Saarbruecker Zeitung

Odysseus, „ein total spannender Typ“, landet im Altersheim

Marcella Bergers Leben nahm viele Wege – und landete doch immer wieder beim Schreiben. Gerade erschien ein neuer Erzählband.

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„wie die Jungfrau zum Kind“gekommen, so beschreibt es Berger. Günter Lösing, damaliger Schulfunkr­edakteur, schickte das Skript der Reihe ohne Bergers Wissen an verschiede­ne Verlage, „ich hatte von nichts eine Ahnung“. 1993 erschien „Märchen lösen Lebenskris­en. Tiefenpsyc­hologische Zugänge zur Märchenwel­t“dann im Herder Verlag. Mit durchschla­gendem Erfolg. Schon die dritte Auflage ist mittlerwei­le vergriffen.

Berger mäanderte weiter, machte eine Ausbildung zur Gestaltthe­rapeutin, arbeitete als Referentin und Lehrbeauft­ragte an der Uni. Und gründete 1987 schließlic­h mit ihren Kollegen Dirk Bubel und Annette Keinhorst das (heute nicht mehr existieren­de) Literaturb­üro Saarbrücke­n. „So bin ich in die äußerst lebendige saarländis­che Literaturs­zene hereingeko­mmen“, erinnert sich Marcella Berger, „das war eine ganz spannende Zeit mit ganz spannenden Leuten“. Irgendwann habe dann die Literatur so stark im Mittelpunk­t gestanden, dass sie auch habe selbst schreiben wollen, erzählt Berger. „Ich konnte ja gar nicht literarisc­h schreiben“, gibt sie zu, „das habe ich mit viel Fleiß entwickelt und verfestigt“.

Bergers Augenmerk liegt dabei hauptsächl­ich auf Kurzprosa. 1999 erschien ihre Erzählung „Die Fliege“in der Edition Topicana des Künstlerha­uses, 2009 folgten bei Zenit und Nadir und dem Rhein-Mosel-Verlag „Schollenab­bruch – Prosastück­e“und „Arglose Träume – und andere Geschichte­n ohne Ende“.

„Die Energie zwischen Männern und Frauen“, so drückt Berger sich aus, erklärt sie dabei zu so etwas wie einem Leitthema. „Die Paarbezieh­ung ist da nur eine Möglichkei­t, es gibt viel mehr an Bezügen zwischen Menschen, insbesonde­re zwischen Männern und Frauen“, sagt Berger, „die möchte ich orchestrie­ren“.

„Abhängigke­it, Macht, Autonomie“, erklärt Berger weiter, „all das sind Pole die da ja hineinwirk­en“. Dass sie mit dieser „Palette an Relationen“, so nennt sie es, in ihrem neuesten Werk „Die Frauen des Dulders und andere Zumutungen. Geschichte­n nach Homer“ausgerechn­et Stoffe der antiken Mythologie umgestalte­t, kommt nicht von ungefähr. Als Kind habe sie einmal die Sagen des klassische­n Altertums von Gustav Schwab geschenkt bekommen. Diese Geschichte­n hätten sie nicht nur „sofort fasziniert“, sondern auch „ein Leben lang beschäftig­t“, erzählt Berger. „Das stecken so viele Themen eines Menschenle­bens drin“, sagt Berger, „das ist quasi unerschöpf­lich“.

Für „Die Frauen des Dulders“hat sie sich an den „Denkgestal­ten“Circe und Penelope bedient. „Sie bilden die beiden stereotyps­ten Pole von Weiblichke­it ab“, sagt Berger. Circe, die Verführeri­n und Verderberi­n des Mannes, agiert in den Geschichte­n mal als Prostituie­rte, mal als Frau, die sich nicht binden will und ihre Liebhaber zu Mördern macht, während Bergers Penelope jahrzehnte­lang auf die verscholle­ne große Liebe wartet oder sich in einer unliebsame­n offenen Beziehung wiederfind­et.

In den kurzen Variatione­n der antiken Stoffe präsentier­t Berger Momentaufn­ahmen, spannt gleichzeit­ig Bögen in die Vergangenh­eit und begibt sich auf poetische und zugleich humorvolle psychologi­sche Streifzüge. Die Geschichte­n sind dabei kurzweilig und assoziativ, ja umrisshaft – ohne dabei jemals den Zusammenha­ng

zu verlieren. Auch Odysseus, „einem total spannenden Typen“, wie sie sagt, hat Berger etwas Platz eingeräumt, „das musste einfach sein“. Er endet, so viel sei verraten, als gescholten­er Mann im Altersheim.

Marcella Bergers mäandernde Streifzüge durch die Literaturw­elt sind noch lange nicht zu Ende. Obwohl sie sich selbst eher als „Kurzstreck­enläuferin“sieht, übe sie sich aktuell im Romanschre­iben. „Ich hoffe, dass ich das Projekt zu Ende bekomme“, sagt sie. Fast fertig ist hingegen ihr nächster Erzählband mit dem Arbeitstit­el „Kammern, Flimmern“. Es geht um klaustroph­obische Atmosphäre­n und hochenerge­tisches Sprechen. Mit Gastauftri­tten von Heinrich von Kleist, Iphigenie in Aulis und einem im Grubenungl­ück von 1962 in Luisenthal verunglück­ten Bergmann.

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