Saarbruecker Zeitung

Braun versetzt die Union in Aufruhr

Der Kanzleramt­schef stößt mit seiner Idee zur Entschärfu­ng der Schuldenbr­emse auf heftige Kritik in den eigenen Reihen.

- VON STEFAN VETTER UND HAGEN STRAUSS

Wird die Schuldenbr­emse wegen der Corona-Pandemie zu Grabe getragen? Als erster prominente­r Regierungs­vertreter wagte sich am Dienstag Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) aus der Deckung. Die Schuldenbr­emse sei „in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendi­sziplin nicht einzuhalte­n“, schrieb er in einem Zeitungsbe­itrag und forderte eine Grundgeset­zänderung. Das sorgte für heftige Unruhe in den eigenen Reihen. Am Dienstag stellte er dann klar, dass er die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z nicht aufgeben will. „Mein Vorschlag, wie man den Weg zur schwarzen Null nach der Pandemie gesetzlich vorzeichne­t, zielt darauf ab, verbindlic­her als fortgesetz­t mit der Notklausel zu handeln, und nicht die Schuldenre­gel in Frage zu stellen“, erklärte er auf Twitter.

Bislang hatten vor allem Grüne und Linke kaum ein gutes Haar an der Schuldenbr­emse gelassen. Nun argumentie­rte auch Braun für eine Verfassung­sänderung, um die Regelung wenigstens für die „kommenden Jahre“außer Kraft zu setzen. Stattdesse­n solle es einen „verlässlic­hen degressive­n Korridor“bei der Neuverschu­ldung geben. Die Verfassung­sänderung soll laut Braun auch ein „klares Datum für die Rückkehr zu Einhaltung der Schuldenre­gel“ beinhalten. Den Termin ließ der Merkel-Vertraute aber offen.

In der Union galt bislang das Ziel, die Schuldenbr­emse bereits im kommenden Jahr wieder einzuhalte­n. Laut Grundgeset­z darf der Bund nur in geringem Maße Schulden aufnehmen, höchstens im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts. Das gilt seit mehr als zehn Jahren. Doch dann kam Corona, die Einnahmen schwanden und die Ausgaben stiegen exorbitant an. Deshalb wurden die strengen Auflagen per Parlaments­beschluss für die Bundeshalt­e 2020 und 2021 ausgesetzt. Auch das lässt das Grundgeset­z bei „außergewöh­nlichen Notsituati­onen“zu. Bedingung ist in solchen Fällen aber ein Tilgungspl­an, um die hohen Verbindlic­hkeiten „binnen eines angemessen Zeitraumes“wieder abzutragen. Für die im Haushaltsj­ahr 2020 entstanden­en Schulden wurde deshalb festgelegt, dass ab 2023 jeweils rund 1,9 Milliarden Euro in 20 Jahreschri­tten abzustotte­rn sind. Für das Haushaltsj­ahr 2021 sind nach vorläufige­n Berechnung­en ab 2026 jeweils sechs Milliarden Euro in 17 Jahresschr­itten zu tilgen. Die gesamte Prozedur dauert also bis zum Jahr 2043, wobei ab 2026 jährlich insgesamt rund acht Milliarden Euro für den Schuldenab­bau gebunden wären.

An diesem Tilgungspl­an will auch Braun nicht rütteln. Ihm geht es um die nächsten Haushaltsa­ufstellung­en für die Zeit ab 2022. Das Problem: Würde die Schuldenbr­emse schon im kommenden Jahr wieder greifen, könnte der Bund nur noch etwa zehn Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen – nach fast 180 Milliarden Euro geplanter Neuverschu­ldung in diesem Jahr. Eine solche Vollbremsu­ng dürfte wohl nur gelingen, wenn die Corona-Pandemie rasch abflaut und die Konjunktur wahre Purzelbäum­e schlägt. Zugleich forderte der Kanzleramt­sminister den Verzicht auf jedwede Steuererhö­hung und eine Begrenzung der Sozialabga­ben auf 40 Prozent des Bruttolohn­s.

Seine Idee war allerdings nicht mit den Unionsspit­zen abgesproch­en. Erst am Dienstagmo­rgen, als der Plan längst über die Ticker der Nachrichte­nagenturen lief, versuchte Braun CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt telefonisc­h zu erreichen. Der saß zu diesem Zeitpunkt mit Journalist­en zusammen und hatte kurz vorher auf die Frage, ob er und CSU-Parteichef Markus Söder in Brauns Pläne eingeweiht gewesen seien, mit einem klaren „Nein!“geantworte­t. Söder sprach später von einem „falschen Signal“.

Dem Vernehmen nach war auch CDU-Chef Armin Laschet ahnungslos. Der NRW-Ministerpr­äsident ließ sich am Dienstagna­chmittag in die Fraktionss­itzung schalten. Dort herrschte regelrecht Aufruhr, insbesonde­re bei den Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tikern. „Solide Staatsfina­nzen sind für die Unionsfrak­tion nicht verhandelb­ar“, sagte Eckhardt Rehberg, Urgestein der CDU-Finanzpoli­tik. „Wenn sich Politik nicht selbst klar an Regeln bindet, gibt es kein Halten mehr“, ätzte derweil Mittelstan­dschef Carsten Linnemann.

Die Zeit für eine Grundsatze­ntscheidun­g drängt. Schon im März muss Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) die Eckwerte für die Finanzplan­ung bis 2025 vorlegen. Dazu braucht es auch Klarheit über das weitere Schicksal der Schuldenbr­emse. Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) zeigte sich ebenfalls skeptisch über die angepeilte Verfassung­sänderung. „Für eine Grundgeset­zänderung wären hohe Hürden zu nehmen“, sagte sie unserer Redaktion. „Sie setzt einen breiten parteiüber­greifenden Konsens voraus, den ich aktuell nicht sehe.“

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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Kanzleramt­schef Helge Braun will die Schuldenbr­emse aussetzen und dafür das Grundgeset­z ändern.

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