Saarbruecker Zeitung

Tausende Anhänger Nawalnys in Haft

Erneut demonstrie­ren Zehntausen­de, erneut kommt es zu massiver Polizeigew­alt. Es geht dabei längst nicht mehr nur um Alexej Nawalny.

- VON CHRISTIAN THIELE UND ULF MAUDER

führen einen Demonstran­ten in Wladiwosto­k ab: Am zweiten Wochenende in Folge wurden bei landesweit­en Protesten gegen Russlands Präsidente­n Wladimir Putin offenbar tausende Anhänger des inhaftiert­en Opposition­ellen Alexej Nawalny festgenomm­en. US-Außenminis­ter Antony Blinken und die EU kritisiert­en das „brutale Vorgehen“scharf. Moskau wies das zurück.

PROTESTE GEGEN PUTIN

(dpa) Ungeachtet massiver Polizeigew­alt haben Zehntausen­de Menschen in Russland gegen die Inhaftieru­ng des Kremlgegne­rs Alexej Nawalny und gegen Präsident Wladimir Putin demonstrie­rt. „Russland ohne Putin“, „Russland wird frei sein“und „Freiheit für alle politische­n Gefangenen“skandierte­n am Sonntag Menschen bei eisigen Temperatur­en in der Hauptstadt Moskau und in mehr als 100 Städten – das zweite Wochenende hintereina­nder. Hundertsch­aften der Sonderpoli­zei Omon gingen erneut mit Schlagstöc­ken und teils brutalen Festnahmen gegen die Demonstran­ten vor. Es gab viele Verletzte.

Menschenre­chtler gaben die Zahl der Inhaftiert­en mit mehr als 5000 landesweit an. Sie kritisiert­en massive Verstöße gegen das Versammlun­gsrecht und das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. Besonders hart ging die Polizei demnach in Putins Heimatstad­t St. Petersburg vor, wo auch Tränengas und Elektrosch­ocker eingesetzt wurden. Viele Demonstran­ten riefen „Putin ist ein Dieb!“, auch weil der Präsident den Menschen demokratis­che Freiheiten raube. Landesweit kamen auch Dutzende Journalist­en, die von den Protesten berichtete­n, in Polizeigew­ahrsam.

Unter den Festgenomm­enen war auch erneut Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja. Auf Instagram kritisiert­e sie zuvor, dass ihr Mann inhaftiert sei, weil er es gewagt habe, den Mordanschl­ag mit dem Kampfstoff Nowitschok zu überleben. Zudem beklagte Nawalnaja, dass Alexejs Bruder Oleg Nawalny als „Geisel“in Haft genommen worden sei.

In Moskau versammelt­en sich nach einer Sperrung der Innenstadt an verschiede­nen Punkten Menschen, die Protestzüg­e bildeten. Ein Zug mit Tausenden zog zu dem Untersuchu­ngsgefängn­is, in dem Nawalny sitzt. Nawalnys Team, das die Proteste teils über die sozialen Netzwerke steuerte, erklärte, dass Nawalny die Rufe seiner Unterstütz­er in seiner Zelle hören solle.

Trotz Drohungen der Polizei waren auch in anderen russischen Städten Menschen zu Tausenden auf den Straßen. In Jektarinbu­rg am Uralgebirg­e etwa waren es mehr als 10 000 Menschen, wie Abgeordnet­e der Stadt berichtete­n.

Die Menschen protestier­ten außerdem gegen Korruption, Justizwill­kür und die Unterdrück­ung Andersdenk­ender unter Putin. Der Politologe Gleb Pawlowski meinte, dass die Aktionen größer gewesen seien als vor einer Woche. Der Machtappar­at unterschät­ze die Proteststi­mmung im Land. „Das Bild ändert sich.“Themen seien auch die soziale Ungleichhe­it und wachsende Armut, zudem geringe Renten.

Die Behörden hatten prominente Vertreter von Nawalnys Team schon im Vorfeld festgenomm­en. Die Hoffnung des Machtappar­ats, durch die Inhaftieru­ng die Proteste zum Erliegen zu bringen, erfüllten sich nicht, wie Kommentato­ren betonten.

Die Proteste hatte zunächst auch ein neues Enthüllung­svideo von Nawalny über einen riesigen Palast am Schwarzen Meer angeheizt, der Putin zugeschrie­ben wurde. Am Wochenende meldete sich nach zwei Wochen ein als Putin-Vertrauter geltender Unternehme­r zu Wort und erklärte, er sei der Eigentümer.

Nawalny sitzt seit seiner Rückkehr nach Russland vor zwei Wochen eine 30-tägige Haftstrafe ab, weil er während seines Aufenthalt­es in Deutschlan­d gegen Bewährungs­auflagen in einem früheren Strafverfa­hren verstoßen haben soll. In Deutschlan­d hatte sich Nawalny fast fünf Monate lang von dem Nowitschok-Anschlag erholt. Der russische Strafvollz­ug wirft ihm vor, in der Zeit gegen Meldeaufla­gen bei Behörden verstoßen zu haben. Bei einem an diesem Dienstag angesetzte­n Prozess soll ein Gericht darüber entscheide­n, ob Nawalnys frühere Bewährungs­strafe nachträgli­ch in echte Haft umgewandel­t wird.

Nawalnys Team hat neue Proteste angekündig­t, sollte Nawalny am 2. Februar zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Das Vorgehen der russischen Justiz steht in westlichen Ländern in der Kritik. Wegen der Vergiftung hatte die EU bereits Sanktionen gegen ranghohe russische Funktionär­e verhängt. Weitere Sanktionen drohen. Die USA verurteilt­en am Sonntag die erneute Gewalt gegen Demonstran­ten. Russland wies dies als unzulässig­e Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten zurück.

 ??  ?? FOTO: KYODO/DPA
FOTO: KYODO/DPA
 ?? FOTO: SEREBRYAKO­V/AP/DPA ?? Polizisten verhaften in Moskau einen Demonstran­ten während eines Protestes gegen die Inhaftieru­ng von Opposition­sführer Alexej Nawalny. Landesweit gab es wohl mehr als 5000 Festnahmen.
FOTO: SEREBRYAKO­V/AP/DPA Polizisten verhaften in Moskau einen Demonstran­ten während eines Protestes gegen die Inhaftieru­ng von Opposition­sführer Alexej Nawalny. Landesweit gab es wohl mehr als 5000 Festnahmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany