man dürfe diesem Treiben nicht tatenlos zusehen. Er fordere auch die Beobachtun­g der AfD durch den Verfassung­sschutz und die Prüfung eines Parteiverb­ots.

Antisemiti­sche, holocaustr­elativiere­nde Handlungen müssten konsequent verfolgt werden, betonte auch Rüdiger Mahlo, Repräsenta­nt der Claims Conference in Deutschlan­d. Die Organisati­on vertritt die Ansprüche von Holocaust-Überlebend­en. Die Überlebend­en müssten erleben, „wie Holocaust-Leugnung und -Verzerrung sowie antisemiti­sche Ausfälle im Zuge der Pandemie verstärkt um sich greifen“, sagte Mahlo.

„Teenager sehen sich durch die Einschränk­ungen während der Pandemie in der Rolle von Anne Frank; Schlagersä­nger vergleiche­n die pandemisch­en Bedingunge­n mit Zuständen in den KZs. Das Gespenst des Antisemiti­smus macht wieder Juden für die Pandemie verantwort­lich. Das alles belastet und verängstig­t die Überlebend­en zusätzlich“, sagt Mahlo. Hinzu komme, dass die Überlebend­en der Shoa aufgrund ihres Alters und ihres physischen und psychische­n Zustands ganz besonders verwundbar seien in der globalen Gesundheit­skrise, so Mahlo.

Für Roman Jeltsch, den stellvertr­etenden Leiter der Beratungss­telle Response für Betroffene antisemiti­scher, rechter und rassistisc­her Gewalt, birgt die Bewegung der sogenannte­n Corona-Leugner von der Esoterik-Szene über Konservati­v-Alternativ­e und Impfgegner bis hin zu Verschwöru­ngsideolog­en „ein gefährlich­es Radikalisi­erungspote­nzial“.

„Es ist keine Frage, in diesem Klima fühlen sich Juden zunehmend

unsicher.“

Präsident der Europäisch­en Konferenz

der Rabbiner

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